Rede “Stop ACTA Demo” Nürnberg 25.2.

Liebe Freunde, liebe Mitbürger des Internets,

als Fritz Lang vor fast 100 Jahren mit seinem Film Metropolis den Grundstein der Filmindustrie legte, war das Internet noch nicht geboren. Sein Held Freder lehnt sich gegen Unterdrückung, Zensur und die Kontrolle von oben auf und erschüttert die Grundfeste von Metropolis.

Heute bedroht die Überwachung die Grundfeste unserer demokratischen Gesellschaft im Internet bis in die Sphäre des Privaten. Neben die Bedrohung der staatlichen Überwachung tritt heute aber immer öfter die privatwirtschaftliche.

Betrachtet man die großen Krisenherde der vergangenen Jahre, so ging es dabei ausschliesslich um Wirtschaftsinteressen. Ob Rohstoffe, Patente oder Nutzungsrechte. Geld und Geschäft sind der Motor des sozialen Marktwirtschaftens. Doch aus dem Motor wurde längst eine getunte Maschine mit Allmachtsanspruch.
Ein System das die eigenen Regelwerke abseits der bürgerlichen Kontrollgremien bestimmen möchte und längst nach höherem strebt. Der Maschinenraum ist zu klein geworden, jetzt wird die virtuelle Welt erobert.
Ihre Botschafter sind Handelsabkommen wie ACTA, TRIPS und IPRED die ohne demokratische Legitimation eine wehrhafte Mauer um freies Wissen und das freie Internet ziehen.

Die Vertreter der Contentindustrie werfen uns vor, wir würden übertreiben, polemisieren und lügen, wenn wir ACTA verteufeln.

Sie werfen uns vor, wir würden unlautere Methoden nutzen um die Massen auf die Strasse zu treiben, wenn wir im Internet zum Protest rufen.

Unsere Regierung bezeichnet uns als Wutbürger und unsere Proteste als unreflektiert, wenn wir unser Recht auf demokratische Mitbestimmung einfordern.

Die konservativen Chaoten in Berlin behaupten: Überwachung sei innerhalb gesetzlicher Normen nötig aber widersetzen sich selbst der Kontrolle durch die Bürger.
Wie lange hat es denn gedauert bis das weltweite Informationsfreiheitsgesetz endlich in Deutschland ankam? In Bayern sträubt sich die Landesregierung ja noch heute dagegen.

Ich frage:
Warum wurde ACTA hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, wenn es so harmlos sein soll?

Warum wurde ACTA von einem nur im Entferntesten zuständigen Fischereiausschuss durchgewunken?

Und warum warnen sämtliche humanitäre Organisationen von Amnesty International, über Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt oder Aktionsbündnis gegen AIDS vor ACTA, wenn es so harmlos ist?

Wenn alle Punkte von ACTA bereits seit langem in Deutschem Recht verankert sind, warum braucht man dann eine Unterschrift? Und viel schlimmer – welche Teile von ACTA sind denn schon jetzt deutsches Recht?

Wie lange wollen wir uns die schleichende Aushöhlung der Freiheit im Netz eigentlich noch gefallen lassen?

ACTA ist so schwammig formuliert, das nur geschulte Anwälte die eigentlichen Absichten freischälen können.
Doch dann findet man die eigentliche Vision von ACTA: Unter dem Schutzmäntelchen fast schon poetischer Rechtsformulierungen werden Grundrechte der Marktwirtschaft geopfert und ein 200 Jahre altes Urheberrecht in Stein gemeisselt.
Ein Patentrecht, das ursprünglich nur den zeitweiligen Marktvorteil für die Entwickler sicherstellen sollte, ist längst zum Knebel der armen Länder geworden.

ACTA ist die schreiende Ungerechtigkeit gegenüber diesen Schwellenländern. In heimlicher Mission werden mit ACTA Importe und Exporte von Generika sanktioniert. Hersteller von Generika könnten dank ACTA sehr viel schneller verklagt werden. Das Ergebnis wäre, das sich die Ärmsten viele überlebensnotwendige Medikamente gar nicht mehr kaufen könnten.

Große Konzerne wie z.b.Monsanto, früher der Hersteller von Agent Orange und heute einer der aggressivsten Konzerne der industriellen Landwirtschaft, vergiftet nicht nur die Welt mit Pestiziden.

Nein, sie verbieten mit Patenten die wenigen Agrarprodukte die in den Schwellenländern produziert werden und treiben gleichzeitig mit ihren genetisch veränderten Produkten die Monopolisierung der Ernährung voran.

solche Konzerninteressen stehen hinter ACTA. Wir werden nicht mehr weiter wegsehen und dagegen kämpfen.

Ein Vergleich der Verhältnismässigkeiten öffnet die Augen.
Hätte es im antiken Griechenland bereits eine so restriktive Rechteverwertung gegeben wie jetzt, so würden wir dem hochverschuldeten Griechenland von Heute Billionen für die Fundamente der Mathematik, Physik, Philosophie und Geisteswissenschaften schulden.

Und sogar das Papier auf dem die Patente und Nutzungsrechte gedruckt wurden ist eine Entwicklung aus China, das so häufig für sein Urheberrechtliches Unrechtsbewusstsein gerügt wird.

Mir scheint: Je geringer die Schöpferische Leistung, umso höher wächst oft das Anspruchsdenken.
Die Unterhaltungsindustrie ist dafür das beste Beispiel.
Sie leidet bereits seit dem Aufkommen des Internets in den 90ern unter einem unaufhaltsamen Realitätsverlust.
Ausbeuterische Nutzungsrechte an den Werken Anderer werden wie selbstverständlich auf das Internet angewendet.
Einer Lobby der kalten Krieger des Kapitalismus ist jedes Mittel recht ist um die alten Erlösstrukturen zu betonieren.

Ein Beispiel zur Verhältnismäßigkeit: Wer in einem Plattenladen eine CD mitgehen lässt und erwischt wird, zahlt eine einmalige Fangprämie um 100 Euro.
Dagegen werden jährlich eine halbe Million Menschen ungerechtfertigt abgemahnt, zahlen aus Angst vor zusätzlichen Prozesskosten zwischen 800 und 2000 Euro an eine Schattenwirtschaft krimineller Anwaltskanzleien und Verwerter. Das muss endlich ein Ende finden

Und all das wir mit den unhaltbaren Behauptung der Verwerter gerechtfertig, eine digitale Kopie käme dem Diebstahl in der realen Welt gleich. Dabei ist der direkte Schaden der aus einem CD Klau entsteht ungleich höher als die digitale Kopie, die eben nur eine Kopie ist.

Den Beweis, dass diese unrechtmäßig erstandenen Werke unter anderen Verhältnissen legal erworben wären, konnte die Contentindustrie bisher jedoch nicht abliefern.

Mit diesen unhaltbaren Argumenten rechtfertigt die Industrie dann die Abschottung des Internets, Vorratsdatenspeicherung und Zensur. Ich übertreibe? Mitnichten.

ACTA wünscht sich, Provider in die Pflicht zu nehmen und bei Verstößen die persönlichen Daten der Nutzer herauszugeben. Das ist nichts anderes als privatwirtschaftliche Vorratsdatenspeicherung.

Und den Wächtern der Musikindustrie ist das noch lange nicht genug. Schon liebäugelt man mit dem französischen Warnstufen Modell. Ein System dessen finale Sanktion die Abschaltung des Konsumenten vom Netz bedeutet. Im Zeitalter von Skype, Onlinebanking und elektronischer Steuererklärung kommt das einem digitalen Todesurteil gleich. Und das alles nur für die Verletzung eingeräumter Nutzungsrechtes.

Wir wollen aber das Recht, im Internet Daten frei tauschen zu können um dann selbst zu entscheiden, ob uns das Werk einen Kauf wert ist.

Besonders wütend macht mich aber die Ignoranz der öffentlichen Anstalten ARD und ZDF, die eine zügige Unterzeichnung ACTAs fordern. Wenn sie dies tun, verletzen sie ihren gesetzlichen Neutralitätsauftrag.

Wenn sie uns alle hier als eine Horde unrechtsbewusster und politikverdrossener Diebe bezeichnen, beissen sie nicht nur die Hand die sie füttert, sie verpassen unserer freiheitlichen Bewegung eine schallende Ohrfeige.

Ich könnte jetzt ganz plump skandieren „Wer jetzt noch weiter GEZ Gebühren zahlt, ist selber schuld“

Ich frage aber lieber die Intendanten der ARD „Wie weit seid ihr abgehoben, euch zu erlauben, uns zu übergehen”

Abkommen wie ACTA sind nicht nur der Stacheldraht im Fleisch der Netzfreiheit, sie sind der Schleichweg in die digitale Vollkontrolle.

Und wenn ich auf die folgenden Abkommen wie IPRED2 oder TPP blicke, wird mir schlecht.

In dieser nicht so fernen Zukunft soll die Bufferung von Werken strafbar werden. Visualisierungen und Abbildungen könnten dann rechtlich verfolgt werden.

Das bedeutet: Popups oder Webradiostreams mit unlizensierten Inhalten ziehen eine Abmahnung nach sich. Verkleidungen als Donald Duck oder geschützer Manga Figur könnten dann strafbar werden.

IPRED, die böse Schwester von ACTA streicht sogar einen der grundlegendsten Rechtsgrundsätze einer Zivilgesellschaft: Die Unschuldsvermutung.

Alleine die Kooperation von Zugangsanbieter und Rechteinhaber kann dann über Verstösse befinden und die Leitung des Nutzers kappen.

Man kann schon nicht mehr von einem Raster oder Netz sprechen, nein, es geht um die lückenlose Auswertung und Kontrolle all unserer Daten, unseren Lebensraum im Internet und der Integrität unserer fundamentalen demokratischen Rechte.

Das zeigt uns aber erst recht: wir dürfen nicht leise werden.
Wir müssen auch weiterhin für unsere Rechte auf die Strasse gehen.
Wir tun das bis ACTA und all die anderen zivilgesellschaftlichen Trojaner und Spione verschwunden sind.

Wir wollen ein freies und unzensiertes Internet, denn es ist unser Instrument der Freiheit und Demokratie.

Sagt Nein zu ACTA und zeigt der Unterhaltungsindustrie den hier.

Everything Is A Remix – (dt. Synchronfassung)

Im Rahmen der europaweiten Proteste zu ACTA und den darin enthaltenen Verschärfungen der Wahrnehmung von Patenten, Copyrights und Urheberrechten hat der Begriff “Geistiges Eingentum” endlich eine breite öffentliche Wahrnehmung erfahren.

