Das Stigma von Bayreuth und ein Tattoo


Die Causa Evgeny Nikitin vs. Bayreuther Wagner Festspiel lässt einige Gedankenspiele zu, die zum gleichen Schluss kommen. Trotz Generationswechsel hat man auf dem grünen Hügel in Punkto Aufarbeitung und Informationspolitik wenig dazu gelernt.

Die Bild am Sonntag hatte die braune Vergangenheit des russischen Holländers aufgedeckt. Auf Youtube schwitzt er im dunklen Proberaum gemeinsam mit seiner Rockband. Auf dem nackten Oberkörper prangt neben einer Lebensrune und vielen anderen Tattoos ein von Blumen verdecktes Hakenkreuz. Im Gegenschnitt sieht man den Sänger auf den Opernbühnen dieser Welt in den Paradestücken für Bassbariton.
Ein Skandal – besonders für Bayreuth.

Evgeny Niktins Vergangenheit hat zweifellos dunkle Kapitel – vielleicht gerade deshalb ist er wie viele andere russische Künstler ein herausragendes Talent, das häufiger im Milieu der Widersprüchlichkeiten als im angepassten Mittelmaß heranwächst. Und natürlich stellen sich viele Fragen, wie z.B. Wann und warum hat er das Tattoo stechen lassen? Ist es die in Russland erschreckend oft vorzufindende und fehlgeleitete Reaktion junger Männer auf das totalitäre Russland Putins? Hat er das Hakenkreuztattoo nachträglich mit Blumen überstechen lassen?

Nun ist Evgeny Nikitin nach der Aufdeckung von seiner Rolle mit folgenden Worten zurückgetreten, die im Nordbayerischen Kurier veröffentlicht wurden:

„Es war ein großer Fehler in meinem Leben und ich wünsche mir, dass ich es niemals getan hätte. Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen.“

Gerade der letzte Satz wirft Fragen auf. Sicher ist, das die Festspielleitung von diesem Tattoo bereits im Vorfeld wissen musste. Zu einfach ist das Video auf Youtube zu finden und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat sich in den Opern Garderoben dieser Welt sein Tattoo herumgesprochen. Und gäbe es kein Getuschel hinter den Kulissen, dann hätte spätestens dem Festspielschneider bei der Anprobe des fliegenden Holländer Kostüms das Stigma der Vergangenheit auffallen müssen.

Trotzdem kann und muss man über beide Varianten spekulieren. Hatte man davon nicht gewusst, so fragt man sich, in welchem lebensfernen Elfenbeintum sich die Festspielentourage wähnt. Ferner, wie wenig man sich mit den Biographien engagierter Künstler auseinandersetzt.

Hatte man von dem Tattoo gewusst, dann wollte man es verheimlichen, was einerseits der gewohnten Politik des Festspielhauses entspricht, aber auch hinsichtlich der eigenen unrühmlichen Nazi Vergangenheitsaufarbeitung tief blicken lässt. Sowohl die klassische Kritik an dem Antisemiten Richard Wagner und seinem Werk selbst, als auch die in der Vergangenheit dürftige öffentliche Beschäftigung mit Bayreuths Funktion in der Nazizeit lässt viele Fragen offen. Darunter auch Winifred Wagner, die bis zu Ihrem Tod an der menschenverachtenden Ideologie festhielt. Die später unter Wolfgang Wagner praktizierte “Deckmäntelchenpolitik”, die eine Aufarbeitung im Versteckten zuließ, aber nie das Podium der international beachteten Festspiele selbst nutzte, ruft bis heute die Kritiker auf den Plan. So pilgerten Jahr für Jahr Politiker und Prominenz im Blitzlichtgewitter auf den Hügel und feierten ihre eigene Erleuchtung im Widerschein des blank polierten Grals deutscher Kultur wider jeden Makels. Nie kam man in Bayreuth auf die Idee, zeitgleich einen Kongress zur deutschen Geschichte und zu Neonazismus zu veranstalten. Im Wissen um NSU Terror und oberfränkische Aktionskreise stellt sich diese Frage umso lauter.

