Die Revolution kopiert ihre Kinder

Elektronisches Musizieren – hätte es das je gegeben – ist längst ein Allgemeinplatz geworden, denn streng genommen ist mittlerweile jede durchschnittliche Rockproduktion das Kind des elektronisch digitalen Audioprozesses, der auf unzähligen Festplattenspuren optimiert, zu Recht gerückt und gefiltert auf CDs binär verewigt, niemals den digitalen Datenfluss verlässt.

Der Synthesizer, einst mythisches Kultobjekt einer ganzen Generation von Gralsrittern des Klangs, ist längst zum langweiligen Beiwerk der modernen Musikproduktion geworden. Das klangliche I-Tüpfelchen, durch zahlreiche, bahnbrechende Synthesekonzepte erweitert, kann trotz seiner im Vergleich zu früher gigantischen klanglichen Stärken kaum mehr begeistern. Ende der Siebziger war der Synthesizer im Gegenwert eines soliden Kleinwagens die Pandoras Box einer Spezialistengilde, die auf ihrer Spielwiese der unerhörten Klangwelten nicht nur neue musikalische Konzepte erklingen ließen, sondern auch die Ablösung der bis dato satten und selbst zufriedenen Rockkultur einläuteten. Die Rock´n´Roll Revolution hatte ihre Kinder schon längst zu drogenabhängigen, emanzipierten und yuppieesken Schaustellern ihrer eigenen Pose werden lassen. Die Ablösung nahte mit dem minimal formal und funktional kühlen Synthesizerpop von Kraftwerk und sollte eine ganze Generation nach sich ziehen.

Die New Wave war geboren und ihre Kinder, die neuen revolutionären Klangästheten surften mit fast spielerischer Leichtigkeit auf den Klangwellen der bisher nur Ingenieuren vorbehaltenen Fairlights und Synclaviers, den Großrechner der damaligen Synthesizerentwicklung. Zwar noch immer in unerschwinglichen Preisregionen enthoben warf die rasanten Entwicklung jedoch einen verlockenden Ausblick in die klangliche Demokratie der Zukunft und die ersten Heimcomputer ermöglichten eine spielerische Näherung an die algorithmisierte Welt der Oszillatoren und Filter. Der handwerkliche Teil der synthetischen Musik war nicht zu unterschätzen, denn alleine ein dreistimmiger Akkord benötigte für die Aufzeichnung mit einem monophonen, also einstimmigen Synthesizer ganze drei Spuren eines Tonbands. Die Harddisk als Aufzeichnungsmedium war noch in weiter Ferne und die einzig erhältliche Seagateplatte in den 80ern hatte gerade mal eine Kapazität von 10 MB, was theoretisch gerade mal einer Minute Audio in CD Qualität entsprochen hätte.

Während der Underground mit selbstgelöteten Schwingkreisen und Sägezahngeneratoren experimentierte, entfesselten die neuen Großmeister wie Human League, Gary Newman, Ultravox und Depeche Mode eine unerhörte Klangmagie und Revolution der Popularkultur und machten die Elektronik kommerziell erfolgreich. Die heftig diskutierte Frage, ob nun der Produzent Gareth Jones heimlich Samples von der „Halber Mensch“ Session mit den „Einstürzenden Neubauten“ für die chartstürmende „Construction Time Again“ Scheibe der englischen „Depeche Mode“ gestohlen und zweckentfremdet hatte, wurde neben vielen anderen klangästhetischen Disputen zu einer bis heute ungeklärten Episode jener Zeit und ist auch heute im Rechtsstreit zwischen Schöpfungshöhe, Urheberrecht und Sampling ein aktueller Schauplatz der Auseinandersetzungen. Gerade die Samplingtechnologie mit ihrer Möglichkeit der Transformation in unterschiedliche Tonhöhen und Filterverläufe, das Entleihen und Zweckentfremden natürlicher Klangverläufe sollte neben der Frequenzmodulation des erschwinglichen DX7 Synthesizer die Nachhaltigkeit dieser Musikrevolution bis in die 90er bestimmen, egal ob Hip Hop, Techno oder Alternative.

Die weitere technische Entwicklung grub zuerst den Tonstudios und dann der Verwerterindustrie das kühle Grab. Mittlerweile können sogar auf jedem Touchpad mit Hilfe unzähliger Apps und kleinen Audiomodulen musikalische Einfälle produziert und dann direkt hochgeladen und vermarktet werden. Doch steht am Höhepunkt dieser demokratischen Vernetzung und universellen Teilhabe auch der kreative Abgrund der Austauschbarkeit. Die Vielzahl der ähnlichen Veröffentlichungen elektronischer Herkunft versperrt den Blick auf die wenigen innovativen Rohdiamanten. Aus der klanglichen Revolution der 80er ist das allgemeine Epigonentum und das Kopieren von internationalen Erfolgskonzepten geworden. Es wird gesamplet, reduziert, imitiertwährend die Plugins mit den immer gleichen Presetbegleitungen und musikalischen Grundmotiven ein einheitliches Musikbett für die Epigonen der Kopisten ausspucken.

Das dumpfe, sich Treiben lassen im Vakuum der Inhaltsleere scheint den Auftakt des Netzjahrhunderts zu bestimmen. Der Gesangssynthesizer des Autotune oder Melodyne quantisiert und begradigt dann noch das letzte Quäntchen Imperfektion und Authentizität der Stimme. So stellen sich unweigerlich die Fragen.

Ist das Zitat vom Zitat vom Zitat nichts anderes wie die Kopie von der Kopie von der Kopie?
Braucht diese musikalische Redundanz noch ein restriktives Urheberrecht, wenn die Schöpfungshöhe und Eigenleistung gegen Null geht?

Bild cc-by-sa Basilicofresco Renoise Sequencer

Neues aus der Trollzone: Faschismus der guten Laune oder was Post Privacy auch bedeuten kann.

Es ist ja nicht so, das nur die digitale Avantgarde und ihre intellektuelle Speerspitze zur Post Privacy rufen. Schlimm wird es erst, wenn jeder mit macht, sich keiner mehr für die eigene Blödheit schämt, von allen Konventionen befreit sogar mit der eigenen Dummheit kokettiert. Genau damit droht Post Privacy auch – die Allmende der Dummheit die sich selbstverständlich jedem, überall, grenzenlos und immerzu aufdrängt.
Wie komme ich dazu, so etwas zu proklamieren? Mein Feldversuch, das Fernsehprogramm zur Faschingszeit kann übrigens auch zur Beweisführung für eine Abschaffung der GEZ verwendet werden.

Kennt ihr die Addams Family? Zweiter Teil? Als Wednesday in einer kitschig dekorierten Holzhütte eine Nacht lang Disney Berieselungsterror ertragen musste, um endlich der „Guten Laune“ Maschinerie des Feriencamps zu entsprechen. Nach einer Nacht wird sie entlassen, fortan mit einem zur Fratze deformierten Grienen.
Die Realität ist schlimmer, denn Tag für Tag auf allen Kanälen findet das kalkulierte Reanalphabetisierungsprogramm statt. Die einzig wirksame Gegenwehr ist die selbstauferlegte Isolationshaft im Wandschrank, um dem gesteuerten Irrsinn zu entgehen, denn die Schergen der Medienkonzerne winken auf sämtlichen Informationswegen zwischen TV Kanal, Social Network und Printmedium zum Kollektivfrohsinn. Beispiele gefällig? Egal ob Güllebad und Almdudeln in „Die Alm“, Social Drama Striptease in „Frauentausch“, demonstratives Gemeinweisen in „Handwerker-Realities“, Görenbashing in “Supernanny”, Geistlose Proletenmillionäre in “Die Geissens” oder Hungerhaken Jobbörse „Next Topmodel“: Die Einfältigkeit ist nur noch vom erbarmungslosen Sendungsbewusstsein der penetranten Protagonisten zu überbieten. Beispiele gefällig:
Brigitte Nielsen und Jazzy Tic Tac Toe im Casting Sumpf -leider hat die Malaria noch nicht zugeschlagen-. Der muskulöse Bachelorblondie auf Hühnchensuche für das gentrifizierte Plastikleben. Davor nachmittägliche Horror DDR Nostalgieshow mit Spieleinlage für Wehrsportbegeisterte im Ruhestand: Wer trifft in der Todeszone? Erster Preis: Ein Topf Spreewaldgurken. Deutschland sucht den Volltrottel: Playback mit unser aller Dieter, der wegen der allgemeinen Geschmacksdemenz jahrzehntelang ungestraft urheberisch neutral plagiiert um mit dem Recyclingprodukt Millionen zu verdienen, nebenbei seinen „talentierten“ Genpool ans Teppichluder im Baumarkt weitergibt und auch schon mal seine Politikfähigkeit mit Wahlwerbespots für Süßmilcherzeugnisse probt.

So ist der eindeutige Höhepunkt des Jahres der Fasching auf sämtlichen über- und unterregionalen Sendeplätzen der öffentlich-rechtlichen Anstalten, wenn die GEZ für Rucki Zucki, Alaaf und Helau kassiert. Das Kulturprogramm für die Masse, die brav weiterzahlt und einmal im Leben live im Saal mitschunkeln möchte. Den klatschenden Vollidioten mit geistlosem Blick in der ersten Reihe der Gala wurde an der Garderobe die Hirnschale geöffnet und der Inhalt gegen eine Marke eingetauscht. Die Schminkmelone der Zombies mit dem festgezurrten Grinsen dann kameragerecht auf den Platz getackert, Lachsack daneben. Büttenreden, Titten, Ärsche und Muschiguckhöschen von beinschwingenenden Funkenmariechen, ja da freut sich das Volk und Oma kann auch im Demanzipations-Chor mitsingen. Sogar Gottlieb Wendehals findet mit dem tanzenden Gyros, pardon Costa wieder einen Platz auf der Bühne, denn Anita, die mittlerweile zahnlose Liebessklavin des bankrotten Griechen lebt ewig. Die Unterhaltungsbranche hat längst das Rezept für die Rentenmisere gefunden: Blödeln bis der Tod auf der Bühne eintritt. Da würde ich schon lieber die geplante, aber leider von der FSK abgesetzte Raucherbein Amputations-Realityshow sehen. Und nicht zuletzt: wie hat es uns gefehlt, eine neue Staffel Big Brother. Kollektives dumm Bumsen vor laufender Kamera und keiner schämt sich dafür, solange die Bräune stimmt und die Zellulitis nicht sichtbar wird.