Das geltende Urheberrecht, Copyright und Patenrecht verunsichert die Schöpfer nicht nur. Es hemmt die gesellschaftliche Entwicklung und bindet sie an große Konzerne und Rechteverwerter. So sind Bearbeitung und Kopie ein fliessenden Übergang in der Musik, werden jedoch durch Verlage zur einseitigen Rechtewahrnehmung monopolisiert.. Urheberrechtlich wurden sie zu Begriffen, die sich nur an der Wirtschaftlichkeit orientierten. Doch das Einflechten von Zitaten und die Bearbeitung und Weiterentwicklung fremder Werke ist die Basis aller menschlichen Entwicklung.
Die produktive Entlehnung, das Zitat und die Neuwidmung von Ideen sind die Bausteine der Entwicklungsbrücke, die das kulturelle Gestern mit der Informationsgesellschaft von Heute verbindet.
Das gilt umso stärker in einer offenen, schnelllebigen und kreativen Netzgesellschaft, welche de kulturelle Gegenwart in die Zukunft führt. Die Informationsgesellschaft fordert die Nonexklusivität von Kulturgütern, Patenten und Copyright für die öffentlichen Allmende, die allen dient.
Im Kampf der exklusiven Verwerterrechte gegen die freie Verfügbarkeit von immateriellen Gütern in der Netzwelt haben die Verwerter ihr Wertesystem der Privilegien positioniert und betoniert, welches die Förderung schöpferischer Leistung in den Grenzen des wirtschaftlichen Wertekanons beansprucht, jedoch der nachfolgenden Kreativgeneration die Quelle untersagt, die sie als Inspiration einer eigenen Innovationsfähigkeit benötigt.

“Everything Is A Remix”, Pt.4 ist der spannendste Teil von Kirby Fergusons kollagenartigen Auseinandersetzung mit den Begriffen Kopie, Transformation und Kombination.

Replik auf Stefan Herwigs Kommentar in der Musikwoche


http://www.mediabiz.de/musik/news/ein-acta-video-und-die-folgen-desinformation-mit-mitteln-der-propaganda/315840

Seit über 20 Jahren bewegen sich Stefan Herwig und ich in der gleichen musikalischen Nische und erarbeiten dort auch unseren Lebensunterhalt. Herwig als reiner Verwerter und ich als Urheber und Verwerter. Beide sind wir typische Vertreter einer kleinteiligen alternativen Musikszene. Inhaltlich unterscheiden sich unsere Sichtweisen auf Kultur, Medien und deren Vermittlung meilenweit. Und das nicht erst seit Herwigs polemischer Antwort auf meine Synchronisation des brisanten ACTA-Videos, zu dem er mir weniger eloquent bereits auf Twitter beleidigende Kurznachrichten geschickt hatte. Und so beginnt die Einleitung von Herwigs Artikel auch gewohnt reißerisch mit dem Vergleich zwischen dem Paradigmenwechsel in der Urheberrechtsdebatte und 9/11.

Wer auf meinem YouTube-Kanal surft, findet zu dem vielfach zitierten Video einen Text, der die Hintergründe dokumentiert, auch klärt die Texttafel am Anfang des Clips auf. Hier wird verdeutlicht, dass dieses Video auf den Wikileaks zu ACTA im Jahre 2008/2009 beruht. Als Freund der Meinungsfreiheit und des freien Zugangs zu Informationen habe ich nach mehrfacher Nachfrage aus Kreisen, denen ich politisch nahestehe, diesen Clip übersetzt. Auch wenn ich nicht alle Positionen des Clips teile und weiß, dass vieles überspitzt beziehungsweise aus heutiger Sicht auf das Original-ACTA-Dokument sogar falsch anmuten mag, stehe ich zu der wichtigen Kernaussage: Transparenz, gerade in Verhandlungen, die so wesentliche bürgerliche Rechte betreffen. Das ist auch das grundsätzliche Problem von ACTA. Es wurde ebenso wie die vielen anderen undemokratisch ausgehandelten Handelsabkommen der WTO (World Trade Organization) unter Ausschluss der Öffentlichkeit von großen Handelsverbänden formuliert. Die Kritik an der WTO und ihren vielen Versuchen, Märkte protektionistisch zu schützen, ist nicht neu. Wer sich an das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) erinnern kann, das Ende 1998 scheiterte, der weiß, welche Begehrlichkeiten die Konzerne gegenüber demokratischen Gesellschaften in Handelsabkommen völkerrechtlich festschreiben möchten. Im Falle von MAI war es die vollkommen absurde Haftung von Regierungen für wirtschaftliche Ausfälle, die aufgrund von Demonstrationen oder Streiks entstehen. Auch das GATT-Folgeabkommen TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), das leider längst unterschrieben ist und verkürzt als „Blueprint“ von ACTA gelten darf, strotzt nur so vor völkerrechtlich bedenklichen Passagen, die leider gerade in den Schwellenländern für deren medizinische Versorgung, aber auch bei Patenten für Saatgut und indigene Pflanzen und deren Wirkstoffe katastrophale Folgen haben. Ich empfehle hier die Schrift „Wissen und Eigentum“ aus der Bundeszentrale für politische Bildung, die ausführlich auf das undemokratische und in Bürgerrechte einschneidende TRIPS-Abkommen eingeht. Im Zuge von TRIPS wurden übrigens auch die Abmahnungen eingeführt – eine Schattenwirtschaft, die jährlich eine halbe Million Abmahnungen produziert und deren unverhältnismäßige Beträge aus Anwaltsgebühr und Schadensregulierung immer zwischen 800 und 2000 Euro taxieren.

Den Beweis, dass diese unrechtmäßig erstandenen Werke unter anderen Verhältnissen legal erworben wären, konnte bisher niemand antreten.
Den Beweis, dass Filesharing gerade kleineren Urhebern zu weltweiter Bekanntheit verholfen hat, kann ich selbst anhand vieler meiner Veröffentlichungen belegen.

Nun sind es gerade viele Vertreter meiner Branche, die sogar eine Verschärfung fordern und mit dem französischen Hadopi-Modell der Three Strikes liebäugeln. Die gerade im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft erstellte Studie bereitet das politisch vor.
Internet Service Provider in die Pflicht zu nehmen und bei Verstößen die persönlichen Daten der Nutzer herauszugeben, ist meiner Meinung nach eine Art der privatwirtschaftlichen Vorratsdatenspeicherung und kategorisch abzulehnen.
ACTA ist eine weitere Wegmarke hin zu einer Gesellschaft, die das Durchsetzen geistiger Eigentumsrechte über die Privatsphäre und die Bürgerrechte stellt. Es ist mittlerweile von verschiedenen gesellschaftlichen Instanzen geprüft, dass gerade die wolkige Formulierung von ACTA einen breiten Spielraum für Verhandlungen und Interpretationen eröffnet. Passagen, die die Strafbarkeit von Vermittlern erwägen, welche indirekt wirtschaftlichen Vorteil aus der Unterstützung oder Begünstigung von Urheberrechtsverstößen ziehen, zielen klar auf Internetprovider und ihren neuen Auftrag der Kontrolle des Nutzers und seiner Inhalte ab.
Diese langfristigen Strategien in ACTA sind gerade die große Gefahr für die Freiheit in der Informationsgesellschaft, denn unbemerkt höhlen so neue Bestimmungen Bürgerrechte aus.

Doch die geplanten Restriktionen der Informationsgesellschaft sind nur ein Bruchteil dessen, was ACTA in den Schwellenländern anrichtet. Dass ACTA sowie TRIPS in den Schwellenländern bezüglich Generika, Saatgut und anderen Patenten unglaubliches Leid anrichtet, kann man bei Amnesty International, Mediziner ohne Grenzen, Brot für die Welt, Bündnis gegen AIDS, Attac – je nach sozialem Engagement – nachlesen.
Was die Verwerterbranche und ihre großen Verbände jetzt so hysterisch reagieren lässt, ist jedoch gerade die Transparenz, die dank des Internets die Art des Aushandelns ohne Beteiligung der Bevölkerung offenlegt. Von gefährlicher Mainstreamisierung zu sprechen, ist fast schon erheiternd. Gerade unsere Unterhaltungsindustrie war es jahrzehntelang gewöhnt, mit Marketingstrategien und Propagandainstrumenten den öffentlichen Geschmack zu steuern und so auch Meinungen zu erzeugen.

Es waren gerade die großen Medienkonzerne wie Time Warner oder Springer, die gezielt Meinungen manipuliert haben, um die Gesellschaft in ihrem konservativ-kapitalistischen Tiefschlaf des reinen wirtschaftlichen Normativs, des Konsums zu halten.
Und was die Propaganda der Urheberrechtswahrer betrifft, war man nie zimperlich, wenn man schockierende Gefängnisvideos zur Abschreckung von illegalen Kopien auf legal erhältliche DVDs brannte. Ich erinnere nur an den Kindergeburtstag „Wo ist Papa? Nur noch vier Mal singen.“
Kein Wunder, wenn die großen Konzerne und Verbände jetzt ohnmächtig bemerken, dass ihre Meinungshoheit und Macht durch das Internet relativiert wurde und die Bürger ihr Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung gegenüber undemokratischen Abkommen auf die Straße tragen.

Die Schlussfolgerung, dass durch dieses Video nur Politikverdrossenheit erzeugt würde, ist eine schallende Ohrfeige für all jene, die gemeinsam demonstriert haben und einen friedlichen Prozess des Wandels anstreben.

Den Journalisten und Politikern mangelndes Urteilsvermögen vorzuwerfen und den sich anbahnenden Paradigmenwechsel öffentlicher Güter in der Informationsgesellschaft als eine gefährliche Schwarz-Weiß-Malerei abzutun, zeigt sowohl Instinktlosigkeit als auch mangelnde kulturelle Auffassungsgabe und Missachtung demokratischer Willensbildung.

Der Informationsgesellschaft Selbstreferenzierung vorzuwerfen, ist lächerlich, besonders in Anbetracht des jahrzehntelang demonstrativ präsentierten Meinungsmonopols der Unterhaltungsindustrie und ihrer Verbände. Hier wurde der digitale Wandel verschlafen, an alten Vermarktungsmodellen festgehalten und dadurch das eigentliche Problem erst erzeugt.