Gerade Evgeny Niktin und seine widersprüchliche Künstlerbiographie hätte als einmalige Chance begriffen werden können. Das Verstehen der eigenen Vergangenheit als Irrweg und die Kultur als Ausweg. Die Sühne und Läuterung als Signal für viele junge Menschen, die ihrer eigenen Vergangenheit entkommen möchten. Exit, das zivil gesellschaftliche Netzwerk für Aussteiger der Neonaziszene kennt die Probleme bei der Wiedereingliederung von ehemaligen Extremisten. Gerade das Schlaglicht der Festspiele hätte die Debatte um Verirrungen, Folgen und Rehabilitation in der Gesellschaft bedeutend mehr bewirkt, als die Besetzung mit einem neuen Sänger. Übrigens durchleben gerade die Charaktere in Wagners Opern immer wieder jene Brüche, den Wandel und die Neugeburt. Evgeny Niktin ist so erhaben wie der Holländer selbst und hätte eine Bereicherung des Ensembles dargestellt.

tl;dr
Solange man sich ihr nicht stellt, wird man von der Vergangenheit immer wieder eingeholt – Nein, nicht Evgeny Niktin, sondern Bayreuth und die Festspiele.


Russisches Video


Fotonachweis des Festpielhauses: Rico Neitzel, Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.

Offener Brief an Hans Söllner

Lieber Hans,

Ich weiß nicht, wer Dir so viele Lügen über die Piraten aufgetischt hat, das Du so schnell vom Piratenunterstützer zum Piratengegner wirst und uns als dumpfe Diebesbande siehst.
Zuerst das allgemeine Argument, wir würden nur mit Protestthemen Stimmen fangen wollen. Es ist schon traurig, wenn Protest gegen Ungerechtigkeit als Stimmenfang wahr genommen wird. Natürlich ist das aber immer das Standardargument all jener, die das System nicht ändern wollen. Du kannst Dich sicher auch an die Zeit erinnern, als Konzerte von Dir durch CSU Stadtratsabgeordnete verhindert wurden und Dir populistisches Anstiften von Jugendlichen zum Kiffen vorgeworfen wurde, obwohl Du das nie getan hast.
Dir ging es um Freiheit und die Befreiung von unsinnigen Drogengesetzen, die ein friedfertiges Kraut kriminalisieren, während der so gefährliche Alkoholkonsum als bayerisches Lebensgefühl verniedlicht wird.
Insofern kennst Du ja die Medienmethoden, unbequeme Themen zu diskreditieren.
Und genau das ist jetzt mit unserer Urheberrechtsreform gemacht worden.
Es geht hier nicht um das Abschaffen des Rechtes der Urheber, von Ihrer Musik leben zu können. Es geht nicht darum, Gratiskultur und Geiz auf Kosten von Kultur schaffenden zu fördern.
Es geht schlicht um die Verhältnismäßigkeit, mit welcher Rechte im Internet eingehegt werden und damit langfristig wirkliche Freiheit und Bürgerrechte gefährden. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem was Leute wie Gorny vom Bundesverband der Musikindustrie fordern und einer Totalüberwachung im Netz. Ich verharmlose nicht, denn genau solche Dinge sollten durch die Hintertür mit ACTA eingeführt werden.

Es geht darum, das neue Verkaufs- und Auswahlmodelle im Netz her müssen, sei es für Musik, Filme und alle anderen Kulturschöpfungen. Diese Angebote müssen nicht nur der gewohnten Mediennutzung entsprechen, sondern auch frei portierbar ohne Nutzungs begrenzende DRM Massnahmen verfügbar sein. Noch viel wichtiger ist: Es geht darum, hierfür Bereitschaft zu fördern, indem man auf das Vertrauen zwischen Künstler und seinem Zuhörer baut. Es geht um den uralten Pakt, in dem Menschen Dinge honorieren möchten, die ihnen etwas bedeuten. Das bedeutet sicher für viele der Massenkulturprodukte vom Reißbrett einen Abschied von alten Verwertungsmodellen. Das bedeutet auch, das es in jedem System Missbrauch geben wird. Damit meine ich all die unfairen kommerziellen Filehoster, aber auch jene Datenmessies, die wie im Bulimierausch nur noch damit beschäftigt sind alles auf ihre Platte zu raffen, ohne noch die Muse und Zeit zu finden, sich das Geladene zu Gemüte zu führen. Glaubst Du wirklich, das dieser Datenmessie Dich als Musiker schädigt, wenn er Deine Songs in irgendeinem Winkel seiner Terabytesammlungen speichert, ohne sie je wirklich zu geniessen? Und jene, die Deine Songs nicht bezahlen, Sie trotzdem lieben, werden sicher auf eines Deiner Konzerte gehen und dann feststellen: “Der Söllner ist so geil, ich will seine Original CDs mit Autogramm direkt ins Regal neben die Bong stellen.”