Aber dann kommt der Abstieg, das rektale, letzte Aufbegehren. Am After des den Menschen verschlingenden „5 Minuten Star“ Multimedia Mollochs, der Medienmaschinerie fällt der Klärschlamm der kollektiven Zivilisationsbetäubung. Die ehemaligen Stars und Sternchen. Ohne Ideen, „Know How“ und Vorbereitung auf ihr Schicksal, finden die einst so perfekt Ausgeleuchteten keine Bleibe in der so verheißungsvollen Branche, denn plötzlich sind alle Türen zugefallen, ihre Gesichter verbraucht, kaum recyclingfähig. Im Supermarkt dürfen sie auch nicht an die Kasse, könnte ja sein, dass der Betrieb durch Autogrammjäger aufgehalten wird.

Der alltägliche Faschismus der guten Laune trifft jeden, denn wer nicht mitmacht ist nicht mehr draußen – schön wäre es ja – nein, dann wird solange zum mitmachen gezwungen bis der kollektive Blödsinn übergreift.

Als ein Kind der 68er hab ich die klassenkämpferischen Ideale meiner Eltern geträumt: Eine Welt in der alle auf die gleichen Möglichkeiten zurückgreifen können, die Informationsgesellschaft mit ihrer Wissensallmende. Ein bisschen Sozialismus, ein bisschen weniger Kulturimperialismus, ein bisschen Frieden – Doch geht es nicht erst seit Nicole mit dem Niveau abwärts. Die Dumpfbacken für die der Klassenkampf das Terrain befreit hat, sind auch noch Stolz auf ihre Blödheit und brüsten sich mit ihrem Seelenleben ungeniert vor jeder Kamera und im Netz und drücken das Niveau einer Kulturallmende die nur den kleinsten gemeinsamen Nenner ermittelt. Zwar ist die Lebenszeit gestiegen, dafür aber auch die Zeitverschmutzung, derer wir jeden Tag anheim fallen, denn es gilt diese unsagbar schlechten Informationen auszusortieren, damit das eigentlich Relevante doch noch seinen Weg zu uns findet. Leider gibt es noch keine Antispamsoftware für kulturelle Werte, aber nein, dann würde ich wohl die konstant schwarze Röhre für einen Totalausfall meines Rechners halten.

Nachdem bald jeder CDs, DVDs, Videospiele und Filme, Musik und Bücher dank Hilfssoftware als Download App selbst produziert und vertreibt, das Niveau ins Bodenlose sinkt und die großen Vermarktungs-Konzerne mit Ausverkaufsangeboten geistige Werke zum Nulltarif verschleudern, bricht die Branche endgültig zusammen. Das Urheberrecht gibt auf, denn weder Stilometrie, noch Schiedsgericht können einen marginalen Unterschied der Werke ausdifferenzieren. Endlich sind wir das Urheberrecht los. Danke Spackeria.

Enjoy The Silence


Weit nach Mitternacht verstauen wir zahlreichen Bühnenteile, diverse tontechnische Gerätschaften und unsere Instrumente im Laderaum des Tourvans.
Als wir zur nächsten Etappe unserer kleinen Hispanien Tournee aufbrechen, hat sich das ferne Echo des schrillen Konzertes bereits unwideruflich in meine akustische Erinnerung gebrannt.
Nach einigem Hin- und Herwälzen, habe ich eine bequeme Position gefunden und falle innerhalb weniger Sekunden in einen tiefen Schlaf. Das leichte Hintergrundsummen in meinen Ohren wird nur unzureichend vom Motor übertönt, erschreckt mich aber angesichts des schlechten und übersteuerten Monitormixes des heutigen Abends kaum und gehört zur Normalität des Musikeralltags, denn „wo gehobelt wird, fallen Späne“. Die fatalistische Haltung eines Bekannten geht sogar noch weiter: Wenn Montags der pfeifende Nachgesang der Sirenen ausbleibt, war es ein schlechtes Diskowochenende. Der Tinnitus als Qualitätskriterium. In einer formlosen Traumsequenz verworrener Gedanken fahre ich erschrocken hoch. Es ist still geworden und diese Stille schmerzt, schreit mich förmlich an, saugt die Gedankenfetzen gleich einem Vakuum in schwindelerregendem Tempo von meiner gedanklichen Bühne. Erschrocken reiße ich die Augen auf und sehe das atemberaubende, nie zuvor so deutlich und scharf gezeichnete Panorama der Milchstrasse über mir, das in majestätischer Stille die Welt in Stille taucht. Hier, Irgendwo im Nirgendwo der spanischen Steppe nimmt mich die stumme, Milliarden Jahre alte Illumination auf die gleiche Art und Weise gefangen, wie den das Geräusch fürchtenden Menschen der grauen Vorzeit. Nein, angesichts dieser Pracht können wir kein bedeutungsloser Sternenstaub, eine auf mathematische Mutationen und selektive Evolution reduzierte Spezies sein. Unsere Kraft zu Staunen ist so mächtig wie der Wille dieses Universum zu begreifen. Was wäre diese Schönheit ohne Gegenwart eines der ästhetischen Bewunderung fähigen Betrachters ? Die Stille schmerzt in meinem Kopf, denn die kaum wahrnehmbaren Geräusche des Windes und das leise Klappern der Türe der kleinen Tankstelle, an der unser Fahrer angehalten hat, sind die einzigen Zeugen der akustischen Untermalung dieses atemberaubenden Schauspiels.
Ich gedenke eines historisch nicht verbrieften Dialoges zwischen Pythagoras und Aristoteles. Pythagoras, auf der Suche nach dem universellen Klang der Planeten und Gestirne, vermutete eine unglaubliche Geräuschkulisse, die durch die Bewegung der großen Massen hervorgerufen werden müsste, während Aristoteles zu bedenken gab, das wir durch die immerwährende Konstanz der Geräuschkulisse seit unserer Geburt nicht fähig wären, diese Klänge wahrzunehmen.
Unabhängig von dem naiv wirkenden Ausschluss des Vakuums, gibt mir diese Passage zu denken.
Stille ist heute ein kostbares Gut. Am Anfang war der Ton, dann der Klang, dann der Laut,
dann das Wort und seine sinnstiftende Syntax ganzer Sätze, die den Menschen in verbaler Macht befähigte, große Zusammenhänge logisch zu differenzieren oder gar zu phantasieren.
Die neu geschöpfte Vermittlungsfähigkeit ist vielleicht der Faktor, der uns zum Diktator der Schöpfung gemacht hat. Die einst zu überwindende Stille des Universum wich schnell dem gesellschaftsstiftenden Credo: „Wo man singt da lass Dich nieder…“
Doch heute ertrinken wir in dieser Kulisse aus nicht vernehmbaren Einzelstimmen bar der anschwellenden und ohrenbetäubenden Kakophonie. Im Wettstreit um die Wahrnehmung steigt die individuelle Lautstärke zum hysterischen Wahn und findet ihren Höhepunkt im überkomprimierten Dauermaximum von MTV, Viva und Onyx. Neben der unersättlichen Bilderflut fällt die dummdreist werbende Komponente des einlullenden Dauerklangs kaum auf. Rastlos und unsicher jeder Grundlage zum Innehalten beraubt, gebären wir in der selbstverschuldeten auralen Kloake ein psychosomatisches Leiden nach dem anderen. Ich blicke nach oben und merke: Stille ist ein labendes Gut und nur allzu teuer erkauft. Wer sich ausklinkt, wird übergangen, denn – so scheinen wir uns gegenseitig zu suggerieren – wir müssen immer informiert, aktualisiert und online sein.
Die Qualität des Signals scheint inhaltlich wie klanglich sekundär, denn dem Gehöhr und Gemüt ist eine Hornhaut gewachsen. Im alltäglichen Sperrfeuer der Klangkanonen nivelliert das Empfinden zur erschreckender Nieveaulosigkeit.
Ein Realaudiostream aus quäkenden Multimediaboxen wird als ästhetisches Hochgenuss empfunden und einzig die Lautstärke einer Aufnahme scheint ein Qualitätskriterium zu sein. Dynamik wird mit Lautheit gleichgesetzt.. Selbst häufig mit dem Mastering, dem Feinschliff vor der Produktion diverser CDs beauftragt, wundere ich mich schon gar nicht mehr über den Standardzusatz: Vor allem lauter als alles andere soll es sein. Der Pegel soll am Aussteuerungslimit „kleben“, die Höhen und Bässe klirren und niemals eines der sechzehn Bits verschenkt werden. Vergleichsweise wirklichkeitstreue Abbildungen musikalischer Kreativität der 80er scheinen gegen dieses Frequenzmassaker substanzlos leise und dumpf. Meine Standardfrage „Blutet es aus den Ohren ?“ wird mit einer glücklichen Geste bedankt, denn eine taube Gesellschaft dreht einfach lauter.
Aber auch inhaltlich reduziert sich Vieles auf die Bandbreite unserer Handys. Nicht umsonst warten die meisten Melodien der Charts, mit hektischen Piepstönen angereichert auf ihren Download als Handyklingelton. Polyphon ist das neue Modewort und demnächst auch mit Subwoofer in der Hosentasche. Wir betäuben uns, nehmen uns die Kraft zu differenzieren. Der probate Steuerknüppel einer Gesellschaft aus Laborratten im Selbstversuch ist längst außer Kontrolle geraten. Die Bilderflut nimmt jede Fähigkeit zu abstrahieren und wir stürzen uns panisch und süchtig in den Rausch der Dauerberieselung, kreieren so unseren Teil zur klanglichen Umweltverschmutzung.
Der Himmel thront über mir und eine Sternschnuppe am Firmament scheint meine Bedenken lautlos zu unterstreichen während der Wind das unergründlich leise Lied der Ewigkeit singt.
Neueste kosmologische Erkenntnisse sprechen von der Harmonik des Urknalls, die wie ein ewiges Echo unser Universum in Schwingung versetzen und vermittelnder Teil der Schöpfung zu sein scheinen. Jäh zerreißt der anspringende Motor die Idylle und die aufschlagende Bustüre ruft zum geräuschvollen Abmarsch in die Zivilisation.
Als wir am nächsten Veranstaltungsort angekommen sind, geht der Aufbau schnell von der Hand. Der provisorische Soundcheck beraubt uns mit einem ohrenbetäubenden, durch Mark und Bein fahrenden Feedback der Fähigkeit, die Unzulänglichkeiten der Monitoranlage zu erhören.
Am Abend während des Konzert dresche ich in die Tasten und schreie mir die Seele aus dem Leib. In Hintergedanken das Zitat aus einer anderen Welt. Eine Biographie des berühmten Konzertpianisten und Kunstliedbegleiters Moore, titelte in den 70ern: “Bin ich zu laut ?” – Ach könnte ich nur die Sterne hören….