Der Satz „Es wird Zeit für eine medienkritische Auseinandersetzung mit dem Internet“ hätte auch von dem Netz-Don-Quichotte Ansgar Heveling stammen können. Er demonstriert, wie wenig Herwig das Netz begriffen hat.

Die Google-Chartnotierung des Videos als gefährliches Werkzeug der Vorformatierung von Meinungen zu bezeichnen, ist aberwitzig. Wer, wenn nicht die Unterhaltungsindustrie hat jahrelang auf Chartnotierungen und Standardwerke, auf Meinungsbilder und Propaganda gesetzt und kritisiert nun diese Listung als Instrument einer Meinungssteuerung?

Herwigs Haltung zeigt nicht nur, wie sehr die egoistische Wahrung von instrumentalisierten Urheberinteressen vorangetrieben wird, egal zu welchem Preis, sondern demonstriert erschreckend, wie das Gros der Unterhaltungsindustrie in den offenen Abgrund strebt.

Und am Ende ruft er sogar die Politik, die er zuvor als kollektiv inkompetent abgetan hatte, zur gesetzlichen Regulierung von Meinungen im Netz auf.
Als Vertreter jener Urheber, die sich selbst vermarkten, kann ich nur dringend eine Schulung und geistige Klausur für Dinosaurier wie Herwig empfehlen.

Und glücklicherweise gibt es sie. Mannigfaltig im Netz und in kleinen Kollektiven. Denen gehört die Zukunft.
Kleinteiligkeit statt Monopolisierung fördert die kulturell benötigte Diversifikation. Dabei wird das unmittelbare Interesse des Urhebers gegenüber der kulturellen Monopolisierung von Urheberrechten des letzten Jahrhunderts gewahrt.

In einem Zeitalter, das häufig den klanglichen Charakter eines Audiomems zum eigentlichen Merkmal einer kreativen Schöpfung stilisiert, vermischen sich die Begriffe Urheberrecht und Leistungsschutzrecht in einem Maße, das keine eindeutige Unterscheidung zulässt und den Begriff der Werkhöhe ins Absurde steigert. Eine elementare Unterscheidung zwischen physischer und virtueller Welt muss maßgeblich die Ausgestaltung eines modernen Urheberrechtes begleiten. Neue Schrankenregelungen für das legale Kopieren von Inhalten aus dem Netz müssen auch die gleichzeitige direkte Wertschöpfung für Urheber ermöglichen. Darunter fallen Premiumangebote und Streamingdienste ebenso wie dezente Erhöhungen von Lehrmedienabgaben bei gleichzeitiger Sicherstellung eines angemessenen, transparenten und demokratischen Verteilungsschlüssels dieser Erlöse. Unmittelbare Urheberlizenzen aus virtuellen Diensten und die Erweiterung transformationeller Rechte wie Bearbeitungen müssen grundlegend von den Forderungen der Verlagsbranche getrennt werden. Schutzfristen sollten auf die Lebensspanne beschränkt werden und der branchenüblichen Kopplung von Schutzfristen und Auswertungsdauer die legale Grundlage entzogen werden.Der Fokus muss von der kurzfristigen, einseitigen und profitorientierten Werkförderung hin zur nachhaltigen Förderung von schöpferischer Leistung verschoben werden. Im gleichen Maße wie Handwerks-, Industrie- und Handelskammern ihren Mitgliedern Seminare und Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung anbieten, müssen Urheber Hilfe und Unterstützung für die kleinteilige und direkte Vermarktung erhalten. Das umfasst neben der finanziellen Absicherung auch die Sozial- und Altersicherung.

Eine Gesellschaft, die sich so sehr auf ihre Stärke im Bereich der „geistigen Güter“ beruft, muss gerade für die Schöpfer Alternativen und Lebenskonzepte eröffnen, die sowohl den Bedürfnissen einer freien Informationsgesellschaft gerecht werden als auch dem Urheber einen kreativen und geschützten Freiraum für seine Schöpfungen und dessen direkte Vermarktung eröffnen.

Bruno Kramm


Antwort auf Stefan Herwigs Petition gegen das ACTA Video:

Liebe Kollegen,

Stefan Herwig (Dependent) und ich sind in seit über zwanzig Jahren der gleichen musikalischen Nische zuhause und erarbeiten dort auch unseren Lebensunterhalt. Herwig als reiner Verwerter und ich als Urheber und Labelmacher. Beide sind wir typische Vertreter einer kleinteiligen alternativen Musikszene. Inhaltlich unterscheiden sich unsere Sichtweisen auf Kultur, Medien und deren Vermittlung meilenweit, was auch daran liegen mag, das ich als Urheber und Labelmacher beide Seiten der Medaille kenne.

Da Stefan Herwig zu einer unreflektierten Petition gegen mich und das ACTA-Video aufruft, möchte ich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.

Herwig vergiftet gerade durch seinen Aufruf zu einer Petition gegen mich und ein Video, zu dem ich von Anfang an eine distanzierte Haltung hatte, langfristig das Klima zwischen den Urhebern/Künstlern und den Fans/Konsumenten. Gerade deren direkte Kommunikation ist das wichtigste Werkzeug um eine langfristige Partnerschaft zu erzeugen, die sowohl die Honorierung von Leistungen sichert, als auch den direkten Informationsaustausch ohne Verwerter- und Labelstrukturen sichert. Denn Szene braucht Kultur und keine Polizei. Die Sperrung eines Videos durch eine Petition durchsetzen zu wollen, ist schon an und für sich übertrieben. Youtube mit dieser Petition überzeugen zu wollen, ein Video mit einer anderen Interpretation daneben zu stellen, klingt wie eine moderne Art des Don Quichotte.

Darüber hinaus: Wer auf meinem YouTube-Kanal surft, findet zu dem vielfach zitierten Video einen Text mit meiner persönlichen und kritischen Sichtweise des Videos. Die Texttafel am Anfang des Clips klärt ebenso über den Stand und die Aktualität des Videos auf. Hier wird verdeutlicht, dass dieses Video auf den Wikileaks zu ACTA im Jahre 2008/2009 beruht. Als Freund der Meinungsfreiheit und des freien Zugangs zu Informationen habe ich nach mehrfacher Nachfrage, darunter auch durch die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, diesen Clip übersetzt.

Auch wenn ich nicht alle Positionen des Clips teile und weiß, dass vieles überspitzt, beziehungsweise aus heutiger Sicht auf das Original-ACTA-Dokument sogar falsch darstellt, stehe ich zu der wichtigen Kernaussage: Transparenz, gerade in Verhandlungen, die so wesentliche bürgerliche Rechte betreffen. Das ist auch das grundsätzliche Problem von ACTA. Es wurde ebenso wie die vielen anderen undemokratisch ausgehandelten Handelsabkommen der WTO (World Trade Organization) unter Ausschluss der Öffentlichkeit von Handelsverbänden formuliert. Die Kritik an der WTO und ihren vielen Versuchen, Märkte protektionistisch zu schützen, ist nicht neu.

Auch das GATT-Folgeabkommen TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), das leider längst unterschrieben ist und verkürzt als „Blueprint“ von ACTA gelten darf, strotzt nur so vor völkerrechtlich bedenklichen Passagen, die leider gerade in den Schwellenländern für deren medizinische Versorgung, aber auch bei Patenten für Saatgut und indigene Pflanzen und deren Wirkstoffe katastrophale Folgen haben. Ich empfehle hier die Schrift „Wissen und Eigentum“ aus der Bundeszentrale für politische Bildung, die ausführlich auf das undemokratische und in Bürgerrechte einschneidende TRIPS-Abkommen eingeht.

Nun sind es gerade viele Vertreter der großen Industriefirmen, die sogar eine Verschärfung wünschen und mit dem französischen Hadopi-Modell der “Three Strikes” liebäugeln. Ein Verfahren, das vorsieht, Menschen nach mehreren Verstößen die Internetverbindung komplett zu trennen. In einer Zeit, in der Menschen über Skype mit ihren Verwandten und Freunden kommunizieren, Onlinebanking und digitale Steuererklärungen über das Internet administrieren und das Netz für ihre tägliche Arbeit brauchen, bedeutet eine Abschaltung der Leitung eine unverhältnismäßige Bestrafung, unter Umständen das Zerstören der Existenz.

Und ein ehemaliger Künstler unserer Szene, Zadoc von Tilt, und jetzt als der “elektrische Reporter” und Kollege von Netzvisionär Sascha Lobo bekannt, sagt über ACTA: „Die so genannte Content Allianz versucht lediglich, ihre veraltenden Geschäftsmodelle als Verwerter zu sichern. Im Interesse der Urheber handeln sie dabei nicht – auch wenn sie das permanent behaupten. ACTA versucht, die Verwerter zu stärken, nicht die Kreativen. Musiker, Autoren, Filmer und Journalisten leiden nicht unter Privatkopien ihrer Werke, sie leiden vielmehr unter Total-Buy-Out-Verträgen, die sie zwingen, nahezu sämtliche Rechte an ihren Werken den Verwertern zu überlassen. Es ist schon ein wenig bizarr, wenn die Verwerter einerseits das Urheberrecht zu einer bloßen Hülle degradieren, während sie sich auf der anderen Seite zu Anwälten der Urheber aufspielen. Was wir brauchen ist eine mutige Reform des Urheberrechts im Sinne der Kreativen und der Nutzer und keine Zementierung des Status Quo im Sinne der Verwerter.“

Aber die eigentliche Schieflage wird erst anhand der Verhältnismäßigkeit klar. Wer eine CD im Laden klaut und erwischt wird, zahlt eine einmalige Fangprämie. Das Gleiche im Netz wird um ein vielfaches höher bestraft, obwohl der physische Raub im Laden einem wirklichen Verlust beim Ladenbesitzer gleichkommt. Den Beweis, dass diese unrechtmäßig erstandenen Werke unter anderen Verhältnissen legal erworben wären, konnte bisher niemand antreten. Die im Zuge der vielen Verschärfungen von Nutzungsrechten im Internet eingeführten Abmahnungen zeigen die eklatante Unverhältnismäßigkeit. Eine Schattenwirtschaft von Anwälten, die jährlich eine halbe Million Abmahnungen produziert und deren unverhältnismäßige Beträge aus Anwaltsgebühr und Schadensregulierung immer zwischen 800 und 2.000 Euro taxieren, ist im Vergleich zum realen physischen Diebstahl kaum haltbar.

Keiner der Künstler unserer Szene möchte und wird es öffentlich allen Ernstes vertreten, seine werdenden Fans so restriktiv bestrafen zu wollen.