“Kultur muss und will zuerst zirkulieren – dann müssen wir über die Honorierung nachdenken und nicht umgekehrt.” Keinen Schreck bekommen, dies ist keine Aufforderung zur Gratiskultur. Dieser Satz stammt nicht von einem Piraten, sondern vom deutschen Kulturrat Olaf Zimmermann, einem ausgemachten Kulturförderer und wichtigstem Mittler zwischen Politik und Verbänden.

Die Lüge vom Einbruch der Verkaufszahlen wegen der illegalen Downloads wurde in unzähligen Studien widerlegt, die mail ich Dir sehr gerne zu. Du weisst wahrscheinlich selbst, wie schmal das statistische Fenster der Brennerstudie ist, die nur Industrienabelschau betreibt, wenn sie vom apokalyptischen Einbruch der Verkaufszahlen spricht.

Der große Arno Schmidt stellte bereits letztes Jahrhundert konsterniert fest, das ein Mensch in seinem Leben selten mehr als 3000 Bücher lesen könnte, was nicht einmal mehr das Repertoire der gesamten Hochliteratur ausmacht,
Noch nie gab es so viele Konsumgüter und kulturelle Schöpfungen, wie heute und die Tendenz ist steigend, denn die Vertriebswege und Produktionsmittel sind endlich demokratisiert und für jedermann zugänglich.
Alle drängen auf einen Markt. Hierfür braucht der jetzt umso mehr geschätzte Konsument nicht nur neue Werkzeuge um zu selektieren und zu entscheiden, welche Werke wirklich einen Kauf rechtfertigen, sondern es geht auch um die von Arno Schmidt formulierte Aufmerksamkeitsökonomie. Die traurige Wahrheit ist nämlich auch: Wir bräuchten die Reinkarnation, um all die wundervollen Werke zu hören, lesen, sehen, schmecken und begreifen zu können.

Ich schreibe Dir das in wenigen Zeilen, in der Hoffnung alles weitere in einem persönlichen Gespräch erläutern zu können.
Noch soviel zum Schluss: Ich selbst lebe seit 25 Jahren von meiner Musik im Underground. Das Internet hat mir geholfen, auch ohne riesige Budgets weltweit unterwegs zu sein.

Ich wäre saublöd, wenn ich meine eigene Grundlage zerstören würde,

Mit musikalischen Grüßen,

Bruno Kramm

Antwort zu FAZ Artikel am 20.5.12

Sehr geehrter Herr Schirrmacher,

in einem konstruktiven und analytisch scharfsinnigen Aufruf zum Dialog zwischen Urhebern und Urheberrechtsreformern ist es die sonst eher wertekonservative F.A.Z., die den Anfang macht, wenn sie fordert: „Schluss mit dem Hass!“. Denn leider wurde bisher in der Presse weder unser Wille zu einem konstruktiven Austausch zwischen den Interessengruppen reflektiert, noch fand unsere umfangreiche, der Anpassung an die moderne Informationsgesellschaft verpflichtete Urheberrechtsreform eine ausführliche Erwähnung und Diskussion. In der medialen Darstellung unserer Arbeit betrifft das auch die Themenfelder Urheberrechtswahrnehmungsgesetz und Urhebervertragsrecht.