Fotonachweis: ContactNi {{cc-by-sa-2.0-de}}

Machet Euch der Erde Untertan (2004)

Mein Biologielehrer war ein wütender Mann, der mit seinem Schicksal an einer höheren, fast reinen Knabenschule haderte. Der Unterricht vor einer Klasse gelangweilter Pennäler, deren einzige Aufmerksamkeit der bald anstehenden Sexualkunde gelten sollte, brachte den Mann zur Weißglut. Der „Doktor“, so nannte man ihn ehrfurchtsvoll, war für seine unkontrollierten Wutausbrüche gefürchtet und bekannt: So mancher Schüler war unter seinen verbalen Prügelattacken bereits heulend zusammengebrochen.
Des Doktors Hassgefühle galten besonders jenen Dingen, die nicht in sein machiavellisches Weltbild der Hierarchien passten, denn die Darwinistischen Prinzipien auf die zunehmend freizügigere Welt übertragen, schienen ihm als soziale Meßlatte und Kompass zu gereichen. Seinen größten Misskredit und Tadel lösten einmal die Aktionen der wenigen Mädchen unserer Klasse aus, welche die kahlen und schmucklosen Wände des Klassenzimmers mit allerlei niedlichen Tierpostern zu verschönen versuchten. Polternd und aggressiv bläute uns der zornesgerötete Doktor seine Logik der inhumanen Fauna des „Fressens und Gefressen Werdens“ ein, um danach jeden Widerspruch zu ertränken, indem er das weibliche Kindchenschema aufs Äußerste verhöhnte.
Der von ihm daraus abgeleitete unmittelbare Kinderwunsch der Mädchen und der Verweis auf die weibliche Schulalternative des Hauswirtschaftsunterrichts bildeten den Abschluss seines Monologs um dann die Reduktion des Tieres zur primitiven Instinktmaschine mit Hilfe des pawlowschen Hundeexperiments zu untermauern. Auch wenn ich damals den tief verwurzelten Sexismus und Speziesismus als solches in seinen Äußerungen kaum verstand, so löste er jedoch ein tiefes Unwohlsein aus, das bis heute meine Abneigung gegen diesen überheblichen Regentschaftsbeweis der Menschheit begründet. Die inhumane, ergo „bösartige“ Tierwelt im Gegensatz zum humanistischen Weltbild meines Lehrers erzeugte in mir jenen Widerwillen, denn das autoritär aggressive Auftreten des „Doktors“ schien die Positionen meines Weltbildes zu polarisieren. Ein stillschweigend vorausgesetztes aber unbewiesenes, alle Bereiche des menschlichen Daseins durchdringendes Prinzip hat seit Jahrhunderten sogar in der Ethik überlebt: Die Bevorzugung einzelner Gruppen, seien sie politischer, sozialer oder eben einer nichtmenschlichen Spezies definieren immer den Fixpunkt der Wertigkeiten. Dieses ganz und gar „menschliche“ Verhalten erscheint meist umso feindseliger, je näher die Diskriminierung von Geschlechtern, Rassen und Tiergattungen der eigenen ist. Die Waagschalen der „universellen“ Gerechtigkeit geraten fast immer ins Ungleichgewicht sobald es sich um die Grenzbereiche der menschlichen Vorbehalte handelt, denn wer entscheidet ob das Leben eines nicht minder leidensfähigen Zuchtschweins mehr Wert hat als der edle Spross einer Hundezucht mit Stammbaum und Adelstitel. Innerhalb der eigenen Spezies wird dieser Vergleich gänzlich unappetitlich, denn wer möchte heute noch für die beschämende und zutiefst diabolische Rechtfertigung der Sklaverei, der Ausrottung der Indianer oder des Holocaust geradestehen? Jedoch genau hier lässt sich die Wurzel des Speziesismus greifen. Gilt es nicht, diese Wertigkeiten durch eine „universelle“ Formel der „leidensfähigen Kreatur“ hinwegzuwischen um jeden zukünftigen, als Wertekanon getarnten Diskriminierungsversuch von vornherein zu entlarven? Angesichts der globalen Wirtschaftsprobleme und den daraus resultierenden Krisen- und Kriegsherden, die dank der Massenmedien unseren täglichen Trott erschrecken, erscheinen die Gräuelbilder der Tierschützer sekundär und kleinlich, bestenfalls als notwendiges Übel, das spätestens vor dem nächsten Fastfood-Restaurantbesuch vergessen wird oder mit dem Argument “Menschen essen schon seit Jahrtausenden Fleisch und es ist wichtig für unsere Ernährung“ beschwichtigt. Aber der Homo erectus war in seiner kurzen Entwicklungsgeschichte immer anpassungsfähig und die Annehmlichkeiten der modernen Welt werden auch nicht gegen den Luxus der Höhlenmenschen oder Kannibalen eingetauscht, nur weil es natürlicher wäre.
Natürlich wäre zumindest die Abkehr von der Massentierhaltung, welche die Rohsubstanz für den täglichen Happen aus der geheimgehaltenen Anonymität der Fleischfabriken liefert und mit verniedlichenden Produkten wie Fleischwürsten mit stilisierten Grinsegesichtern aus Gelbwurst oder glücklich feixenden Schweinchen auf Metzgereitafeln schon bei der jüngsten Kundschaft vom millionenfachen Leiden ablenkt und sämtliche Vorbehalte gegen den blutigen Ekel im Ansatz verklärt.
Die Verdrängung der Vorbehalte hat Tradition seit den frühchristlichen Zeiten, denn zu gerne wird auf die Ursprünglichkeit des Fleischkonsums verwiesen oder jene Bibelstellen zitiert:„Macht Euch die Erde Untertan“ und „Furcht und Schrecken vor Euch sei über alle Tiere auf Erden„.
Dass die vorchristlichen Pythagoräer und Essener strikt vegetarisch und in Geschwisterlichkeit mit der Gotteskreatur Tier gelebt hatten, wird zu gerne aberkannt oder verschwiegen.
So huldigt die gläubige Christenschar bis heute jenem nicht umsonst Gefallenem, den fleischlich-blutigen Genüssen zugewandtem Fürsten des Irdischen und nicht dem urchristlichen und tierliebenden Herren in der Höhe. Warum sollte der barmherzige Christengott gerade mit jener seiner Schöpfungen mehr Mitleid haben, welche den größeren Rest seiner großartigen Kreation demütigt, grausam quält und gierig meuchelt, ja sogar menschliche Vorherrschaft über all die Unterlegenen befehlen? Ein solcher Gott hätte gar masochistische Züge, denn welcher Künstler würde sein eigenes Werk so behandeln. Umso plausibler erscheint da der früh ausgehandelte irdische Kirchenkompromiss mit der verrohten Gegenwart der Menschheit. Vielleicht auch, weil dieser konstitutionelle Glauben kaum so schnell seinen Siegeszug hätte antreten können, wenn man nicht den derben Gelüsten Tribut gezollt hätte. Und so wurde das Tier auch mit christlicher Segnung zur Sache.
Aber wie stünde es um diese, sich so nächstenliebend gerierende Religion ohne das biblische Motto der Unterwerfung der Welt? Sicher, in einer grauen Vorzeit ungezähmter Natur ist eine Trutzburg gegen die böse und wilde Umwelt der einzige Weg des Überlebens. Jedes noch so kleine Stück, der Natur abgerungene Zivilisation galt es zu verteidigen, jedes erbeutete Stück Fleisch rettete vor dem Hungertod, ganz im Sinne von: „Es oder Ich“. Aber im Zuge des immerwährenden Fortschrittes der menschlichen Technisierung, der Urbanisierung der letzten wilden Flecke unseres Lebensraumes und scheinbar grenzenlosen Ausbeutung einer schwindenden Welt hat sogar der erzkonservative Gierschlund begriffen: Der technische Fortschritt ohne Weiterentwicklung von Moral und Ethik ist schon seit Oppenheimers Dilemma um die Hiroshimabombe in einer selbstzerstörerischen Sackgasse und fordert den Paradigmenwechsel, den Scheideweg der postmodernen Gesellschaft.
Ökologie und Naturschutz, einst das Steckenpferd einer Generation friedensbewegter Utopisten in Ökolatschen hat sich längst als einträgliches Wirtschaftsmodell etabliert. Könnte sich in diesem Zuge nicht auch eine neue Definition der „Mitkreatürlichkeit“ entwickeln, hin zum Verständnis, dass das lebende und leidensfähige Wesen, das gleiche Lebensrecht besitzt wie unsereins? Ist gerade nicht erst unsere viel zitierte Vernunft dazu auserkoren sinnstiftendes Heil über all jene zu bringen, die da leiden? Genau diese Worte zieren jede Sonntagsandacht, jedoch der Braten wird längst verdaut, und jener Appell wird, wenn überhaupt nur für die Vertreter des eigenen Stammes umgesetzt. Und wenn schon hier nicht, warum dann innerhalb der eigenen Gemeinde, gar der eigenen Gesellschaft, noch unwahrscheinlicher für andere Rassen und ganz sicher nicht für andere Spezies. Ist es nicht Zeit das Opferlamm, einst Stellvertreter Jesu, neu zu begreifen und an unseren Tisch zu bitten, anstelle es zu verspeisen?
Selbst wenn empfindungsfähigen Tieren die „menschliche“ Intelligenz fehlen würde, den Tod zu begreifen, so haben jene Wesen, die über ein noch so einfaches Bewusstsein verfügen, sich also erinnern oder wieder erkennen können ein elementares Interesse am Leben zu bleiben, ebenso wie der, vielleicht nicht begriffene Wunsch, sich zu entfalten und Dinge zu erleben.
Jedoch gerade in den letzten fünfzig Jahren hat die Verhaltensforschung mit Tieren phantastische Entdeckungen gemacht und die Descartesschen Vorurteile der Instinktmaschine Tier eingehend widerlegt. Bisher war unsere Verständigung mit den Tieren zu sehr in menschlichen Kommunikationsmustern begriffen, jedoch scheint die Barriere bei immer weiteren Spezies zu bröckeln. Die Lobby der Fleischindustrie wiegelt mit Gegenstudien ab und unser uns selbst erhöhender Starsinn will nicht von seiner Einzigartigkeit ablassen.
Die Empfindlichkeiten zwischen Tierrechtsbewegung und der großen Mehrheit fördert immer wieder Erstaunliches zutage. Als die Tierschutzorganisation PETA einen bildhaften Vergleich von industrieller Hühnerhaltung und den Konzentrationslagern der Nazizeit plakatierte, musste man nicht lange auf die Proteste einer breiten Front aus Politik, Wirtschaft und Religion warten. Hasserfüllt und polemisch wurde der vermeintlich unmoralische und herabsetzende Vergleich gegeißelt, auch dann noch als sich eine große Schar jüdischer Überlebender des Holocausts für die gelungene Parallele aussprach und eine Ausstellungsserie zu diesem Thema unterstützte, denn aus ihrer Sicht heraus gibt es kein passenderes Gleichnis für den Holocaust als die Massentierhaltung und die industrielle Tötung .
Rassismus, Sexismus und Speziesismus sind die Trinität der Unterdrückung und können nur gemeinsam abgelehnt zu einer allgemeinen Barmherzigkeit und ethischen Weiterentwicklung des jetzt noch so barbarischen Technokraten „Mensch“ leiten. Frieden gedeiht nicht im Widerhall eines Schlundes voller Opfer von Gewalt und Mord. Ich glaube dass die generelle Ächtung der Gewalt gegen leidensfähige Kreaturen einen umso größeren Schub gegen die weltweite Gewaltspirale, Unmenschlichkeit und Ausbeutung auslösen würde. So naiv und weltverbesserlich diese Forderung auf den ersten Blick auch wirken mag, so tiefgreifend könnte dieser Paradigmenwechsel unsere im Strudel der egoistischen Konflikte zu ertrinken drohende Welt verändern. Veganismus als Schlüssel einer neuen Achtung vor jeder leidensfähigen Kreatur egal welcher Spezies, Geschlecht und Rasse wäre vielleicht der Eintritt in die nächste Ebene des ganzheitlichen Menschwerdens, ganz nach Albert Einstein: “Unsere Aufgabe ist es, uns selbst zu befreien, indem wir die Sphäre des Mitleids auf alle Lebewesen ausdehnen“.
Fantasie eines idealistischen Spinners würde mein Biolehrer sagen und sich wieder dem Studium der Anatomie zuwenden. So bekam es bestimmt oft auch Leonardo Da Vinci, der große Anatom, Physiker und Philosoph zu hören als er über eine Flugmaschine philosophierte. Aber der große Visionär sollte Recht behalten. Hoffentlich auch sein umso größeres Zitat:“ Der Tag wird kommen, wo das Töten eines Tieres genauso als Verbrechen betrachtet werden wird wie das Töten eines Menschen“