Den Beweis, dass Filesharing gerade kleineren Urhebern zu weltweiter Bekanntheit verholfen hat, kann ich selbst anhand vieler meiner Veröffentlichungen belegen und das werden auch viele Kollegen aus der Alternative-Szene bestätigen.

ACTA hingegen ist eine weitere Wegmarke hin zu einer Gesellschaft, die das Durchsetzen von Nutzungsrechten über die Privatsphäre und die Bürgerrechte stellt. Es ist mittlerweile von verschiedenen gesellschaftlichen Instanzen geprüft, dass gerade die wolkige Formulierung von ACTA einen breiten Spielraum für Verhandlungen und Interpretationen eröffnet. Passagen, die die Strafbarkeit von Vermittlern erwägen, welche indirekt wirtschaftlichen Vorteil aus der Unterstützung oder Begünstigung von Urheberrechtsverstößen ziehen, zielen klar auf Internetprovider und ihren neuen Auftrag der Kontrolle des Nutzers und seiner Inhalte ab.

Diese langfristigen Strategien in ACTA sind gerade die große Gefahr für die Freiheit in der Informationsgesellschaft, denn unbemerkt höhlen so neue Bestimmungen Bürgerrechte aus.

Doch die geplanten Restriktionen der Informationsgesellschaft sind nur ein Bruchteil dessen, was ACTA in den Schwellenländern anrichtet. Dass ACTA sowie TRIPS in den Schwellenländern bezüglich Generika, Saatgut und anderen Patenten unglaubliches Leid anrichtet, kann man bei Amnesty International, Mediziner ohne Grenzen, Brot für die Welt, Bündnis gegen AIDS, Attac – je nach sozialem Engagement – nachlesen.

Was die Verwerterbranche und ihre großen Verbände jetzt so hysterisch reagieren lässt, ist jedoch gerade die Transparenz, die dank des Internets die Art des Aushandelns ohne Beteiligung der Bevölkerung offenlegt. Wenn Herwig von der gefährlicher Mainstreamisierung durch Kanäle wie Youtube und Google spricht, ist das fast schon erheiternd, wenn es nicht so traurig wäre.

Gerade die Unterhaltungsindustrie war es jahrzehntelang gewöhnt, mit Marketingstrategien und Propagandainstrumenten den öffentlichen Geschmack zu steuern und so auch Meinungen zu erzeugen. Es waren gerade die großen Medienkonzerne wie Time Warner oder Springer, die gezielt Meinungen manipuliert haben, um die Gesellschaft in ihrem konservativ-kapitalistischen Tiefschlaf des reinen wirtschaftlichen Normativs, des Konsums zu halten.

Underground-Kultur wurde gerade durch das demokratische Instrument Internet zu einer weltweiten Bewegung. Festivals und Szenetreffen wie das Wave Gotik Treffen mit Besuchern aus der ganzen Welt wären niemals ohne die Informationsverbreitung und Filesharing im Internet möglich. Wer jetzt Urheber gegen Konsumenten aufhetzt, wie es Herwig tut, bringt eine Szene, die so von der freien Partizipation abhängt, ins Ungleichgewicht und vergiftet das Klima zwischen dem Urheber und dem Musikfan. Und darum geht es eigentlich: Herwig ist der Vertreter einer Industrie, die heute in dieser Form nicht mehr gebraucht wird. Aus diesem Grund haben sich ja auch viele der großen Künstler, darunter auch einige von Herwigs ehemaligen Labelkindern endlich in die Freiheit gewagt und vermarkten sich selbst.

Und ja, ich kratze mich auch immer am rasierten Hinterkopf, wenn mir ein russischer Fan nach einem Konzert in Irkutsk eine gebrannte Version von “Die Propheten” oder “Cabaret” zum Signieren vorlegt. Ich unterschreib sie jedoch trotzdem, weil es mir letztendlich wichtiger ist, meine musikalischen Ideen zu verbreiten, als Menschen dafür zu verurteilen, auf welchem Weg – ob legal oder illegal – sie diese Songs erworben haben. Sollte ihm die Musik eines Tages wirklich soviel bedeuten und er hat das Budget, so wird er sich die Musik kaufen. Fakt ist, er war auf einem Konzert und er hat dort Eintritt bezahlt. Und von der Musik erfuhr er über die Verbreitung aus dem Filesharing.

Nicht die Kultur stirbt aus, allenfalls die herkömmlichen, rückschrittlich orientierten Kulturinstitutionen und Industrien bleiben auf der Strecke, sofern sie es nicht vermögen, den Wandel in neue Geschäftsmodelle zu integrieren. Der digitale Wandel in eine neue Informationsgesellschaft bedeutet die Transformation der Kulturindustrie (Verleger, Studios, Labels). Die Forderungen der Musikindustrie, Internetinhalte mit Exklusivitätsansprüchen aus Urheber-, Leistungsschutzrecht und Copyright der physikalischen Welt zu belegen, ist zum größten Teil Besitzstandssicherung und wird von einem Großteil der progressiv arbeitenden Künstler und Urheber nicht unterstützt.

Im Internet gilt es mannigfaltigen Vertriebswegen Rechnung zu tragen. Der Einbruch der Tonträgerumsätze wird medienwirksam von der Musikindustrie propagiert, doch kreative Musiker haben schnell neue Wege der Vermarktung entdeckt und die träge agierende Industrie in puncto Zukunftstechnologie längst überholt. Täglich entstehen neue Konzepte der Wertschöpfung, wie z.B. Pledge Music, Sell A Band, Mikropayments etc. Viele etablierte und von den Fesseln großer Plattenfirmen befreite Musiker versuchen sich mit den erfolgreichen Konzepten der Web 2.0 Vermarktung. Kleine Einpersonenbetriebe können ihre Produkte gleichwertig gegenüber großen Massenprodukten der Unterhaltungsindustrie positionieren. Der Konsument kann sich frei zwischen einer Skala aus Massengeschmack und Nischenprodukt bedienen. Der „Long Tail“-Markt bekommt eine neue Bedeutung: Die Summe der kleinen, oft in Statistiken und Charts herausgekürzten Produkte macht einen Großteil des Gesamtertrages aus.

Das Internet stellt sich als grundlegend demokratisches Werkzeug zur Verfügung, das zur Massenverbreitung weder große Konzerne noch überproportionale Budgets benötigt.

Die Daseinsberechtigung einer im Massenmarkt des letzten Jahrhunderts legitimierten Musikindustrie wird dabei natürlich grundlegend in Frage gestellt. Die eigentliche Wertschöpfung bleibt erstmals in der Hand der Urheber, die früher gewohnt hochprozentige Beteiligung der Konzerne und Verlage bleibt aus. Erfolgreiche Beispiele wie Radiohead, U2, Nine Inch Nails, Madonna belegen den Erfolg der Versuchsanordnung im Internet. Das noch so junge Medium experimentiert und bietet eine Interaktion zwischen Musiker, Musikhörer und dem Medium Internet als Kunstplattform an und für sich.

Es ist nicht verwunderlich, das gerade die Industrie in Partnerschaft mit der GEMA das Internet als „Dammbrecher des Urheberrechtes“ stigmatisiert. Obwohl auf Leermedien jeder Art Abgaben erhoben werden, verurteilt man in Exempel statuierender Weise Filesharer, die bei illegaler Downloadaktivität ins Netz gehen und die bereits vergüteten Medien mit Inhalten bespielt haben. Je länger Filesharing als krimineller Akt verfolgt wird, umso erfolgreicher werden sich neue, verschlüsselte Verfahren etablieren, die sich dem Zugriff der Onlinefahnder entziehen werden. Das ein Großteil der Urheber an einer freien Verfügbarkeit seiner Werke im Internet interessiert ist, wird von der Industrie zu gerne verschmiegen. Künstlern ist längst der multiplikatorische Werbeaspekt der Downloads klar geworden. Die eigentliche Wertschöpfung geschieht auf den Konzerten, dem Merchandiseverkauf und Auftritten im Rahmen großer Medienevents.

Der Konsument ist trotz des Internetzeitalters ein Jäger und Sammler. Kulturgut wird in der heimischen Bibliothek als Ausdruck der eigenen Biographie nach wie vor gesammelt. Die Werke, die gefallen, werden meistens auch gekauft um das haptische Bedürfnis zu erfüllen, während die weniger interessanten Downloads auch wieder im digitalen Mülleimer landen. Das „Vorhören“ aus dem Plattenladen von Gestern geschieht heute im privaten Raum am PC. Die Weitergabe von Freund zu Freund in digitaler Weise als Tonträger oder File löste das analoge Tape ab. Wenn auch in größerem Umfang, so hat der normale Konsument sogar ein geringeres Pensum Zeit als noch im letzten Jahrhundert, um sich mit Musik eingehend zu beschäftigen, denn die Anzahl der unterhaltungstechnischen Medien hat sich mehr als verdoppelt: Internet, SMS, Videogames, Videofilme, Kabelfernsehen, Social Media etc. haben sich in den Wettbewerb der Freizeitaktivitäten eingereiht und die Zeit für den ausschließlichen Musikkonsum radikal verkürzt. Der volkswirtschaftliche Schaden, der den Filesharern von Musik gerne vorgeworfen wird, liegt jedoch an der Diversifizierung der gesamten Freizeitaktivitäten, die dennoch keinen größeren Raum im gesellschaftlichen Leben einnehmen.

Und was die Propaganda der Urheberrechtswahrer betrifft, war man nie zimperlich, wenn man schockierende Gefängnisvideos zur Abschreckung von illegalen Kopien auf legal erhältliche DVDs brannte. Ich erinnere nur an den Kindergeburtstag „Wo ist Papa? Nur noch vier Mal singen.“ Genau diese Leute beschweren sich jetzt über die synchronisierte Fassung des ACTA-Videos.

Kein Wunder, wenn die großen Konzerne und Verbände jetzt ohnmächtig bemerken, dass ihre Meinungshoheit und Macht durch das Internet relativiert wurde und die Bürger ihr Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung gegenüber undemokratischen Abkommen auf die Straße tragen.

Die Schlussfolgerung, dass durch dieses Video nur Politikverdrossenheit erzeugt würde, ist eine schallende Ohrfeige für all jene, die gemeinsam demonstriert haben und einen friedlichen Prozess des Wandels anstreben.

