Wen Sanktionen wirklich treffen…

Unmittelbar nach einer kleinen Südamerikatourne habe ich mit meiner Band Das Ich im Februar für zwei Auftritte in Sankt Petersburg und Moskau gastiert. Seit dem die Sanktionen gegen Russland greifen und der Rubel ins Bodenlose gefallen ist – mittlerweile nur noch halb soviel wert, wie noch vor einem Jahr -, ist die Zahl der Bandbesuche aus Westeuropa in Russland auf einem Stand wie vor 20 Jahren. Es wird immer schwieriger, die Kosten für Konzerte einzuspielen. Die Tourgeschichte meiner Band spricht hier Bände: Führte uns noch die letzte Tournee mit über zwanzig Veranstaltungen weit jenseits östlich des Urals bis an die mongolische Grenze in subkulturell so weiße Flecken wie Perm, Omsk, Tomsk, Nowosibirsk, Jekaterinburg und Irkutsk, so gastiert unsere aktuelle Tournee nur noch in den vergleichsweise westeuropäisch geprägten Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch die Sanktionen des Westens und die gesunkenen Rohstoffpreise so prekär geworden, dass sich nur noch wenige Musikfans Konzerttickets leisten können, geschweige denn gar zu ihren Lieblingsbands auf eine oft über Tausend Kilometer weite Reise aufmachen können.

Das Resultat: Nur noch wenige Botschafter für Individualität und subkulturelle Vielfalt finden den Weg zur jungen und offenen Generation Russlands. So sind die Leidtragenden der Sanktionen nicht nur Szenegänger und die Vielfalt einer so Kultur hungrigen Jugend, sondern vor allem auch kleine unabhängige Konzertveranstalter, deren gerade erst aufgenommene geschäftliche Selbstständigkeit ein jähes Ende findet. Plattenläden, Szeneshops und andere alternative Kulturzentren des rebellischen und jungen Russlands müssen ihre Pforten sogar ohne jede Intervention der kulturfeindlichen Putin Regierung schließen, denn wo keine Künstler, da keine Szene und auch keine Kundschaft. Statt dessen werden jetzt junge Menschen wieder mit linientreuer nationalistischer Heroisierung im Sinne der totalitären Putinregierung aufgeladen. Natürlich bedeutet all das für junge russische Undergroundbands und Kulturschaffende das Aus und die Restriktion für ihr künstlerisches Schaffens., denn die Tourneen bekannter europäischer Bands boten gerade für die regionalen Künstler eine Chance für Auftritte vor Ort und vielleicht sogar die Entdeckung für den Durchbruch im Westen. Neue junge Bands wie Otto Dix und Roman Rain, die im Zuge des regen kulturellen Austausches vor Jahren sogar auf dem so viel beachteten Wave Gotik Treffen in Leipzig auftreten durften, finden heute kaum noch den Weg nach Europa. Natürlich auch, weil das Klima im Westen für Russisch sprachige Künstler stark abgekühlt ist. Die Medienstrategie die die Sanktionen begleitete, tat hier ihr Übriges.

Gleichzeitig erstarkt in der Isolation Russlands der Patriotismus, Nationalismus und Hass auf Minderheiten. Die Gefahr für Leib und Leben von Homosexuellen, Szenefans und andere Minderheiten vor Willkür und Gewalt wächst stetig und die vor Jahren noch so verheißungsvolle Flamme der Vielfalt und Individualität erstickt im giftigen Klima der nationalistischen Isolation. Die Sanktionen und der westliche Ideologiezeigefinger stärken nicht nur die Abkapselung der russischen Jugendkultur sondern legitimieren indirekt den stramm autoritären Kurs Putins, der mit jeder westlichen Sanktion ein Stückchen fester im Bärensattel sitzt.

Nur 300 km von Sankt Petersburg mache ich eine Stippvisite in meiner zweiten Heimat Finnland – Seit den Sanktionen ist auch hier der rege Austausch mit Russland abgestorben. Entlang der Autobahn haben zahlreiche Hotels, Pensionen und Gaststätten geschlossen. Nur noch die alten kyrillischen Schriftzüge sind stumme Zeugen eines einst so regen Verkehrs zischen dem Westen und dem Osten. In der Hafenstadt Kotka, einst Immobilien Boomregion der Ostsee, ist die Arbeitslosigkeit und Resignation gewachsen. Statt finnisch-russischer Kulturfeste liest man wieder die Tagebücher der Veteranen des Russland-Krieges und hofft jetzt auf den wirtschaftlichen Impuls der westlichen Mobilmachung. Der kulturelle Austausch russisch-finnischer Metalbands hingegen ist Geschichte.

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