Fotonachweis: Gunnar Richter Namenlos.net

Dark Side of the Earth (2005)


Irgendwo in der dritten Welt der schwarzen Szene, auf dem Kontinent des indianischen Gothic – eine Welt die man in europäischer Überspanntheit allenfalls auf Fußball und folkloristischen Tanz reduziert. Und in der Tat: Hier im äquatorialen Süden entspricht oberflächlich vieles dem Klischee einer streng unterteilten Klassengesellschaft. Die bettelarme, immer am Existenzminimum kauernde Unterschicht, die sich und ihre Träume längst vergessen hat, vegetiert kaum wahrgenommen am Rand und in kleinen Biotopen isoliert. In unmittelbarer Nachbarschaft daneben jene sich selbst ausbeutende Mittelschicht, die im Kampf gegen den Abstieg und um das bisschen Wohlstand ihre Gesundheit und Lebenszeit riskiert. Über allem, die aus dem Trüben heraus waltende Macht der kriminellen Oberschicht, deren unsichtbare Klauen bis in den letzten Winkel der übervölkerten Metropolen zu reichen scheinen. Mitten in der schwülheißen, kaum abgekühlten Sommernacht bewegt sich eine schwarze Masse gespenstisch virtuos im dröhnenden Schalltrichter einer kurzfristig umdekorierten Tiefgarage. Das matt flackernde Licht weniger, fast erblindeter Scheinwerfer taucht das Szenario in ein filmisches Ensemble hingebungsvoller Gesichter auf deren Konturen die huschenden Schatten ein filigranes Minenspiel inszenieren. Es ist Sonntag und die Gothics dieser Welt feiern ihre wöchentliche Auferstehung aus dem Alltag des Versteckens. Die Maske des pflichtschuldigen und sklavischen Dienstleistens an einer gnadenlosen Gesellschaft abgestreift, fordert das ausgehungerte Selbst seinen Aufsehen erregenden Tribut. Die Musik klingt verzerrt und findet ihren Widerhall in den dunklen Katakomben der Tiefgarage, währen der Hochtöner den eigenen Kontrapunkt zur düsteren Kadenz aus verzerrten Mollakkorden und monoton treibenden Hämmerschlägen intoniert. Die quälenden Gesänge einer ungreifbar fernen Welt durchweben den Raum mit sinnstiftender Tiefe, deren ergreifende Wahrhaftigkeit mich erschaudern lässt. Da ist sie, die Sonnen abgekehrte Seite der Gesellschaft, das Fest der Endlichkeit im Angesicht des schwarzen Nichts. Ich schmunzle als ich an die illegal angebotenen Kopien unserer CDs denke. Diese „Dritte Welt“ Street Promotion hat keinen einzigen Cent gekostet und ermöglicht es uns jetzt in dieser fernen Welt zu gastieren. Ein kleiner Gothic mit dunkler Sonnenbrille stolpert im Schummerlicht auf mich zu. Sein radebrechendes Englisch lässt mich schmunzeln, zumal mein eigener Wortschatz wegen der vielen hochprozentigen Drinks auch keine qualifizierten Konversationen zulässt. „Want listen my music ? I make band and record my studio“ Mein Dolmetscher, selber Gothic teilt mir Weiteres mit: Es handelt sich um den bekanntesten Gothic Produzenten der Millionenmetropole und er möchte mich gerne in sein Studio einladen um mir ein bis zwei Demos vorzuspielen. Neugierig und angetrunken freue ich mich auf die klangliche Abwechslung eines Tonstudios, auch wenn mir der Diskobesuch mit hundertprozentiger Sicherheit schon jetzt ein morgendliches Nachläuten der Hochtöner garantiert. Allen Warnhinweisen der einschlägigen Reiseliteratur zum Trotz kann uns der etwa einstündige Fußmarsch an zwei unbeleuchteten und Seelen verlorenen Elendsvierteln vorbei kaum erschrecken, denn unsere Tarnung könnte nicht besser sein, erwartet man hinter einem schwarz gekleideten Gothic in diesen Breiten kaum mehr als Aidsinfektion, Homosexualität und Arbeitslosigkeit – im schlimmsten Fall einen gewaltbereiten Drogendealer, dem man besser aus dem Weg geht. Als wir den dunklen und leergefegten Gängekomplex erreichen, verrät sich schnell das örtliche Tagesgeschäft. Den beißenden Geruch verrottender Essensreste in der Nase und über zerbrochene Gemüsekisten stolpernd, verheißt uns unser nächtlicher Führer gestenvoll, vor einer mit vielen Vorhängeschlössern verbarrikadierten Türe innezuhalten. Im spärlichen Licht eines Feuerzeugs findet er die passenden Schlüssel nur unter Flüchen und so dauert es mindestens zehn Minuten bis das letzte Schloss die rostigen Scharniere der Eingangspforte freigibt. In absoluter Dunkelheit tasten wir uns durch einen Vorraum und eine weitere, klapprige Türe bis zu einem Sicherungskasten. Kleine blaue Blitze zucken aus dem Schränkchen während langsam flackernd die ersten Neonröhren erwachen und den Blick auf eine schäbig gestrichene, nicht größer als drei auf drei Meter bemessende Kammer werfen, deren Wände mit vergilbten Postern der Szenegrößen aus Europa in dicken Schichten verklebt sind. Ein einsames Keyboard, eine Basstrommel, ein daran mit Gaffaband notdürftig befestigter Schellenkranz und ein kleiner Gitarrenkofferverstärker dessen abgelöste Bespannung den Blick auf den durchlöcherten Lautsprecher freigibt, sind die wenigen Utensilien, die auf dem verkrusteten Teppich zu einem beispiellosen Stillleben arrangiert wurden. Als eine weitere Röhre aufblitzt, werden wir einer kleinen Luke gewahr, die scheinbar als Einstieg in einen weiteren Raum dient. In der winzigen Kammer drängen sich ein sechskanaliges Kleinmischpult, ein schräg an der Wand befestigter, defekt flackernder Computermonitor und eine vergilbte Tastatur, auf der kaum mehr die Buchstaben zu erkennen sind. Zwei kleine, von den Neonröhren zum Brummen animierte Lautsprecher einer Kompaktanlage zieren die andere Seite des schmalen Korridors, der in eine winzige Toilettenkabine ohne Türe mündet. Stolz präsentiert uns der Studiobesitzer sein Harddiskrecordingsystem auf dem altersschwachen Windows 95 Computer und reißt mit einem lautstarken Boxenknallen den winzigen Masterregler des Mischpultes auf. Da ist er wieder, der Klang dieser anderen Welt, das ängstliche Aufbäumen der in der Endlichkeit begriffenen Seele. Der Sturm und sein Drängen. Andächtig lausche ich der Darbietung bis in die frühen Morgenstunden und vergesse wie nebenbei die klangliche Katastrophe der Aufnahmen.
Viele Monate später sitze ich mit einem verwirrten Künstler aus dem fernen Osten im Backstageraum eines großen Sommerfestivals in Deutschland. Der erste Auftritt im Vorprogramm des Events, die gespielte Coolheit der Promoter und das geschäftige Treiben der geschwätzigen Armeen von Dienstleistern an der schwarzen Sache lässt in zweifeln. Nur wenige Besucher hatten sein Set verfolgt, denn die Auftritte der eigentlichen Headliner sind erst viele Stunden später geplant, viele der Gäste erreichen erst jetzt das Festival Areal. Eigentlich ist alles gut über die Bühne gegangen und die frisch rekrutierten Mitmusiker haben ihren Job mit Bravour bestanden, aber der Funken des ambitionierten Auftritts vermochte es nicht, das verwöhnte Publikum zu entzünden. Eine Band im trendigen Punkgothoutfit fällt am Nebentisch durch zotiges Krakele auf und zieht so die Aufmerksamkeit auf sich. Die Punkattitude als Plattitude einer imagegerechten Ehrlichkeit vorschützend, ist ihnen ihre eigene Basis und Herkunft längst fremd geworden. Die bräsigen Kommentare kulminieren in der mit suffisanten Lächeln vorgetragenen Geringschätzung des Equipments der Vorgruppe. Das „Kinderschlagzeug“ und die „Billiggitarre“ werden belächelt und die Peinlichkeit eines Auftritts mit armseeligen Instrumenten verhöhnt bis der Manager der Truppe zum Auftritt ruft und die Pfauenpunks den Backstage in Richtung Bühnenaufgang verlassen. Als sie die ersten Akkorde aus ihrem geldstarrenden Equipment erklingen lassen, kann die klangliche Brillianz kaum die musikalische Plattheit kaschieren. Der Hochtöner klirrt ein wenig und persifliert die fantasielosen Harmonien mit einem seltsamen Klimpern, das nur zu sehr an den Auswurf des Goldesels erinnert. In meinem geistigen Ohr erklingt jedoch längst der Kontrapunkt der anderen Seite des Äquators.
 