Den Journalisten und Politikern mangelndes Urteilsvermögen vorzuwerfen und den sich anbahnenden Paradigmenwechsel öffentlicher Güter in der Informationsgesellschaft als eine gefährliche Schwarz-Weiß-Malerei abzutun, zeigt sowohl Instinktlosigkeit als auch mangelnde kulturelle Auffassungsgabe und Missachtung demokratischer Willensbildung.

Der Informationsgesellschaft Selbstreferenzierung vorzuwerfen ist lächerlich, besonders in Anbetracht des jahrzehntelang demonstrativ präsentierten Meinungsmonopols der Unterhaltungsindustrie und ihrer Verbände. Hier wurde der digitale Wandel verschlafen, an alten Vermarktungsmodellen festgehalten und dadurch das eigentliche Problem erst erzeugt.

Die Google-Chartnotierung des Videos als gefährliches Werkzeug der Vorformatierung von Meinungen zu bezeichnen, ist aberwitzig. Wer, wenn nicht die Unterhaltungsindustrie hat jahrelang auf Chartnotierungen und Standardwerke, auf Meinungsbilder und Propaganda gesetzt und kritisiert nun diese Listung als Instrument einer Meinungssteuerung?

Herwigs Haltung zeigt nicht nur, wie sehr die egoistische Wahrung von Nutzungsrechten unter dem Mäntelchen instrumentalisierter Urheberinteressen vorangetrieben wird, egal zu welchem Preis, sondern demonstriert erschreckend, wie das Gros der Unterhaltungsindustrie in den offenen Abgrund strebt.

Und am Ende ruft er sogar die Politik, die er zuvor als kollektiv inkompetent abgetan hatte, zur gesetzlichen Regulierung von Meinungen im Netz auf.

Eine elementare Unterscheidung zwischen physischer und virtueller Welt muss maßgeblich die Ausgestaltung eines modernen Nutzungsrechtes und Urheberrechtes begleiten. Neue Schrankenregelungen für das legale Kopieren von Inhalten aus dem Netz müssen auch die gleichzeitige direkte Wertschöpfung für Urheber ermöglichen. Darunter fallen Premiumangebote und Streamingdienste ebenso wie dezente Erhöhungen von Lehrmedienabgaben bei gleichzeitiger Sicherstellung eines angemessenen, transparenten und demokratischen Verteilungsschlüssels dieser Erlöse. Unmittelbare Urheberlizenzen aus virtuellen Diensten und die Erweiterung transformationeller Rechte wie Bearbeitungen müssen grundlegend von den Forderungen der Verlagsbranche getrennt werden. Schutzfristen sollten auf die Lebensspanne beschränkt werden und der branchenüblichen Kopplung von Schutzfristen und Auswertungsdauer die legale Grundlage entzogen werden.Der Fokus muss von der kurzfristigen, einseitigen und profitorientierten Werkförderung hin zur nachhaltigen Förderung von schöpferischer Leistung verschoben werden. Im gleichen Maße wie Handwerks-, Industrie- und Handelskammern ihren Mitgliedern Seminare und Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung anbieten, müssen Urheber Hilfe und Unterstützung für die kleinteilige und direkte Vermarktung erhalten. Das umfasst neben der finanziellen Absicherung auch die Sozial- und Altersabsicherung.

Eine Gesellschaft, die sich so sehr auf ihre Stärke im Bereich der „geistigen Güter“ beruft, muss gerade für die Schöpfer Alternativen und Lebenskonzepte eröffnen, die sowohl den Bedürfnissen einer freien Informationsgesellschaft gerecht werden als auch dem Urheber einen kreativen und geschützten Freiraum für seine Schöpfungen und dessen direkte Vermarktung eröffnen.

Und ganz ehrlich: Wer jetzt so eine Petition unterschreibt, macht sich bei seinen Fans und Käufern lächerlich….

Liebe Grüße

Bruno Kramm

Musik braucht Freiheit

Warum Musik ein neues Urheberrecht braucht

Schöpferisches Angebot und kreative Nachfrage

Musik als Ausdruck einer unausprechlichen Metawelt ist wie alle geistigen Schöpfungen auf die vernetzte Vermittlung angewiesen. Musik und Kunst brauchen Aufmerksamkeit, kommunikative Rezeption und Vererbung. Rezeption die nur so lange bedingungslos öffentlich und frei bleibt, bis sie genügend Nachfrage erzeugt hat, so zumindest das bisherige Prinzip ihrer Vermarktung.
Vererbung die leider auch immer finanzielle Begehrlichkeiten der Rechteinhaber bei den schöpfenden Erben weckt und die kulturelle Weitergabe verhindert.
Je stärker wirtschaftlicher Druck auf die Urheber ausgeübt wird, umso stärker verpflichten sich ihre Schöpfungen dem gesellschaftlichen Konsens von Geschmack und allgemeinverständlichen Strukturen und Formen.
Die Unterhaltungsindustrie fördert jene Werke die dem Bekannten ähnlich genug sind und trotzdem wohldosiert aus dem Schatten der Vergangenheit treten, denn so ist ihr nicht nur eine breite Konsumentenantwort sicher, sondern sie kann auf bereits erprobte und erfolgsversprechende Muster der Vermarktung zurückgreifen. Diese Wechselwirkung von breitem Konsumenteninteresse und dosierter künstlerischer Innovation ist bezeichnend für eine monopolistische Verwerterindustrie, die jahrzehntelang Produktions- und Vertriebswege kontrollierte und gleichzeitig kreative Innovationen hemmte.

“Professionelle Inspiration” und das Recht auf kreative Teilhabe

Zwar sind und waren Kulturgüter Kraft ihres Ausdruckes immer das Ventil gesellschaftlichen Wandels, der nicht per se der reinen Wirtschaftlichkeit verpflichtet sein sollte, doch die marktbasierte Nachfrage entschied bisher fast ausschliesslich über die Präsenz und Platzierung von Kunst im öffentlichen Fokus und damit über die Verbreitung.
Urheber werden und wurden häufig über ihren Erfolg in zwei Kategorien eingeteilt: Amateure, die ausschliesslich durch die Aufmerksamkeit des Publikums Entlohnung erfahren und Urheber, die von den früchten ihrer Schöpfungen leben.
Die qualitative Unterscheidung zur professionellen Liga ist fliessend, mitunter sogar umgekehrt proportional. Um diese Unterscheidung zu legitimieren, führt die gewerbliche Urheberklasse die hohen Werbungs- und Produktionskosten an.
Ein weiteres Spannungsfeld entsteht durch die Liberalisierung des Kulturbetriebs durch die neuen Netztechnologien, denn sowohl der Wegfall selektiven Repertoiremanagements als auch die freie Verfügbarkeit von Produktions- und Vertriebswegen macht die Grenzen noch fliessender.
Künstlerisches Schaffen entspricht nicht mehr dem tradierten Arbeitsbegriff unserer Gesellschaft, da sie als menschliche Äusserung ein Grundrecht wie auch die freie Sprache darstellt. Erst durch die finanzielle Entlohnung wird aus der persönlichen Ambition der öffentliche Beruf. Menschen haben das Recht sich kreativ und künstlerisch einzubringen. Dieser Begriff der Teilhabe ist in der modernen Informationsgesellschaft selbstverständlich. Trotzdem wird die Trennung zwischen Amateuren und professionellen Schöpfern von Verwertern, Verwertungsgesellschaften und Künstlerverbänden weiterhin untermauert. Dies findet den besonderen Ausdruck in den Verteilungsschlüsseln der Verwertungsgesellschaften und der ausschliesslichen Beteiligung von Mitglieder in den satzungsgebenden Gremien, die ihr Stimmrecht auf eine entsprechend hohe Ausschüttung von GEMA Erlösen stützen können.

Bearbeiter, Epigonen und Kopisten

Das geltende Urheberrecht verunsichert die Urheber durch Kategorisierung kreativer Prozesse. Original, Bearbeitung, Kopie und Plagiat sind musikhistorisch gewachsene Begriffe eines fliessenden Übergangs. Urheberrechtlich wurden sie durch Kriterien ersetzt, die sich nur an der Wirtschaftlichkeit orientierten. Noch in der klassischen Musik galt das Einflechten von Zitaten und die Bearbeitung in die eigenen Werke als eine besondere Disziplin und Kunstfertigkeit, die erst durch das Aufkommen des kommerziellen Notendruckes reguliert und sanktioniert wurde.
Die produktive Entlehnung, das Zitat und die Neuwidmung von Ideen sind Bausteine der Entwicklungsbrücke, die das kulturelle Gestern mit dem multimedialen Heute verbindet. Das gilt umso stärker in einer offenen, schnelllebigen und kreativen Netzgesellschaft, welche de kulturelle Gegenwart in die Zukunft führt.
Die Orientierung am Prinzip von Angebot und Nachfrage hatte im 17.Jahrhundert ihren Ursprung und wurde im Zuge der Demokratisierung und Verbreitungsrevolution durch Massenmedien wie Radio, TV, CD und Internet immer weiter auf Produktion- und Vertriebsprozesse hin optimiert. Die schöpferische Freiheit hingegen wurde aus vermarktungsrechtlicher Überlegung Schritt für Schritt eingeschränkt.
In einem Zeitalter, das häufig den klanglichen Charakter eines Audiomems zum eigentlichen Merkmal einer kreativen Schöpfung stilisiert, vermischen sich die Begriffe Urheberrecht und Leistungsschutzrecht in einem Maße, das keine eindeutigen Unterscheidung zulässt und den Begriff der Werkhöhe ins Absurde steigert.
Die Informationsgesellschaft hingegen wandelt die Ausschliesslichkeit von Kulturgütern zu einem öffentlichen Gut und befreit den bisher ausschliesslich wirtschaftlich regulierten Markt.
Adornos Kritik an der vereinheitlichenden Kulturindustrie beschrieb bereits in der Nachkriegszeit die Unterwerfung des Nichtidentischen und Nichtverfügbaren durch die Mechanismen der verwalteten und vermarktwirtschaftlichten Welt, den Konsum.
Um seinem bisher vorwiegend ökonomisch motivierten Auftrag besser darzustellen, sollte daher der missverständliche Begriff “Urheberrecht” durch den Terminus “Verwerterrecht” ersetzt werden, denn er wird seiner historischen Bedeutung und Entwicklung weit gerechter. Das geltende Urheberrecht wurde immer von Verlegern und Verwertern geschrieben, so bemühen Verwerter das Urheberrecht zur Illegalisierung von Urhebern und Nutzern und der Kontrolle von künstlerischem Wandel der ästhetischen Normen. Sie behindert die eigentliche Innovationsfähigkeit von Kulturgütern indem sie den Urheber mit dem Urheberrecht eng ins wirtschaftliche Korsett schnüren, gleichzeitig ökonomisch regulierend durch Anreizmodelle wie Chartnotierungen und Preisverleihungen belohnen und künstlerische Freiheit zu Geradlinigkeit erzieht.
Auch die Verwertungsgesellschaften, allen voran die GEMA tragen dieser Abhängigkeit Rechnung, indem sie durch Multiplikationspunkte finanziellen Erfolg zusätzlich honorieren. Gleichzeitig sind Entscheidungen über Verwertungsschlüssel nur den ordentlichen Mitgliedern mit entsprechendem Mindestumsatz vorenthalten.
Diese Reduktion erzeugt neben nivellierter Kreativität eine Permanenz der Durchschnittlichkeit. Durch die reduzierte qualitative Schwelle steigt auch das Angebot von handwerklich mässig begabten Urhebern. Die Armee der Auftragskomponisten für Funk, Film, Fernsehen, Werbung, Hörspiele, Videospiele und Präsentationen ist entsprechend gestiegen. Das wiederum verschafft den Verwertern einen ausserordentlichen Vorteil. Aufgrund des höheren Angebots an niederschwelligen Werkschöpfungen kann der eigene Ertrag durch eine geringere Honorierung der Urheber gesteigert werden. Einer minimalen Honorierung der dann viele Urheber auf Grund des gestiegenen Wettbewerbsdrucks zustimmen.
Seit der Entwicklung des Internets entzieht sich jedoch die kulturelle Schöpfung und Vermittlung zusehends der Kontrolle der Verwerterindustrie. Aus dem Streit des Urheberrechts gegen die freie Verfügbarkeit von immateriellen Gütern in der Netzwelt hat sich heute längst ein Wertesystem der Privilegien legitimiert, welches die Förderung schöpferischer Leistung in den Grenzen des wirtschaftlichen Wertekanons beansprucht, jedoch der nachfolgenden Kreativgeneration die Quelle untersagt, die sie als Inspiration einer eigenen Innovationsfähigkeit benötigt.

