Elektronisches Musizieren – hätte es das je gegeben – ist längst ein Allgemeinplatz geworden, denn streng genommen ist mittlerweile jede durchschnittliche Rockproduktion das Kind des elektronisch digitalen Audioprozesses, der auf unzähligen Festplattenspuren optimiert, zu Recht gerückt und gefiltert auf CDs binär verewigt, niemals den digitalen Datenfluss verlässt.
Der Synthesizer, einst mythisches Kultobjekt einer ganzen Generation von Gralsrittern des Klangs, ist längst zum langweiligen Beiwerk der modernen Musikproduktion geworden. Das klangliche I-Tüpfelchen, durch zahlreiche, bahnbrechende Synthesekonzepte erweitert, kann trotz seiner im Vergleich zu früher gigantischen klanglichen Stärken kaum mehr begeistern. Ende der Siebziger war der Synthesizer im Gegenwert eines soliden Kleinwagens die Pandoras Box einer Spezialistengilde, die auf ihrer Spielwiese der unerhörten Klangwelten nicht nur neue musikalische Konzepte erklingen ließen, sondern auch die Ablösung der bis dato satten und selbst zufriedenen Rockkultur einläuteten. Die Rock´n´Roll Revolution hatte ihre Kinder schon längst zu drogenabhängigen, emanzipierten und yuppieesken Schaustellern ihrer eigenen Pose werden lassen. Die Ablösung nahte mit dem minimal formal und funktional kühlen Synthesizerpop von Kraftwerk und sollte eine ganze Generation nach sich ziehen.
Die New Wave war geboren und ihre Kinder, die neuen revolutionären Klangästheten surften mit fast spielerischer Leichtigkeit auf den Klangwellen der bisher nur Ingenieuren vorbehaltenen Fairlights und Synclaviers, den Großrechner der damaligen Synthesizerentwicklung. Zwar noch immer in unerschwinglichen Preisregionen enthoben warf die rasanten Entwicklung jedoch einen verlockenden Ausblick in die klangliche Demokratie der Zukunft und die ersten Heimcomputer ermöglichten eine spielerische Näherung an die algorithmisierte Welt der Oszillatoren und Filter. Der handwerkliche Teil der synthetischen Musik war nicht zu unterschätzen, denn alleine ein dreistimmiger Akkord benötigte für die Aufzeichnung mit einem monophonen, also einstimmigen Synthesizer ganze drei Spuren eines Tonbands. Die Harddisk als Aufzeichnungsmedium war noch in weiter Ferne und die einzig erhältliche Seagateplatte in den 80ern hatte gerade mal eine Kapazität von 10 MB, was theoretisch gerade mal einer Minute Audio in CD Qualität entsprochen hätte.
Während der Underground mit selbstgelöteten Schwingkreisen und Sägezahngeneratoren experimentierte, entfesselten die neuen Großmeister wie Human League, Gary Newman, Ultravox und Depeche Mode eine unerhörte Klangmagie und Revolution der Popularkultur und machten die Elektronik kommerziell erfolgreich. Die heftig diskutierte Frage, ob nun der Produzent Gareth Jones heimlich Samples von der „Halber Mensch“ Session mit den „Einstürzenden Neubauten“ für die chartstürmende „Construction Time Again“ Scheibe der englischen „Depeche Mode“ gestohlen und zweckentfremdet hatte, wurde neben vielen anderen klangästhetischen Disputen zu einer bis heute ungeklärten Episode jener Zeit und ist auch heute im Rechtsstreit zwischen Schöpfungshöhe, Urheberrecht und Sampling ein aktueller Schauplatz der Auseinandersetzungen. Gerade die Samplingtechnologie mit ihrer Möglichkeit der Transformation in unterschiedliche Tonhöhen und Filterverläufe, das Entleihen und Zweckentfremden natürlicher Klangverläufe sollte neben der Frequenzmodulation des erschwinglichen DX7 Synthesizer die Nachhaltigkeit dieser Musikrevolution bis in die 90er bestimmen, egal ob Hip Hop, Techno oder Alternative.
Die weitere technische Entwicklung grub zuerst den Tonstudios und dann der Verwerterindustrie das kühle Grab. Mittlerweile können sogar auf jedem Touchpad mit Hilfe unzähliger Apps und kleinen Audiomodulen musikalische Einfälle produziert und dann direkt hochgeladen und vermarktet werden. Doch steht am Höhepunkt dieser demokratischen Vernetzung und universellen Teilhabe auch der kreative Abgrund der Austauschbarkeit. Die Vielzahl der ähnlichen Veröffentlichungen elektronischer Herkunft versperrt den Blick auf die wenigen innovativen Rohdiamanten. Aus der klanglichen Revolution der 80er ist das allgemeine Epigonentum und das Kopieren von internationalen Erfolgskonzepten geworden. Es wird gesamplet, reduziert, imitiertwährend die Plugins mit den immer gleichen Presetbegleitungen und musikalischen Grundmotiven ein einheitliches Musikbett für die Epigonen der Kopisten ausspucken.
Das dumpfe, sich Treiben lassen im Vakuum der Inhaltsleere scheint den Auftakt des Netzjahrhunderts zu bestimmen. Der Gesangssynthesizer des Autotune oder Melodyne quantisiert und begradigt dann noch das letzte Quäntchen Imperfektion und Authentizität der Stimme. So stellen sich unweigerlich die Fragen.
Ist das Zitat vom Zitat vom Zitat nichts anderes wie die Kopie von der Kopie von der Kopie?
Braucht diese musikalische Redundanz noch ein restriktives Urheberrecht, wenn die Schöpfungshöhe und Eigenleistung gegen Null geht?
Bild cc-by-sa Basilicofresco Renoise Sequencer