Das Universum in der Nußschale (2002)

An einem Mittwoch, kurz vor Mitternacht klingelt die Mailbox und speit knapp ein Duzend Hiobsbotschaften und Erinnerungen blechern und verzerrt in meinen lädierten Gehörgang, der von den vielen Überstunden lauter Studioarbeit bereits arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. „Wo ist das Master ? Warum ist das Demo noch nicht fertig ? Wann kommt der Vertrag ? Wie weit ist die Kolumne ?“ Es brennt schon wieder an allen Fronten. Gleichzeitig versammeln sich die dank ISDN nur langsam eintrudelnden Emails auf dem Bildschirm zu einer endlos langen Reihe von bösartigen und aufmerksamkeitsfressenden Erinnerungen und Aufforderungen. Eine Armee finsterer Vorahnungen und verdrängter Aktivitäten. Rastlos im Laufrad zwischen Mischpult und Schreibtisch gefangen, ist der Winter bereits fast vorbei. -Ein nur durch die Scheibe wahrgenommenes Schauspiel, dessen idyllische Beschaulichkeit nur noch in der verblassenden Kindheitserinnerung existiert. „Wie lange ist es her, seit du deine letzte Schnellballschlacht geschlagen, den letzten Rodel auf einer Buckelpiste in den Abgrund gejagt und dann die tauben Zehen im heissen Wasser wiederbelebt hast ?“ Ein Donnergrollen verzerrter Schlagzeugwirbel und Mikrofonfeedbacks aus dem Aufnahmeraum reißt mich schrill ins Jetzt zurück. Der Zeitplan drängt, denn das CD Master muß rechtzeitig ins Presswerk, um dann direkt in den Undergroundschlund, das scheinbare „Faß ohne Boden“ geworfen zu werden. Die Szenemaschinerie mit ihren Triebwerken Promotion, Werbung, Presse und Vertrieb verbrennt unaufhörlich Treibstoff, während der brennwertige Nachwuchs ungeduldig in den Startlöchern scharrend, auf die versprochene Studiozeit wartet und sein sehnlichst erwartetes Debut bereits auf dem Weg an die Spitze der Szenecharts sieht.
Der Monat ist schon wieder vorbeim die eigenen, neuen Songideen schlummern schon wieder im Demovorruhestand. DJs und Musikerkollegen drängen auf Remixe und den Startschuß zu in lichten Stunden gemeinsam erdachten Konstrukten und Projekten, die im scheinbar so grenzenlosen Zeit und Raumkontinuum, nur auf die richtige Muse und Gelegenheit zu hoffen glaubten.
Doch der physikalische Vektor meiner Existenz, in seiner relativisitischen Zeitblase gefangen, scheint die Grenze der Lichtgeschwindigkeit gerade im „Einstein“-Jahr zu durchbrechen. Seit Wochen und Monaten rastt die Zeit förmlich dahin. Ohne je Luft zu schnappen, eile ich von Termin zu Termin um dann im Doppelschichtbetrieb durch die Produktionen zu hetzen: Tag und Nacht mit rot geränderten Augen. Je älter man wird, heisst es, umso schneller vergeht das scheinbare Empfinden von Zeitabschnitten, also die Zeit, da jene Erfahrungswerte für große Zeitintervalle stetig wachsen und im Rückblick oft unbedeutend und kurz erscheinen. Über die Gestalt des verinnenden Etwas und seine Wahrnehmung in der Gegenwart verrät mir das jedoch nichts, denn das ist nicht die Art der Zeit…. Die vielen Vorsätze, noch zur Jahreswende fokkusierte Langzeitziele sind bereits drei Monate später in unerfüllbare Weite gerückt, einem filmischen Seitenplot entliehene Aufmerksamkeiten und Zugeständnisse des Unterbewussseins an ein erfüllt erwünschtes Leben. Mir ist übel und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen der knappen Zeit für Familie und Haustiere. Mein sonst grenzenloser Optimismus scheint die Lage nur ungenügend zu kaschieren. Ein kleiner Dämpfer noch und meine Laune ist für Tage dahin. Ein kurzes, lamorjantes Quäken weckt mich aus den zermürbenden Gedanken. Die kleine, quirlige, bisweilen hysterische Hundedame Ronja schaut mit einem nachdenklichen Augenaufschlag und einem schrägen Kopfnicken zu mir, fordert mich sogleich mit heftigem Schwanzwedeln zu einem Spaziergang in die hereingebrochene Nacht auf. Die Tür öffnet sich und ein schneidend bissiger Wind pfeifft herein, drückt die Tür bis zum Anschlag auf und bläst Flocken von den Schneeverwehung der nahegelegenen Anhöhen ins Treppenhaus. Die unwirtlichen Umwelt läßt mich instinktiv noch tiefer in meine Winterjacke kriechen, während die Hündin freudig und verwegen in die Kälte stapft. Ein paar Schritte vom Haus entfernt, an der Waldlinie entlang und den Hügel hinauf haben sich die Augen auf die Dunkelheit eingestellt und lassen die eben noch so tonnenschweren Sorgen auf einen Schlag verblassen. Ich tauche in ein atemberaubendes, fast unwirkliches Naturgemälde aus blauschwarz strahlenendem Himmel und bläulichweisser, dicht glitzernder Schneedecke ein. Der Pulverschnee scheint durch die kurze Tagessonne an der obersten Schicht geschmolzen zu sein, um dann in der bitterkalten Nacht zu einer dünnen und fast reflektierenden Spiegelschicht zu erstarren. Die Wälder heben sich in einer gespenstischen Pracht ab und werfen einen langen Schatten im fahlen Halbmondlicht. Alles scheint zu leben und doch für einen endlichen Moment innezuhalten. Und dann der Blick nach oben. Die gleissend klare Pracht der Milchstrasse läßt mich atemringend erschauern. Wie in einem Rausch lassen die Sternbilder klar und leuchtend die Zeit gefrieren. Das Abbild dessen ich teilwerde ist Millionen Jahre gereist , ein Blick in die Vergangenheit, Denkmal einer einzigartigen Kreation: Die Sternbilder, die ich erkenne, wiesen bereits den ersten Seefahrern vor tausenden von Jahren den Weg zu heimischen Gestaden und liessen das heliozentrische Weltbild der frühen Gelehrten schwanken. Das Sonnensystem ist nur ein Brotkrumen in Atlas´ Provianttasche der Galaxien, denn er trägt schwer am Universum, dank schwarzer Materie neuerdings auch noch eine unsichtbare, dunkle Materie huckepack.
Staunend rufe ich mir die Theorie einiger Quantenphysikers ins Gedächtnis: Das Universum inklusive uns und anderen angenommenen Spezies könnte eine Simulation in einem Quantencomputers sein, in dem wir nicht mehr als die flackernden Impulse der virtuellen Leiterbahnen sind. Stillschweigend vorausgesetzt, es gibt eine höhere Entität, die dazu fähig wäre und auch den Zweck einer simulierten Nemesis sehen würde. In einem ebenso angenommenen Paralleluniversum der vielen Multiversen könnten wiederum ein simuliertes Universum unserer Schöpfung entspringen und so weiter und so fort.
Der Millionen Jahre alte Blick ins Gestern einer vormenschlichen Zeitrechnung läßt mich erschauern und die physikalischen Phantasien verblassen. Wir sind aus Sternenstaub zu einer kurzen Momentaufnahme am Rande unserer Milchstrasse zu einem hochkomplexen System aus organisierter Energie und Materie geformt und werden wie ein kaum wahrnehmbares Flackern der Sterne mit samt unserer Sorgen und Nöte, Kunstfertigkeiten und Wissenschaften als Teil des ewigen Kreislaufes weiterfliessen. Das Licht der Gegenwart eines jeden dieser Fixsterne wird weder unser Antlitz, noch das unserer Urahnen beleuchten, denn wir leben im ewigen Gestern unserers Universums gefangen und rauschen dennoch in Hast und Unrast durch dieses so unendlich kurze Dasein. Eine Sternschnuppe leuchtet kurz und erhaben über dem Firmament auf und erlischt wieder, als ich bereits meinen geheimen und ach so irdischen Wunsch gedacht habe.
Zurück zu Hause legt sich Ronja vor den flackernden Kamin, streckt alle Viere von sich und rollt mit einem genüsslichen, tieffrequenten Raunen im Schlummerposition. In Gedanken bin ich bei dem hunderttausende Kilometer entfernten Kometen, der im Vorüberziehen vielleicht bereits in einer anderen Welt Glück verspricht.

Drei Nachrufe und kein Todesfall (2004)