Inflation und Diversifikation

So sehr die Verknappung von Angeboten die Nachfrage steigert, so sehr beschränkt sie die Erlösschöpfung in redundanten Systemen. Dieser Verknappung im Netz steht eine inflationäre Nutzung von übertragenen Rechten gegenüber. Der Erstverwertung von kreativen Schöpfungen folgen besonders in den breiten Märkten der konsumorientierten Musikstile die Zweit- und Drittverwertungen, also Kopplungen an andere Medieninhalte. Die Allgegenwart durch diese Kopplungsdichte stösst auf zunehmende Ablehnung der Konsumenten und seine geringere Bereitschaft dafür zu bezahlen.
Darüber hinaus werden gerade diese Inhalte wegen ihres hohen Verbreitungsgrades häufig als Allgemeingut wahrgenommen. Dem gegenüber belegt die selten mehrteilige, aber umso erfolgreichere Vermarktung von Nischenstilen die steigende Würdigung des Konsumenten durch seinen Kaufentscheid. Die wachsende Fangemeinde und ihre direkte Verbindung mit dem Urheber der Werke verstärkt zusätzlich das gemeinsame Erleben und die Bereitschaft, das Werk und seine Schöpfer auch finanziell zu belohnen. Die horizontale und vertikale Diversifikation trägt deshalb einerseits für das sinkende Bedürfnis bei, die mannigfaltig gekoppelten und vermarkteten Angebote des Massenmarktes zu honorieren, unterstützt jedoch in besonderem Masse die wirtschaftliche Urbarmachung von Werken des sogenannten Longtailmarktes, der weiterhin Wachstum verzeichnet. Die Vielzahl der gestiegenen Subgenres und ihrer begleitenden Medienpublikationen off- und online verstärken diese Tendenz zur kleinteiligen Direktvermarktung durch den Urheber.


Wertekreise

Das Urheberrecht unterliegt seit seiner Deklaration einem kulturhistorischen Wandel hin zu übertragener Nutzung. Dieser Wandel wurde immer aus dem Kompromiss zwischen technischen Neuerungen, dem kulturellen Wandel von Normen und dem wirtschaftlichen Interesse heraus angetrieben. Die Durchsetzung der Urheberrechte stammt seinem Ursprung nach vom neoklassischen Wohlstandsmodell ab, das Schöpfungen nur durch den Anreiz der Entlohnung als prosperierendes System sieht. Entsprechend sollen dieser Entlohnung Investitionen vorausgehen, die dann das Monopolrecht der Auswertung rechtfertigen. Doch hat sich gerade die Investition in einer Gesellschaft der frei verfügbaren Produktionsgüter und Vertriebsstrukturen als Argument überholt.
Dem gegenüber gewinnt der Anspruch der Allgemeinheit auf die frei Nutzung zunehmend Gewicht, denn neue Schöpfungen sind nicht ohne den Einfluss des umgebenden Kulturkreises möglich. Ein Kulturkreis, der durch das Internet ins Unendliche gewachsen ist und sich selbstverständlich auch andere Wertenormen der Begriffe Original, Kopie und dessen Nutzung aneignet.
Während sich der westliche Kulturkreis auf finanzielle Honorierung immaterieller Güter stützt und gegen die Idee des gemeinsamen Weiterentwickeln von Schöpfungen zu Gunsten der Mystifizierung der Genieleistung aufbaut, huldigt man im asiatischen Raum der Kopie als Ausdruck der höchsten Wertschätzung. Das Internet hat in seiner Funktion als Kollektor und Katalysator der Paradigmen, aber auch in seiner anarchischen Struktur den Begriff der Allmende grundlegend weiterentwickelt und bereits die Praxis im Alltags nachhaltig verändert. Vorstellungen des Gemeinguts wie der Begriff der Wikipedia prägen die Wahrnehmung des Internets. Eine Vision des Informationszeitalters die bereits seit der Geburtsstunde des Netzes in der akademischen Welt manifestiert wurde. Doch sind es gerade die marktwirtschaftlichen Angebote, die das Gratispotential des Internets für die eigenen Werbezwecke nutzen, jedoch ihre Nutzungsrechte an Inhalten unverhältnismässig mit den Standarts eines unskalierten Urheberrechts durchsetzen, das der physischen Welt entstammt. Der Konsument nimmt daher heute die Ansprüche der Urheber häufiger als das aggressive Durchsetzen von Interessen der Konzerne als die Entlohnung der kreativen Leistung wahr und wird durch eine zunehmend verkrampfte Urheberrechtsdebatte in seinen Positionen bestätigt.

Schöpferkraft vs. Geschöpftes Produkt

Das physische Knappheitsprinzip zieht gegenüber der virtuellen Welt ein Grenze, die gerne von konservativen Vertretern eines allgemeinen Urheberrechts übertreten wird.
Die Argumentation, daß die Aneignung digitaler Immaterialgüter keine Entlohnung auf Grund der unendlichen Kopierbarkeit im Internet benötige, ist ebenso wenig haltbar wie die pauschale Gleichstellung von physischen und geistigen Gütern. Auf Grund des fehlenden Knappheitsprinzip erfährt das einzelne kopierte Immaterialgut zwar keine begründete Entlohnung, doch steht ihm gegenüber die Knappheit der schöpferischen Kraft an sich. Im besonderen Masse jene, die künstlerisch und wissenschaftlich herausragenden gesellschaftlichen Stellenwert tragen und sich durch ihre Schöpfungshöhe auszeichnen. Verdichtung, Umdeutung und Neuschöpfung sind Summe von Eigenleistung und kulturell gewachsener Inspiration, ohne welche die Gesellschaft immer wieder vom intellektuellen Nullpunkt aus beginnend neu schöpfen müsste.
Doch gerade eine Gesellschaft,die so stark von einer Vergeistigung ihrer Werte in digitaler Form geprägt ist, muss ihre Urheber, die als Quell zeitlich und inhaltlich begrenzt sind, angemessen entlohnen.
Gerade eine vernetzte Gesellschaft des Miteinanders muss das soziologische Prinzip der gegenseitigen Beziehung und des Austausches zwischen den Bezugssystemen achten. So wird zwar dem Urheber durch die Aneignung nichts entwendet, der Benutzer erfährt aus dem Download jedoch einen Zugewinn in Form einer kulturell affirmativen Dienstleistung, Unterhaltung und Wertschöpfung.
Entlohnung schöpferischer Tätigkeit und der Wunsch nach anonymen und kostenlosem Zugriff verlangen im gleichen Zuge einen digitalen Fair Trade der eine umfassende Neugestaltung und Bewertung von Erlösstrukturen und Lizenzzahlungen fordert. Statt einer Stärkung von Eigentumsrechten an Immaterialgütern muß die schöpferische Tätigkeit an und für sich stärker entlohnt werden. Vielfältige Förderkonzepte helfen Künstlern unmittelbar, im Gegensatz zu Regulierungsversuchen. Sowohl eine größere Verfügbarkeit von öffentlichen Auftrittsmöglichkeiten, unterstützter Zugang zu Produktionsmitteln und die Bereitstellung von detailliertem Wissen bzgl. Marketing und Geschäftsmodelle, aber auch die Förderung der Selbstständigkeit und ein unkomplizierter Zugang zur Künstlersozialkasse helfen Schöpfern von geistigen Gütern bei den Kernaufgaben selbstbestimmten Urhebertums.