Die öffentliche Wahrnehmung wurde hingegen gezielt auf zwei von vielen Änderungsvorschlägen gerichtet, die dann, verkürzt und verfälscht, zur Parole „Piraten wollen Gratiskultur“ wurden. Unspektakulär klingen sie dagegen in Reinform: Einführung einer neuen Schranke des Urheberrechts für legales, nichtkommerzielles Filesharing und die Begrenzung von Schutzfristen.

Die Verkürzung unserer Reformansätze ist es jedoch, die eine der modernsten und kulturell und politisch so wichtigen Medientechnologien vollkommen diskreditiert. Aus Filesharing wurde die „Raubkopie“ – aus dem Nutzer ein krimineller, moral- und instinktloser Nutznießer der Wertschöpfungen anderer. Diese propagandistische Aufladung begann schon mit der Rede von der „Softwarepiraterie“ und der Gleichsetzung von geistigem und physischem Eigentum.

Dabei vermied man es, die Erinnerung ans Teilen und Kopieren in vergangenen Epochen zu Rate zu ziehen – was doch bis heute einen maßgeblichen Einfluss auf die künstlerische Disziplin des Imitierens, Zitierens und Weiterentwickelns hat. Aber auch die gegenwärtige globale Aufklärung, sei sie politisch-demokratisierender Art, sei sie im Interesse von Verbrauchern, Menschenrechten oder nur der Erhaltung von Wissen aus verwaisten Werken, verpflichtet. Kurz: Das ganze Internet baut als offenes Medium der Teilhabe auf die kulturelle Kraft des Sharings, das natürlich im Widerspruch zur grenzenlosen Einhegung jedweder Vermittlung durch restlos erschöpfende Verwertungsverträge der modernen Kulturindustrie steht. Einer Industrie, die ihre straff organisierte Medienmacht lautstark wie keine andere zu vertreten weiß und die eigenen Versäumnisse kaschiert. Wie sonst hätte man so weit kommen können, dass sich ein einstmals vom Konkurs bedrohter Computerhersteller zum Giganten des digitalen Kulturhandels aufschwingen konnte und heute der Kulturindustrie in erniedrigender Art und Weise die Konditionen diktiert?

Auch hier ist vielleicht Filesharing der einzige Schlüssel, ein sattes Monopol zu brechen. Doch benötigt Filesharing nicht einmal diese Ehrenrettung, denn seine sinnstiftende Kraft ist offensichtlich: Sowohl die wissenschaftlich-akademische Kommunikation als auch die legale Vermittlung von kulturellen Schöpfungen unter Creative-Commons-Lizenzen und die Erhaltung bedrohter Werke in digitalen Almenden wie Projekt Gutenberg, Wikipedia und nicht zuletzt auf klassischen P2P-Filesharing-Infrastrukturen basiert auf dem Prinzip „Sharing ist Caring“.

Die Verwerterindustrie behält hier den Sharer als klassischen Konsumenten im Visier der Abmahnungen und kriminalisiert den Einzelnen, der, aus dem Netz des Sharings herausgelöst, nur Segmente des Uploads bereitstellte – Filesharing funktioniert eben nur im Bewusstsein einer gemeinsamen Teilhabe.

Wie auch schon in der Vergangenheit planen wir seit einigen Wochen „Runde Tische“ mit Vertretern der verschiedensten künstlerischen, technisch-wissenschaftlichen und administrativen Instanzen, um unsere Positionen der Urheberrechtsreform an den zahllosen individuellen Bedingungen von Kreativen zu überprüfen.

Wir werden hierfür auch unsere piratentypischen Tools wie Piratenpads, Mailinglisten und Mumblesessions benutzen, um auch einer breiten Öffentlichkeit die Teilhabe an diesem Dialog zu ermöglichen und um gleichzeitig unsere demokratischen Werkzeuge vorzustellen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diesen Dialog als Zeitung begleiten würden, um endlich über die so dringend notwendige Reform des Urheberrechts zu sprechen. Ein Urheberrecht, das Lösungen für ein zukunftsorientiertes Morgen der Kreativen schafft, statt in der Angstkultur des Gestern zu erstarren.

Mit musikalischen Grüßen

Bruno Kramm