In einem Hinterhof unterhalb der Gebetsräume einer Moschee und in der unmittelbaren Nachbarschaft zu einem türkischen Gemischwarenhändler, lag das Paradies meiner musikalischen träume und der Zweitwohnsitz eines jeden Musikers der Stadt. Clydes Musikladen war eine einzigartige Begegnungsstätte der Tonkünste: Hier traf der zugekiffte Hippie auf den elitären Jazzer, der geckenhaften Top 50 Musikant auf den Wave und Punk-Musikanten meiner Generation. Hier wurde das neue Demotape zum ersten Mal den staunenden und bisweilen unfreiwilligen Grenzgängern der Kulturen zur konstruktiven Kritik vorgespielt, das nächste Konzert angekündigt, Kaffee getrunken oder auch mal ein Satz Gitarrensaiten gekauft. Meistens jedoch suchte man nach dem ersten Beschnüffeln der „anderen“ Spezies Musiker eine stille Ecke um die neuesten Errungenschaften der Musikinstrumentenindustrie anzutesten und der Hintergrundkakophonie aus „Smoke on the Water“ Akkorden und dem unsagbaren „Jump“ Keyboardsolo von „Van Halen“, welche mit Jazzchordtupfern aus der Akustikgitarrenecke und den holpernden Fillins eines Schlagzeugnovizen aus der Drumkabine konkurrierten, zu entkommen.
Der Besitzer des Ladens, Clyde, seines Zeichens ehemaliger Profigitarrist, Stoiker, manchmal Phlegmatiker – je nach Betrachtungswinkel und Tagesform – war immer für ein Schwätzchen zu haben. Als Katalysator und Informationsdestillerie in Unität konnte man nirgendwo effizienter Informationen über die wirklich relevanten Synthesizerneuheiten oder den lokalen Bandtratsch, inklusive Musikerbörsendaten einholen. Vielleicht deshalb kaufte man hier seine neuesten Schätzchen, zwar ein bisschen teurer als bei diversen Großmärkten, aber mit der Gewissheit, keinem Verkaufstrick aufgesessen zu sein. So wechselte auf Empfehlung von Clyde auch im Jahre 1986 ein äußerlich ganz und gar missglückter Tonerzeuger seinen Besitzer, der „Microwave“. Die Edelschmiede „Waldorf“, die bereits in den späten Siebzigern Furore mit schrankgroßen Sounddinosauriern wie dem „Waveterm“ gemacht hatte, stattete ihren kleinen, aber lauten Spross mit einer quitschend blauen Frontchassis und einem riesigen roten Drehknopf aus, der am „Rednoseday“ jeden Clownnasenträger vor Neid erblassen lässt. Entgegen seiner Optik glänzte der hässliche Bolide durch seine warmen bis metallischen Wechselspektren und wurde dank seines revolutionären Konzeptes ein essentieller Klangbaustein vieler Künstler. Bereits Kraftwerk und Gary Newman hatten mit dem EDV Schrank der Vorzeit Sounds programmiert und die äußerlich geschrumpften Neuentwicklungen von „Waldorf“ sollten noch eine Generation später Bands wie „Depeche Mode“ oder „Nine Inch Nails“ inspirieren. So war es kein Wunder dass auch wir in den späten 80er diesen neuen Klangbaustein begeistert in unsere Kompositionen einfließen ließen. Unser erstes Demotape „Satanische Verse“, natürlich in Clydes Musikladen stolz präsentiert, sollte jede unserer Erwartungen übertreffen und innerhalb kurzer Zeit einem neuen Genre Vorschub leisten. Zum damaligen Zeitpunkt war mein Wissen um das Musikbusiness beschränkt, Vertriebsstrukturen gänzlich unbekannt und die ersten Abfuhren etablierter Labels, die schon damals eher buchhalterisch als kreativ arbeiteten, mehr als niederschmetternd. Umso überraschender kam der Anruf eines Vertriebes Namens „EFA“. Der junge Disponent namens Sascha half mir bei der Labelgeburt und unterstützte das junge Musikkombinat „Danse Macabre“ tatkräftig. Im Laufe der Jahre sollten wir als kleiner Teil in die Geschichte des bereits Ende der Siebziger aus dem sich aufklärenden spirituellen Kommunendampf der „Ton, Steine, Scherben“ Ära hervorgegangen Vertriebes eingehen.
Das Konzept war neu, die Begriffe „Independent“ und „Alternative“ waren noch mit Leben zu füllen und untrennbar mit der Geburt des Mottos „Energie für Alle“ von „EFA“ verbunden. Man wollte die Diktatur des gesteuerten Geschmacks der Großkonzerne aufbrechen, eine befreiende Revolution der Kunst, Politik und Geisteshaltung einleiten und kleinen, sich selbst vermarktenden Künstler-Kollektiven wie auch uns ein Podium bieten. So entstand für Gothic, Darkwave und Industrial Stile über die Jahre ein breites Repertoire auf professionellen Niveau: Labels wie die frühen „Gymnastic“ mit „Deine Lakaien“, „Danse Macabre“ mit „Das Ich“ oder „Placebo Effekt“, später dann „Accession“ mit „Diary Of Dreams“ oder „Trisol“ mit einer Unzahl an Bands wie z.B.„Janus“ und „L´Ame Immortelle“ fanden bei EFA ein warmes Zuhause.
Jetzt im neuen Jahrtausend nach der Einführung des Internets und dem weltweiten Siegeszug der Globalisierung ist alles anders und doch wie lange vor den frühen Aufbruchstagen.
Clydes Musikladen, die Instanz der regionalen Bandszene musste seine Pforten schließen. Die Kunden wurden weniger, testeten bei Clyde höchstens die Instrumente an und bestellten dann bei der preiswerten, unpersönlichen Hotline ohne Support.Auch die Musiker sind andere: Man konstruiert und programmiert virtuelle „Legomusik“ am Bildschirm und scheut den Griff in die realen Tasten. Hardware ist out und auch „Waldorf“ ist die Luft ausgegangen, die schmackhaften Brocken werden bestimmt bei dem folgenden, globalen Leichenschmaus per „Outsourcing“ und „Restructuring“ neu „gelabelt“ und geschmacksneutral als Software höchstbietend „marketed“.
Zuletzt fielh EFA, die Geburtsstätte des „Independent“ Begriffes und mit ihr eine Vielzahl von kleinen, ideell geführten Undergroundlabels.
Vergleichsweise blutleer und erschreckend visionsfrei wirkt neben dem Credo der Anfangstage von EFA das globale Jetzt. Sind das die Früchte der Globalisierung ? Wenn ja, sind sie bitter und schmecke nach Verrat an vielem was heilig schien.
Clyde hat jetzt weder Zeit für ein Schwätzchen noch gibt es den Gratis Kaffee.
Als Angestellter eines großen Medienkaufhauses muss er jetzt den schnellen Umsatz generieren…

Mai 2000

Fotonachweis: C-C Aurelius7_2000

Clowns und Helden (2007)

Der wie aus einer Kehle gellende Jubel der über 6000 Mexikaner ist schmerzhaft laut, während die Luftfeuchtigkeit und Temperatur Saunaniveau erreicht hat. Das Licht der stählernen Traversen am Bühnenhimmel blendet uns und unterstreicht die gespenstische Unwirklichkeit der Szenerie.
„Kramm“, der unerbittliche, fast bellende Ruf meines Physiklehrers weckt mich aus dem Dämmerschlaf der fünften Stunde. “Wie war das mit dem Hitzekoeffizienten“. Stotternd entfährt mir „Ganz schön heiß wars“ und bemerke endgültig, das der Bühnentraum dem muffigen Klassenzimmer gewichen ist, während mich der zwischen Mitleid und Abscheu pendelnde Blick des Lehrkörpers straft. Die Müdigkeit des durchgefeierten Wochenendes steckt noch in meinen Knochen und die Nachwirkungen des „großen Pause Joints“ mit meinem Kumpel Heinrich haben meinen Adrenalinspiegel nahe der Nullgrenze gesenkt. Der fast schon obligate Wochenantrittsbesuch beim Direktor meiner so genannten höheren Schule wegen dauerhafter Absenz inklusive dem Hinweis auf eine zerstörte Zukunft und das Absacken ins soziale Abseits können mich eigentlich nicht mehr beeindrucken, denn meine Gedanken sind auf der billigen Ikea Couch des Schulleiters längst zu meiner eigentlichen Obsession abgewandert, welche schon längst Überhand über das Ideal des bürgerlichen Abiturs gewonnen hat. Allein die Anzeige des Hausmeisters wegen Konsum von Haschisch im Fahrradkeller gibt mir zu denken. Neben dem schulischen Glanz läuft alles zur vollsten „Zufriedenheit“: Mein neu erstandener, während den Sommerferien bei Mac Donalds mit Kloputzen finanzierter Juno 106 Synthesizer hat den Geist aufgegeben, die dritte unpersönliche Labelabsage – diesmal von Mute Records – hat uns vor dem Wochenende die motivierende Makulatur für ein Konzert zuteil werden lassen, das unseren Ruf als Spinner von Bayreuth festigen sollte. „The Dying Moments“, das sind mein Kollege Stefan, die zwei verstrittenen Meierbrüder am Drumcomputer und ich. Zusammen sind wir die erste und anscheinend einzige Waveband Frankens, sofern dieser Begriff schon existent ist. Unser Auftritt im versifften Industrieviertel zwischen Knast und Sozialgetto wurde von knapp 30 Gästen verfolgt, die sich in erster Linie aus lokaler Stadtpresse, hämeschmiedender Klassenkameraden meines Gymnasiums und einem Dutzend Alkipunks zusammensetzten. Die Punks nannten sich „Prohls“ und waren so was Ähnliches wie unser Fanclub, das heißt nur wenn wir einen Kasten Bier und Korn bereitstehen hatten.
Rein technisch gesehen war der Auftritt auf hohem Niveau, denn das aus der Uni gestohlene Trockeneis im Kochtopf mit Tauchsieder hätte noch einer ZDF Hitparade zur Ehre gereicht, die Tonanlage war für den damaligen Stand der Technik äußerst klanggewaltig, hatten wir doch die einzelnen, aus verschiedenen Musikläden gemieteten PA Komponenten zu einer großen, einzigartigen und noch nie in Bayreuth gehörten Surroundanlage zusammengeschlossen und eine eigens für diese Show inszenierte Bühnenshow zwischen Blutbad und archaischen Mönchschören inklusive Bühnenfeuerwerk abgebrannt. Leider war unsere Kenntnis über Livesound beschränkt und die Feedbacks schossen erbarmungslos aus allen vier Boxen und brannten zu allem Ungemach ein paar der Lautsprecher durch.. Leider hatten wir zwecks Bewerbung und grenzenlosen Nacht- und Nebel Plakatierung der Stadt Bayreuth zu wenig Zeit für Proben eingeplant und unsere Texte und Einsätze größtenteils vergessen. Das Konzert wurde dann eine der kurzweiligsten Veranstaltungen, die Bayreuth je sah: zumindest für uns. Die Presse überschlug sich Tags darauf mit empörten Darstellungen unseres als satanistisch eingestuften Spektakels und dem Hinweis auf die textlichen Lücken und den musikalischen Dilettantismus der Show. Ganz anderer Natur war der Spiesrutenlauf in den Leistungs- und Grundkursen meiner Kollegstufe. Schweigendes Kopfschütteln war die freundliche Variante, während andere in sinnlosen Übertreibungen meinen geistigen Krankheitsgrad stilisierten und meine Karriere als Kommastelle in der kommenden Jahresstatistik der Drogentoten prognostizierten. Einziger positiver Nebeneffekt war das schlagartige Ende der ehemals endlosen Fragen nach meinen seltsamen Hobbies, Neigungen und Erscheinungsbild, denn die Erklärung war ja perfekt: Satanismus… „Kramm“, reißt mich ein stöhnender Aufschrei des Direktors aus der geistigen Revue meiner letzten Tage. „Sämtliche Sportnoten des letzten Semesters müssen sie heute nachtragen, da sie noch kein einziges Mal anwesend waren“.. – Kein Wunder, die musikalischen Nachmittage konnte ich auf keinen Fall den Reckübungen opfern.-
„Was man über Sie und ihre seltsamen Freunde in der Zeitung liest, erhärtet sämtliche Vermutungen meines Lehrerkollegiums. Sie sollten im gegenseitigen Interesse die Schule verlassen.“ – Nicht schon wieder…hatte ich doch erst letztes Jahr in die Kollegstufe eines neuen Gymnasiums gewechselt.
Konsterniert und ein wenig bedröhnt wanke ich nach Hause und schlafe mich erst mal von den Strapazen des selten in Anspruch genommenen Schulalltags aus.
Jahre später – wir hatten bereits einige Scheiben veröffentlicht -, traf ich ein paar meiner ehemaligen Klassenkameraden, die mich neidvoll und wissbegierig nach unseren Tourneen in USA und Mexiko befragten. Plötzlich waren die alten Geschichten Kult und mein Aufbegehren in der Schulzeit revolutionäre Anekdote, selbstredend wusste ja schon damals jeder über den positiven Verlauf meiner Karriere Bescheid. Ironie des Schicksals: Selbst an der Banklehre und viel zu früher Familiengründung gescheitert, gelten wir plötzlich als die Gewinner im Spiel des Lebens.
Fragen mich heute Nachwuchsbands nach der Absicherung und dem Einstieg kann ich nur antworten:
Die Grenze zwischen Clowns und Helden ist sehr schmal…