Fokus eines neuen Urheberrechts

Kleinteiligkeit satt Monopolisierung fördert die kulturell benötigte Diversifikation. Dabei wird das unmittelbare Interesse des Urhebers gegenüber der kulturellen Monopolisierung von Urheberrechten des letzten Jahrhunderts gewahrt.
Eine elementare Unterscheidung zwischen physischer und virtueller Welt muss massgeblich die Ausgestaltung eines modernen Urheberrechtes begleiten.
Neue Schrankenregelungen für das legale Kopieren von Inhalten aus dem Netz müssen auch die gleichzeitige direkte Wertschöpfung für Urheber ermöglichen. Darunter fallen Premiumangebote und Streamingdienste ebenso wie z.B. dezente Erhöhungen von Lehrmedienabgaben bei gleichzeitiger Sicherstellung eines angemessenen, transparenten und demokratischen Verteilungsschlüssel dieser Erlöse. Unmittelbare Urheberlizenzen aus virtuellen Diensten und die Erweiterung transformationeller Rechte wie Bearbeitungen müssen grundlegend von den Forderungen der Verlagsbranche getrennt werden. Schutzfristen sollten auf die Lebensspanne beschränkt werden und der branchenüblichen Kopplung von Schutzfristen und Auswertungsdauer die legale Grundlage entzogen werden.
Der Fokus muß von der kurzfristigen, einseitigen und profitorientierten Werkförderung hin zur nachhaltigen Förderung von schöpferischer Leistung verschoben werden. Im gleichen Masse wie Handwerks-, Industrie- und Handelskammern ihren Mitgliedern Seminare und Massnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung anbieten, müssen Urheber Hilfe und Unterstützung für die kleinteilige und direkte Vermarktung erhalten. Das beinhaltet neben der finanziellen Absicherung auch die Sozial- und Altersicherung.
Eine Gesellschaft die sich so sehr auf ihre Stärke im Bereich der „geistigen Güter“ beruft, muss gerade für die Schöpfer Alternativen und Lebenskonzepte eröffnen, die sowohl den Bedürfnissen einer freien Informationsgesellschaft gerecht werden, als auch dem Urheber einen kreativen und geschützten Freiraum für seine Schöpfungen und dessen direkte Vermarktung eröffnen.

Anti ACTA Rede Münchener Demo 11.2.12


Liebe Freundinnen und Freunde,

Vor fast hundert Jahren schrieb Franz Kafka seinen berühmtesten Roman, der Prozess.
Sein Hauptdarsteller Herr K. wird in einer endlosen Spirale der Überwachung und Vorverurteilung in einen Abgrund getrieben, aus dem es kein Entrinnen gibt.

ACTA, TRIPS und all die anderen heimlichen und undemokratischen Abkommen um sogenannte geistige Schutzrechte sind nichts anderes als Kafkas Alptraum der Informationsgesellschaft. Sie würgen die Freiheit und die Privatsphäre des Einzelnen im Netz ab.

Nach Protesten der Netzbürger Europas wurde in Polen, der Slowakei, in Tschechien und in Lettland ACTA die Unterschrift versagt.
Und auch Deutschland setzt die Unterschrift seit Gestern erst einmal aus. Das stimmt uns froh, weil wir bereits mit unserer Ankündigung auf die Strasse zu gehen sehr viel erreicht haben. Aber das darf nur das erste Signal gegen die ständige Begünstigung von Verwerterinteressen vor den elementaren Bürgerrechten sein.

Aus ACTA schreit die Ungerechtigkeit für die Schwellenländer und die ärmsten Menschen der Welt. Das Sanktionieren von Generika, Saatgut und anderen überlebenswichtigen Patenten ist eine der vielen menschenverachtenden Facetten ACTAs.

Die restriktive Anwendung von Urheberrechten der Unterhaltungsbranche im Internet bedroht unsere Privatsphäre und Freiheit elementar.
Wenn bereits die Beihilfe zu zweifelhaften Urheberrechtsverletzungen strafbar wird, wenn Provider aus immer trivialeren Gründen Internetadressen herausgeben müssen, breitet sich ein Klima der Angst und Kontrolle aus.
Statt das Internet als Instrument der freien Meinungsäusserung und Teilhabe zu begreifen, das der Menschheit den Weg in die Zukunft einer freien Wissensgesellschaft ebnet, wird ein fast 200 Jahre altes Urheberrecht in Beton gegossen um die alten Erlösstrukturen zu sichern.
Ein Urheberrecht, das weder Schallplatte, Fernsehen oder Internet kannte wird uns heute als das Mass der Immateriellen Dinge im Netz verkauft.

Seit letztem Jahrhundert wurde der Geschmack des Konsumenten durch eine kleine Elite von Repertoiremanagern in ein enges Korsett gezwängt, denn sie bestimmten was veröffentlicht wird. Sie beherrschten das Monopol des Marktes und machten Kunst und Kultur zum Sklaven der Marktwirtschaft.

Erst das Netz hat uns die kulturelle Revolution geschenkt – zu entdecken was es alles an Vielfalt rund um den Globus gibt. Uns Urhebern schenkte es endlich die Freiheit des schöpferischen Geistes, die Möglichkeit sich endlich selbst zu produzieren, zu promoten und zu vermarkten.

Eine Freiheit die die Verwerterindustrie noch weiter einschränken möchte, damit sie ihr altes und überkommenes Monopol der Massenberieselung weiterführen kann. Dabei versucht diese Industrie immer wieder Urheberinteressen zu heucheln, meint dabei aber die eigenen Profite.

Doch das Informationszeitalter braucht nicht nur ein neues Urheberrecht, sondern die Allianz von Urhebern und Konsumenten. Ein Bündnis der weltweiten Netzcommunity gegen die bisher übermächtige Contentmafia. Gemeinsam bauen wir die Zukunft unserer Informationsgesellschaft auf Wissen und Kultur. Zu lange hat die gierige Contentmafia die Produktionsmittel, die Vertriebswege und die Medien kontrolliert und zensiert.
Doch heute ist die Befreiung der Kreativität da, Kreativität als Ausdruck des menschlichen Grundbedürfnisses nach Teilhabe und unmittelbarer Kommunikation ohne Kontrolle und Zensur.

Wenn es eine universelle Freiheit gibt, dann ist es die Freiheit der Gedanken und ihrer geistigen Schöpfungen. Das von den Verwertern als Privileg eingeforderte Recht, davon leben zu können ist kein Grundrecht. Die Freiheit hingegen ist ein Menschenrecht.

Wir wollen die Freiheit im Netz, miteinander Musik und Filme auszutauschen und sie zu bewerten um dann selbst zu entscheiden,was uns einen Kauf wert ist oder nicht. Und das gelingt am Besten auf dem direkten Weg zwischen Urheber und Konsument.

Im Informationszeitalter ist die Contentmafia längst überflüssig geworden, doch sie knebelt und reglementiert nicht nur die Nutzer sondern sogar die Urheber mit dem veralteten Urheberrecht. Hier offenbart sich die Gier der Verwerter die weit vor der Wahrung von Urheberinteressen steht.
Es geht ihnen nicht um die Wertschätzung von Schöpferischer Kraft, sondern nur um einzelne vermarktbare Werke.

Doch eine Informationsgesellschaft erkennt in den nie knapp werdenden Kopien der digitalen Welt eine Verlagerung hin zur Wertschätzung von Schöpferkraft – Schöpferische Kraft, die auch in der digitalen Welt ein knappes Gut darstellt. Diese Wertschätzung kann nur alleine durch die unmittelbare Verbindung von Urheber und Konsument entstehen. Sie braucht Vertrauen in gemeinsame Werte.

Doch heute werden jährlich eine halbe Million Menschen ungerechtfertigt abgemahnt, zahlen aus Angst vor zusätzlichen Prozesskosten zwischen 800 und 2000 Euro an eine Schattenwirtschaft krimineller Anwaltskanzleien und Verwerter. Das muss endlich ein Ende finden.

Die Verwerter behaupten in monotoner Wiederholung, das all jene Downloads ohne das Internet im Laden gekauft worden wären und rechtfertigen damit horrenden Strafzahlungen. Eine verlogene Behauptung die jeder Grundlage entbehrt.
Genauso lächerlich wie die Behauptung, das eine digitale Kopie einem Raub in der realen Welt gleichkommen würde.
Darüber hinaus unterschlagen die Verwerter, das sie aus lauter Gier auf die Zweit, Dritt und Viertverwertung Musik an alles und an jedes Medium koppeln. Mit dieser inflationären Dauerpräsenz entwerten sie nicht nur Musik sondern sie tragen zu einer erschreckenden Verflachung von Kultur bei.

Wir müssen ebenso über Schutzfristen nachdenken, die durch ACTA weiter zementiert werden. Schutzfristen bis 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers sind wohl kaum im Interesse des Schöpfers, der dann schon zu Staub zerfallen ist. Sie sind das Interesse von globalen Rechteverwertern, die damit ihre Kataloge mit einer sicheren Rendite auf Jahrhunderte hinaus ausstatten wollen.

ACTA ist das neue Horrorkabinett der Kontrolle und Überwachung denn es eröffnet den Verwertern für zukünftige Verhandlungen ein dehnbares Handelsabkommen mit weitreichenden Sanktionsmöglichkeiten. Restriktive Forderungen wie das bereits in Frankreich angewandte 3 Strikes Modell werden dann auch nach Deutschland kommen. Das Abschalten eines Netzzugangs in Zeiten des Onlinebankings und der digitalen Steuererklärung sind dann wirklich Kafkas Alptraumvision.

Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Wir kämpfen für die Freiheit im Netz.
Wir wollen die Teilhabe ohne Kontrolle, die Privatsphäre ohne Voratsdatenspeicherung und das gegenseitige Vertrauen von Schöpfern und ihren Zuhörern.

So wenig Einigkeit es in unserem Europa oft gibt, so überwältigend einstimmig ist der Chor der Netzbürger Europas: Stoppt ACTA, stoppt die Überwachung und Kontrolle.

Legt Acta ad Acta. Sagt Nein zu ACTA und zeigt der Verwertermafia den digitalen Stinkefinger.

München:

“Two Strikes”


Industrie vs. Nutzer und Urheber

Dieser Tage wurde der Bundesregierung eine folgenschwere Studie übergeben, die mindestens einen Empörungssturm ausgelöst hätte, wäre sie nicht im Windschatten der sich anbahnenden EU weiten ACTA Proteste veröffentlicht worden. Die Forschungsstelle für Medienrecht hat im Auftrag des Bundeswirtschaftsministerium das “Two Strikes” Modell zur Verwarnung von Filesharing Usern geprüft und als verhältnismässiges Mittel zur Durchsetzung von Urheberrechten im Internet empfohlen. Die gesetzliche Umsetzung wird nicht zu lange auf sich warten lassen, denn das wirtschaftsdevote Verhalten der Regierung spielt hier mindestens eine genauso große Rolle wie die Vernetzung der Verwerterlobby in Berlin. Auch kein Wunder, wenn man bedenkt, wie minimal die Ablehnung des ACTA Handelsabkommen in Regierungskreisen ausfällt. Es scheint, das in Zeiten globaler Finanzkrisen die ökonomischen Interessen immer weit vor den Bürgerrechten rangieren, doch die Verhältnismässigkeit spottet hier jeglicher Beschreibung. Weder der wirtschaftliche Erfolg noch der pädagogische Wert dieses tiefgreifenden Einschnitts in die Privatsphäre der User zeitigt Erfolg – das zumindest haben Studien, die sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des des französischen Hadopi Unrechtssystems “Three Strikes” erwiesen.

Sieht man einmal von den zusätzlichen Einnahmen aus den lukrativen standardisierten Abmahnungen ab, die bereits für ein einziges widerrechtlich geladenes Album bis zu Tausend Euro aufrufen, strafen die Konsumenten die Überwachung ihres privaten Datenverkehrs mit Ablehnung der herkömmlichen Angebote der Musikindustrie. Die Umsatzzahlen der Musikindustrie in Frankreich sind seit der Einführung entsprechend gesunken. Zwar ist die klassischen P2P Nutzung zurückgegangen, doch haben sich dem gegenüber neue anonyme und professionelle Alternativen etabliert. Das Wettrüsten hat begonnen und die Privatsphäre im Netz ist das erste Opfer der französischen “Revolution du droit de la propriete immaterielle”.
Leidtragende sind in erster Linie kleinere Kreativschmieden, Independentfirmen und sich selbst vermarktende Urheber, die nur in seltenen Fällen an den industrietypischen Abmahnverfahren teilnehmen und trotzdem in den Augen der Konsumenten unter dem Generalverdacht der mangelnden Verhältnismässigkeit der drakonischen Strafen stehen, an deren Ende die Abschaltung des privaten Internetzugangs steht.

In Deutschland erfährt Der gerade erst 2008 erwirkte Auskunftsanspruch gegenüber den Providern durch die Legitimation des neuen Verwarnmodells zusätzliche Akzeptanz und fördert die niederschwelligsten Begehrlichkeiten und Ansprüche auf Herausgabe persönlicher Nutzerdaten. So ist gerade im Zuge der sinnflutartigen Abmahnungen eine Schattenwirtschaft entstanden, die ihre zweifelhafte Rechtfertigung gegenüber vielfach unberechtigten Beschuldigungen mit unangemessenen Drohkulissen durchsetzen. Konsumenten werden systematisch verängstigt und eingeschüchtert, Unterlassungserklärungen und Schuldgeständnisse erpresst. “Two Strikes” gießt Öl in die Flammen und rüstet das Arsenal der Verwerteranwälte noch weiter auf.

Im gesellschaftlichen Diskurs hat die Verwerterindustrie bisher nur Porzellan zerbrochen und das Gegenteil eines modernen und zukunftsorientierten Musikmarktes erreicht. Die rigide Durchsetzung von unzeitgemässen immateriellen Eigentumsvorbehalten gegenüber der individuellen Autonomie im Netz trifft auf keine gesellschaftliche Akzeptanz. Das Verletzen des Telekommunikationsgeheimnisses für die Wahrung eines veralteten und zweifelhaften Urheberrechtes stößt bei den Konsumenten auf berechtigte Abehnung.
Die Bevorzugung der Verwerterinteressen als Vermittler zwischen den Kreativen und den Konsumenten durch die politischen Entscheidungsträger stösst mindestens auf das gleiche Unverständnis wie die unsinnige Argumentation, jedes illegal übertragene Werk wäre ohne illegale Downloads legal erworben worden.

So schaufelt die Verwerterindustrie weiterhin das eigene Grab, denn das wachsende gesellschaftliche Bedürfnis nach informellem Schutz, einer digitalen Privatsphäre und der freien Verfügbarkeit geistiger Schöpfungen im Netz ist auch den meisten Kreativen ein grundsätzliches Anliegen. Die täglich neuen Angebote zur Selbstvermarktung gegenüber den mangelhaften Alternativen der Verwerter macht die eigentlich Kreativen langfristig unabhängig und zentriert die Beziehung zwischen Nutzer und Urheber auf ein gesundes Maß. Die Verwerter haben sich obsolet gemacht, es nur noch nicht gemerkt.

“Two Strikes” vergiftet das Klima einer freien Gesellschaft und erodiert die Basis der Kreativwirtschaft: Das Vertrauen in ein ausgewogenes Verhältnis von freier Rezeption gegenüber dem wertschätzenden Erwerb von Schöpfungen durch den Konsumenten.
Kultur, Kunst und Kreativität braucht heute mehr denn je den freiheitlichen Nährboden und Entfaltungsraum, den die Industrie ihr nicht bieten kann.

Was kommt nach ACTA?


Der Traum der digitalen Bohéme – eine Welt der grenzenlosen Kommunikation, des universellen Wissens, der Allgegenwart von Kultur und das Internet als das zentrale Archiv für die folgenden Generationen. Wer sich noch an die erste Webcam erinnern kann, die den Füllstand der Kaffeemaschine am MIT dokumentierte, ist dabei gewesen.
Das Symbol des weltweiten Nerdtums wurde längst auf Ebay versteigert und das Internet von heute hat die meisten kühnen Träume der binären Kinderstube überholt.
Doch in einem Punkt unterschied sich die Frühphase der vorwiegend den Universitäten vorenthaltenen Netzwelt von der modernen Netzrealität. Damals war das Internet frei von Zensur oder Überwachung, denn die Verwerterverbände sogenannter geistiger Güter hatten noch keine digitalen Claims abgesteckt und die staatliche Strafverfolgung beschränkte sich auf Datenbänke für Fingerabdrücke und Phantombilder. Die interdisziplinäre Kombination von Informatik, Netzwelt und Soziologie war schlichtweg noch nicht erfunden, denn die Vernetzung des Bürgers mitsamt all seiner hochgeladenen Interessen und Aktivitäten war noch Zukunftsmusik.
Dass die Schutzbedürftigkeit von Bürgerrechten mit dem technologischen Fortschritt wächst, war damals umstritten, denn die Entwicklung des Netzes war eben Ausdruck der Befreiung und nicht der Zensur. Allenfalls die Fantasyliteratur und das gerade vergangene Orwellsche Jahrzehnt ermahnten zur Vorsicht.

So öffentlich und transparent unsere westlichen Demokratien dank Informationsfreiheit heute auch funktionieren mögen, so verschlossen handeln Konzerne und Oligopole im Schatten ihrer Verbände global bindende Verträge und Abkommen aus. Vereinbarungen, die tiefgreifend in unsere Privatsphäre eindringen, unsere bürgerlichen Rechte verletzen und Freiheit gegenüber Nutzungsrechten geistiger Güter abwerten. Mit staatstragender Arroganz werden demokratisch gewachsene Grundprinzipien den neuen Reglements internationalen Handels unterworfen. Der final erzwungenen Unterschrift durch unsere regierenden Volksvertreter ist ein ungleiches Ringen zwischen den staatlichen Ausschüssen und der mächtigen Lobby der Handelsverbände vorangegangen, das in Zeiten der Rezession und Finanzkrise immer öfter zu Gunsten des ökonomischen Interesses ausgeht.

Ganz zu schweigen, die großen neuen Silicon Valleys, die ihren kometenhaften Erfolg durch die immer ausgefeilterte Kombination von Big Data Sammlungen persönlicher Informationen mit modernsten Algorithmen zu einem konkurrenzlosen Werbekonzept verdichten.

Doch während die Netzcitoyens auf Europas Strassen gegen ACTA demonstrieren, haben die globalen Handelsverbände längst neue Abkommen geschmiedet. Unter dem Deckmäntelchen transpazifischer Befreiung des Handels wurde die TPP (Transpacific Partnership) angeschoben um die Betonierung des veralteten Urheber- und Patentrechts voranzutreiben.
Der Strategiewechsel, ein Abkommen zuerst zwischen Asien und den USA zu ratifizieren offenbart die verschobenen Machtverhältnisse der Weltmächte aber auch die Erfahrungen der Verbände bezüglich der vergangenen Verhandlungen.
Der asiatische Raum steht traditionell der Wirtschaft näher als den Bürgerrechten und soll mehrheitliche Realitäten schaffen, bevor der Westen vor vollendete Tatsachen gestellt werden kann.
Dennoch haben nach Protesten in den USA und in Japan erste Teile des TPP Vertrages den Weg ins Licht der Öffentlichkeit erlangt und lassen einen Blick ins Horrorkabinett der Urheberrechtewahrnehmung von Morgen zu.
Bereits die Bufferung von urheberrechtlich geschützten Werken soll demnach ein zu ahndendes Vergehen darstellen. Darunter fällt dann sogar das zufällige Öffnen von sogenannten Popups im Browserfenster oder das Anhören eines Webradios, welches zufällig unlizensierte Audiostreams beinhaltet. Kein Nutzer dieser Angebote könnte sich vor Verstössen gegen ein so restriktives Abkommen schützen, denn wer kann bereits vor dem Anhören oder Ansehen eines Liveinhaltes über die lizenzrechtliche Relevanz befinden. Aber auch der kleine Grenzverkehr von legal erworbenen DVDs, CDs und Datenträgern könnte schon zu einem Vergehen führen, sollte der Inhalt nur regional lizensiert worden sein. Ebenso sollen angeblich auch Visualisierungen von Trademarks unter TPP kriminalisiert werden. Wer dann als Cosplayer fantastisch verkleidet zwischen Anime Messen in Japan und den USA verkehrt, könnte dann sein blaues Wunder am Zoll erleben, wenn nach einer legalen Lizensierung des Charakters gefragt wird. Die Auswirkungen dieses Visualisierungsverbotes auf Bilder und Inhalte im Netz kann man sich auch ohne rege Fantasie ausmalen, da noch dazu die Aufweichung gültiger Schrankenregelungen vorangetrieben werden soll.

Gerade der Ausblick auf die kommenden Konflikte zwischen einem veralteten und immer restriktiver ausgelegten Urheberrecht einerseits und dem wachsenden Bedürfnis nach freier Entfaltung einer Privatsphäre im Internet schärft die Notwendigkeit, sich gegen jede Form der Zuspitzung geistiger Eigentumsrechte zu stemmen.

Die EU weiten Proteste gegen ACTA stimmen hingegen optimistisch. Sie zeigen das gewachsene gemeinsame Bewusstsein der Bürger Europas, das von der digitalen Boheme zu den Citoyens übergesprungen ist. Diese Courage hätte man sich auch von unserem EU Parlament gewünscht, welches das ACTA Abkommen trotz größter Bedenken bereits unterzeichnet hat.


Der komplette TTP Text der US Handelsdelegation

Aktueller Stand TPP, Bericht der EFF Dez.2012