Rendite der Menschlichkeit, 2005

Die rohe Gewalt vieler Millionen Volt lässt den Himmel erglühen und taucht das geblendete Auge in eine zäh schwarze, Ehrfurcht gebietende Dunkelheit. Die Welt scheint den Atem anzuhalten, bevor ein Donnerschlag das tiefschwarze Firmament in einem Trommelwirbel der Kräfte zerreißt, der nicht von dieser Welt zu stammen scheint. Die schwachen Überlandleitungen können diesem Naturgebot nicht standhalten und unser kleines Dorf versinkt in der Dunkelheit. Hier auf dem Gipfel der kleinen Anhöhe steht die Zeit – ob tausend Jahre vor oder nach unserer Zeitrechnung – die Gedanken wären die Gleichen. Jene, der Natur mit Geist und Ausdauer abgerungenen Fortschritte der menschlichen Zivilisation verschwinden im Widerschein dieses unterwerfenden Schauspiels der Naturkräfte. Nur an den sicheren Feuern unserer Gestade scheint unser Wähnen und Wollen so aussichtsreich und unsere Spur in der Zeit so bedeutungsvoll. Gerade die Fortschritte der letzten Jahrzehnte scheinen in einem unglaublichen Tempo unserem Verstand und unserer Ethik davonzubrausen. Auf Oppenheimers Höhe in einem Spagat zwischen philosophischer Erkenntnis und wissenschaftlicher Möglichkeit begriffen, trat ein letzter Funken von Mitmenschlichkeit an die Stelle der berechnenden Rationalität und warf die Frage auf, ob die Feuer der Erkenntnis uns nicht zu verschlingen drohten. Das berühmte Zitat Einsteins, er würde nicht die Waffen des dritten Weltkriegs kennen, sich jedoch der Steinkeule im darauf folgenden Konflikt sicher sein, erweckte in vielen technikgläubigen Adepten der pränuklearen Periode den letzten Funken Überlebensinstinkt. Im Leuchten der tausend Sonnen Hiroshimas und Nagasakis, sah man die Welt bereits dahin schmelzen, doch bereits eine Generation später sind die weltumspannenden Weltkriege für die menschliche Erinnerungsfähigkeit zu Druckerschwärze in trockenen Geschichtsbüchern geronnen, dessen Papier ja bekanntlich sehr geduldig ist. An Stelle der Mitmenschlichkeit ist ein finsterer Zug eingekehrt, der den Egoismus zentriert und die Raffgier zu einer erstrebenswerten Insignie der globalen Machtschöpfung erkoren hat. Zur Führungselite herangereift, sind die Kinder jener yuppie-esken Jugendbewegung längst in ein technikgläubiges Profit- und Gewinnwesen transformiert, das die Moral der Aufklärung verlacht und die Zukunft in einer Monopolystrategie begreift. Soziologisch fantastisch pragmatisch und rückständig, denn einerseits nur in kleinen Strukturen den Gewinn an das eigene Rudel verteilend, auf der anderen Seite in globalen Strukturen jedermann und jede Sache ausbeutend, verhält sich diese Spezies weit unvernünftiger als ihr tierisches Vorbild, das reißende Raubtier, das zumindest seinem Opfer immer einen schmalen Lebenskorridor überlässt. In ethischen Dilemmas ungeschult, Religion als Ballast begriffen und in fast nihilistischer Abkehr von geistigen Disziplinen das Kapital zur Ikone gekrönt, ist die Ausbeutung ihren letzten Siegeszug angetreten und schämt sich nicht einmal dafür. Noch nie konnte man so offen boshaft und selbstsüchtig sein, darin seinen Lebenszweck begreifen und dann prahlerisch mit den Statussymbolen auf den virtuellen Schaubühnen der Welt demonstrieren. Wohin sind die Ideen des gesellschaftlichen Aufbruchs, der die Fähigkeiten des einzelnen im Sinne einer friedlichen und geistvollen Entwicklung zum Wohle der Welt und dem Individuum einsetzten sollte? Zu gerne den schmutzigbraunen Rändern der radikalisierten Gesellschaft überantwortet um im nationalen Sudel ertränkt zu werden, dient die soziale Idee nur noch als lächerliches Mahnmal eines gescheiterten Sozialismus. Marx ist das Gespenst einer verhöhnten Kulturrevolution, gedemütigt und gegeißelt ans Kreuz geschlagen, allenfalls in Trinität der Erfolglosen neben Che Guevara und Sophie Scholl als T-Shirtmotiv dienend. Doch was ist kapitalistische Demokratie oder wohlfeil formulierte Marktwirtschaft wert, wenn sie nicht mehr der Freiheit des Geistes und der Aufklärung des Menschen dient, anstatt dessen den Arbeitnehmer versklavt und die Ketten um den Verstand schmiedet? Die moderne sozialdarwinistische Komponente ist längst salonfähig, der einzelne kämpft auf der sozialen Leiter um sein Einkommen und vergisst die Ideale und Pläne seines Lebens um dann am Lebensabend nach einer langen und ausgebeuteten Schaffensperiode angekommen auf das kleine Stückchen Schrebergartenglück zu blicken. Konditioniert vom Wahn nach dem einzigen Schatz sind jene Träume von den Grenzbereichen der eigenen Vorstellung schleichend am Wegesrand des Lebens verloren gegangen und der Angst vor Armut im letzten Lebensabschnitt, dem kleinbürgerlichen Albtraum schlechthin, gewichen. Anstelle die zunehmende Automatisierung durch Maschinen und Roboter als Aufbruch in eine neue Zeit der geistigen Erweiterung eines jeden Individuums zu begreifen, werden die persönlichen Talente im Strudel der formatierten kapitalistischen Bildungskasten nicht gefördert, zurecht gestutzt und zuletzt am Fliesband vergeudet. Ein jeder zahlt seinen Tribut an den Kapitalismus und erhält dafür scheinbar erfolgsabhängig die Ressourcen verzehrenden Resultate einer primitiven Gier: Die neuesten Handys können mittlerweile das Tagebuch als Internet Blog verwalten und die Urlaubsvideos aus den Billigflug-Tourismushochburgen aufzeichnen, während wir die bedrohlichen Anzeichen einer waidwunden Natur als Wetterkapriolen abtun, denn wenn die Wirtschaft schon lahmt, – so sagt man uns zu gerne in Zeigefingermanier – sollte man nicht jenen grünen Umweltträumereien des letzten Jahrhunderts nachhängen, die ach so giftig für unsere Wirtschaft sind. Die Kernkraft ist wieder auf der Tagesordnung und so manche Partei unseres Landes liebäugelt bereits lautstark mit der rettenden Alternative aus dem Energiedilemma – der strahlende Müllbeutel unserer Zivilisation wird Schulter zuckend der nächsten Generation überreicht. Neuerdings sind die Probleme der dritten Welt hausgemacht und nicht das Resultat unserer Kolonialpolitik, während die egoistische Abschottung unserer Wohlstandsinsel als konservatives Kredo gegen die Auflösungserscheinungen an den Rändern unserer Welt wirkt, ganz nach dem Motto: Abschottung gegen alles was weniger in der Geldbörse hat. Die Kontrahenten der zukünftigen marktwirtschaftlichen Schlachtfelder bereits im fernen Osten ausgemacht, rüstet man sich für den nächsten Schaukampf um Marktanteile. Obszön und ketzerisch werden all jene an den Pranger gestellt, die den nächsten Schritt der Menschheit in eine Solidargesellschaft jenseits des Geldes fordern. Die Wahl der weltweiten Parlamente, längst inszenierte Farce der globalen Industriedespoten wird durch die gezielte Manipulation der Meinung in den konzerneigenen Massenmedien postuliert autosuggeriert so bis in den letzten Winkel des Diesseits: Wählt den Wohlstand und wirtschaftlichen Fortschritt. Der Egoismus ist aufgebrochen, auch alle Winkel dieser Welt einzureißen und mit seiner schaurig zuckersüßen Weltsicht zu beglücken. Sollte sich das Wachstum nicht einstellen, so wird der nächste weltweite Konflikt neue Märkte eröffnen. So hat sogar die Armut ihre zweifelhafte Macht anerkannt und kämpft im Schatten eines Korans und anderen Opiaten einen schmutzigen Krieg, der weiteren Hass in die Abwärtsspirale gießt aber auch Traumgewinne und hohe Renditeerwartungen in die Kassen der Rüstungsindustrie spült. Ein weiterer Donnerschlag erdrückt die innere Stimme. Ein Blitz schlägt krachend in eine Baumgruppe gegenüber meiner Anhöhe. Im Widerschein der lodernden Flammen sehe ich Rehe aus dem Unterholz flüchten. Zuhause angelangt ziehe ich im Kerzenschein ein verstaubtes Buch über Marx aus einer lange nicht angetasteten Ecke meiner kleinen Bibliothek. „Die frevelhafte Wirtschaftspolitik spielt nationale Vorurteile aus und vergeudet in Raubkriegen Gut und Blut aller Völker. Die einfachen Gesetze von Moral und Recht müssen hier eingeklagt werden. Da die ökonomische Unterwerfung des Einzelnen unter den Eigner der Arbeitsmittel, der Lebensquellen und der geistigen Knechtschaft die Gesellschaft beherrscht , ist die ökonomische Emanzipation jenes Einzelnen der wichtigste Schritt, denn die freie Entwicklung eines jeden ist die wichtigste Bedingung für die freie Entwicklung Aller.” Die über hundert Jahre alten Sätze sind aktuell wie nie zuvor. Morgen ist Wahltag in Deutschland.

Der Tod hat überlebt, 2005

Der Wind streicht zart durch die Spitzen des hohen Grases und formt das Patchwork der farbigen Feldblumen zu einer wogenden Decke duftender Weite. Pusteblumen schenken den Samen ihres zartweichen Flaumkokons die Freiheit und senden Sie auf eine kurze Reise in den Horizont ihrer Bestimmung. Der ewig irdische Kreislauf steht kurz vor seinem lebensspendenden Höhepunkt, der Sommer neigt sich dem Ende zu und hat bereits die Botschaft seiner Wiederkehr ausgerufen.. Das Schauspiel der Leichtigkeit des Lebens spendet überirdischen Trost und man mag das allumfassende Elend vergessen machen, das um uns herum tobt. Fast ein Stückchen Religiosität erheischend, das man rational angewidert abstreift, erkennt man: Diese Schönheit ist doch nur soviel Wert wie es das Auge des Betrachters fähig ist, in seiner Vollkommenheit zu begreifen. Schönheit ohne den Sinn und dessen Erfassen ist sinnentleert und ohne Existenz. Ist diese Pracht des natürlichen Prinzips, dieses endlich Gleiche in unendlicher Vielfalt nur für menschliche Augen schön ? Unser ästhetisches Empfinden gar eine Laune der Natur oder die Evolution ihres eigenen Geschmacks und sind damit wir ihr bewusster Teil ? Oder ist Schönheit doch nur einer der vielen Gemeinplätze einer menschlichen Paarungsselektion ? Unser künstlerisch ästhetisches Wähnen nur lallendes Imitieren rationaler Naturprinzipien ? Das Gras raschelt und das halbwüchsige Katzenkind springt forsch und begeistert aus dem Busch. Sein erster Sommer offenbart ihm nach einem langen und bis zuletzt frostigen Winter ein Schauspiel voll von Mysterien und unbändigen Freuden des Abenteuers. Schwänzelnd stürzt er auf mich zu, als wolle er mir von seinen neuesten Erlebnissen berichten. Ob er meinen Gedanken folgen könnte ? Er scheint offensichtlich die Schönheit des Schauspiels wie ich zu genießen. Vielleicht sogar tiefer als ich, der nicht bis an den Grund dieses Meeres aus Grasblumen getaucht ist. Sein erster Sommer soll, so wünsche ich es ihm, der Auftakt eines erfüllten Katzenlebens werden. Ich lehne mich im Gras zurück und folge den Mustern des Formationsfluges der Vögel, die in ihrer Form dem Teppich des wogenden Grases gleichen. Den Lichtblitz der Länge meiner Existenz als einen Windhauch begreifend streichle ich mit einer angstvollen Bewusstheit der Vergänglichkeit das graue silbrige Fell des kleinen zutraulichen Katzenkinds. Die dunklen Vorahnungen eines lauernden Schicksals schnell verwerfend erinnere ich schmunzelnd an eine Begebenheit meiner Schulzeit. “Schwarz ist der Tod, unser Sein ein Gottgeschenk, Dein blasphemisches Auftreten ist boshaft” Zu gerne erinnere ich mich der Worte der Religionslehrerin, die meine Konfessionslosigkeit und mein schwarzes Äußeres zum Anlass nahm, ein düsteres Bild meiner Seelenzustände zu zeichnen ganz im Sinne einer christlich naiven „Gut und Böse” Dualität meinen Wertekanon zu verteufeln. „Der Tod interessiert Euch doch gar nicht, das so genannte Böse ist Euer schlechtes Gewissen” war meine zugegebener maßen auswendig gelernte Antwort, welcher ein langer und lautstarker Disput folgen sollte. „Eure Verdrängung des Todes besteht doch nur aus Angst und einer unterbewussten Ungläubigkeit eurer eigenen Dogmen. Doch der Tod ist immer unter uns.” Der letzte Satz hatte wie immer gesessen, denn nur zu gut kannten die meisten Lehrer mein Lied vom Tod, war doch erst vor kurzem mein Vater gestorben. Zur simplen Antipode des Lebens reduziert, fristet die personifizierte Ausgeburt unseres Endes schon sehr lange ein seltsames Nischendasein und gesellt sich als Thema gerade noch in das philosophische Unterfutter einer schwarzen Szene. Die betriebswirtschaftlichen Erörterungen der Krankenkassen, die ihm, dem einzigen Wächter ihrer Rentenkasse huldigen, fest mit seiner stetigen Wiederkehr rechnend, um auch die nächste Generation zu speisen, scheint einer der größten Konstanten zu sein. Der Tod als verdrängtes Ziel macht eine Gesellschaft und ihre Wechsel erst möglich aber auch nur allzu unpopulär, denn die Kurzweil gilt es dann in Anbetracht einer kurzen Lebensspanne schnell mit Sinnvollem zu bestücken. Als Thema heute tabuisiert und an den Rand gedrängt, gab es auch schon sinn stiftenderen Umgang mit unserem „Finale grande”. Das barocke Motto eines sinnstiftenden Menetekels und des Todesengels als Rufer der Vergänglichkeit stiftete auch immer die sinnenfrohe und enthemmte Leichtigkeit des Seins. Das kurze Gastspiel auf Erden, das es trotz all des Elends und schwarzen Todes zu einer großen Dramaturgie voller Höhepunkte zu illuminieren galt, war als barockes Thema allgegenwärtig und im Tod begriffen freudig und ausgelassen statt trübselig und zerknirscht. Die entsetzliche Dunkelheit des Todes war nur im Diesseits, von jeher religiös tradiert, der Übergang zum ewigen Jenseits und jüngsten Gericht versprach zwar ein strenges Urteil aber auch die Läuterung und ewige Glückseeligkeit. Die Authenzität dieser Erwartungshaltung heute kaum annähernd nachvollziehbar, erschrecken uns erst recht die christlichen Schlachtenrufe jener finsteren Zeit: „Tötet sie alle, denn Gott erkennt die Seinen”. Dem Tod als Fixpunkt war nichts gegen zusetzen, denn weder medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisse, noch internationale Konventionen und Gerichtshöfe, noch eine ewige Jugend versprechende Konsumindustrie waren geboren, der Tod lauerte überall weit offensichtlicher. Ganz im Gegensatz zur heutigen Gesellschaft, die in Distanz zum Tod begriffen seine Macht zu isolieren sucht: Fortschritte in sozialen Belangen, Medizin und Wissenschaft aber auch das Vergesellschaften der menschlichen Probleme in Justiz und Moral drängen den Tod ins private Abseits, in das Versagen des menschlichen Allmachtsanspruchs. Ganz im Masse des Wandels der Systeme vom Befehlsgeber und Knechtenden zum strikten Diener des Einzelnen wurde der Tod ins Private verschoben. Das krampfhafte Festhalten an lebensverlängernden Maßnahmen der Medizin, die auch über Jahre hinweg verfallende Körperhüllen am Leben hält, um ihrem eigenen Allmachtsanspruch als Herrscher über den Tod Rechnung tragen zu wollen ist das krasseste Indiz einer gestörten Beziehung zum Tod, aber auch unserem Leben. Der auf Gewinn fixierte Teil der Welt, im Reichtum badend schließt noch immer erschrocken die Augen vor dem unabwendbaren Schicksal: Das Sterben das sie mit den Toten aller Zeiten und Welten besitz- und namenlos gleichstellt. So ist in diesen Gesellschaftsschichten die Nachfrage nach kryogenem postmortem Winterschlaf besonders hoch. In diesem Vakuum ist die Todessehnsucht populärer denn je, oder wie sonst lässt sich das hochvirulente Interesse für scheinbar katharsische Grenzerfahrungen und Extremsportarten erklären. Auf den höchsten ungesicherten Gipfeln, in der dunklen Kältezone der tiefsten Meeresgründe und im Geschwindigkeitsrausch lässt die Todesnähe den Adrenalinspiegel steigen. Letztendlich häufen sich die Versuche, den so rauen und schwer begreiflichen finalen Endpunkt so aufzubereiten, dass er endlich auch ohne den philosophischen Unterbau der Metaphysik appetitlich und konsumierbar wird. Die Nachfrage nach den Todesarten aller Couleur steigt unaufhörlich, kennt scheinbar keine Grenzen: Mord, Agonie, Völker verzehrende Schlachtengetümmel, großformatige Monsterattacken aus dem All oder der Steinzeit, Erdbeben und planetare Kollisionen biblischen Ausmaßes, aber auch das persönliche biographische Leiden in Cinemascope haben den Turm sadistisch brutaler Gewaltorgien der Unterhaltungsindustrie zu babylonischen Höhen anschwellen lassen. Auch die Trivialliteratur bietet hier für den Grenzgänger eine Vielzahl an haarsträubenden Jenseits und Todeserfahrungen. Doch das eigentliche Sterben bleibt finster und einsam, isoliert im Sterbetrakt der Intensivmedizin hinter dicken Schleusen und Sichtfenstern um die Distanz zu wahren. Das qualvolle individuelle Sterben ist die Randnotiz und das massenhafte Sterben ein Medienereignis. Die moderne Sterbemedizin und Sterbehilfe wird jedoch schnell zum gesellschaftlichen Kainsmal, das stellvertretend für das reale Sterben mit Vorurteilen und moralischen Disputen bedacht wird. Glücklich wer im Kreise seiner Liebsten sterben kann und die Transformation bewusst vollzieht. Wer das Lichtspiel im Wasserfall des Lebens begreifen will, muss ihm den Rücken zukehren und zur Sonne blicken. So auch der Tod, der unserer in der Dualität von Materie-Körper und Energie-Geist schwingenden Existenz ein dunkles Spiegelbild schenkt. Mit Tränen in den Augen und dem angstvollen Unterton, der in mir sämtliche Sinne in unheilvolle und erschrockene Erwartung versetzt, ruft mich in das Jetzt zurück. Ein kleines Stück graues Fell in der Hand, unfassbar und unfähig das Erblickte in Worte zu fassen hat meine Frau die leblosen Überreste des kleinen Katers gefunden, der offenbar in seiner naiven Neugier von einem Fuchs erlegt wurde. Der Tod hat wieder seine Fratze gezeigt. In Tränen aufgelöst begreife ich: Die Schönheit dieser Welt ist Oberfläche über einem unheilvollen, alles verzehrenden Schlund der kalten Wahrscheinlichkeiten, mein Wähnen nur ein Aufbäumen gegen die unumstößliche Wahrheit des verschwenderischen kosmischen Flusses des Vergehens und Werdens. Die Suche nach Erkenntnis scheint umso schmerzhafter. Je weiter sie einen treibt, je mehr Antworten sie liefert und entschlüsselt, umso tiefer scheint der Schlund dieser dunklen Unwissenheit und der eigenen Dummheit. Und doch: Das Erkennen, das Zusammenweben der Relativismen, scheinbar nicht zusammengehörender Zusammenhänge aller Disziplinen zu einer holographischen Konstruktion unseres Verstandes vertieft die Fähigkeit des nonverbalen Verstehens und den Umgang mit der eigenen Erkenntnis, seinen Metaphern und dem was uns geschieht mit einer einfachen Wahrheit: Lebe Dein Leben !