Die Angst vor dem kreativen Nutzer

Nein, Sie sind nicht die Urheber, allenfalls ein Promille aller schöpferisch Tätigen in Deutschland: Die 100 Unterzeichner der Erklärung „Wir sind die Urheber“. Denn bereits bei der GEMA werden 60.000 Urheber vertreten, ganz zu schweigen von der Vielzahl der nicht registrierten und oft im Prekariat lebenden Schöpfern und jenen, die bereits den Gang allen Irdischen hinter sich brachten und deren Rechte weiterhin bis 70 Jahre nach ihrem Tod ausgewertet werden.
Die fehlerhafte, zumindest fragwürdige Analogie vom physischem Eigentum und dem metaphorischen geistigen Eigentum, aber auch die höchst verführerische und dennoch falsche Gleichstellung von Kopiervorgang und Diebstahl wurde bereits hinreichend beleuchtet – doch die 100 Unterzeichner haben sie sicher ebenso wenig gelesen wie das Parteiprogramm der Piratenpartei, welches nicht danach trachtet das Urheberrecht abzuschaffen, sondern sinnvoll zu reformieren.
So aber bleibt von Ihrer Kampagne nur der schale Beigeschmack einer polemischen Kampagne, für die sich die Zeit ebensowenig zu Schade war wie das Handelsblatt vor einigen Wochen mit ihren hundert Köpfen.

Man beißt eben nicht die Hand, die einen füttert und lässt sich von kulturkonservativen Argumenten einseitig gegen eine vermeintliche Netzgemeinde kriminell-asozialer Schmarotzer in Stellung bringen. Auch sind die kritischen Stimmen erfolgreichen Urheber selten daran interessiert, das eigene Erfolgsmodell zu reformieren. Ein Schelm, wer hier Übles denkt, denn eigentlich bedeutet die Demokratisierung der Produktionsmittel zuerst einmal eine umfassende Öffnung bisher schwer zugänglicher und wirtschaftlich kontrollierter Kanäle zwischen Urhebern und den potentiellen Interessenten seiner Kreationen, den Nutzern. Die ewig junge Kulturtechnik des Kopierens, der Selektion und der Transformation gewinnt darüber hinaus einen neuen Drive und animiert die bisher teilnahmslose Masse der Konsumenten zur Interaktion und sei es vorerst nur der Videomashup auf Youtube, erste musikalische Gehversuche mit gesampelten Loops aus den Charts oder Fotomontagen auf Facebook. Denn eigentlich fürchtet die Kulturindustrie langfristig nichts mehr als die Entfesselung und Aktivierung des lethargischen und passiven Konsumenten, dessen Phlegma für einen konstanten Massenmarkt von entscheidender Bedeutung ist. Denn Kultur ist trotz aller gegenteiligen Beteuerungen leider größtenteils ein rein ökonomisches Produkt, dessen ästhetische Gesichtspunkte weit hinter den Warenwert treten und die in ihrer Summe der Rendite von globalen Auswertungsverträgen verpflichtet sind. Wer dagegen selbst mit schöpferischen Prozessen vertraut ist, lernt schnell Gleiches und Vielfältiges kritisch zu differenzieren und eigene Qualitätskriterien zu entwickeln.
Die Kulturindustrie pauschalisiert hingegen alles zwischen Filesharing und unlizensierter Bearbeitung als illegale Nutzung. Gleichzeit gerät die Kulturindustrie in eine Zwangsabhängigkeit zu defacto Monopolisten wie Apples Itunes und verpasst dabei die einmalige Chance Peer to Peer Filesharing als den demokratischen Distributionsweg der Zukunft zu erkennen. Selektive Statistiken sollen z.B. den der illegalen Downloadpraxis geschuldeten Abwärtstrend der Film- und Musikindustrie belegen und vernachlässigen dabei die fortschreitende mediale Diversifizierung und Marktverschiebung hin zu den neuen Märkten für Software und Hardware, Computerspiele und Handyflatrates. Der Konsumgütermarkt in seiner Gesamtheit wächst nach wie vor, und das auch, weil medienkompetente Nutzer Netzinhalte auf Tauschbörsen bereithalten und tauschen, um der Flut der Veröffentlichungen mit einer eigenen Selektionsstrategie gerecht zu werden. Jene Werke, die individuell begeistern, werden in den meisten Fällen gekauft, oft sogar direkt bei den Urhebern. Als Beleg hierfür mag die direkte Proportionalität von hohen Downloadzahlen und gleichzeitiger Chartnotierung gelten. Auch war die Skala individueller Stilistiken und ihrer Anhänger noch nie so vielfältig wie heute. Viele dieser oft kleinteiligen Schöpfungen hätten ohne das Netz niemals den Weg zu Konsumenten gefunden.
Nur im schamhaften Flüsterton veröffentlichen die Branchen-Publikationen die Wachstumsschübe der neuen digitalen Vertriebswege, die noch vor kurzem vehement bekämpft wurden und gerade im Longtailmarkt der diversifizierten Kultursparten und Gattungen neue Rekorde erzielen.
Dennoch: Künstler und Kulturschaffende litten leider zu allen Zeiten in den Spannungsfeldern Monetarismus versus Utilitarismus, Massenmarkt versus Individualität und Einhegung versus Allgemeingut. Unzählige schwere Sozialfälle in den GEMA und KSK Sozialfonds sind nicht einer hemmungslosen Mediennutzung im Netz, sondern der mangelnden Vertretung von Künstler- und Urheberinteressen gegenüber ihrer Kulturindustrie und dem Stellenwert in der Gesellschaft geschuldet. So spricht die letzte weitgehendere Aktualisierung des Urhebervertragsrechts im Jahre 2002 Bände zur politischen Interessenlage der in Berlin gut vernetzten Industrieverbände, die ausschließlich die eigenen Marktmodelle protegieren.

Vergessen wir einmal, dass das industrielle Normativ rein wirtschaftlicher Überlegung über 90% der weltweit urheberrechtlich geschützten Werke verwaisen oder unveröffentlicht lässt, um eine auf den Massenmarkt zentrierte Auswertung zu bevorzugen.

Und vergessen wir einmal die unsägliche Metaphorik geistiger und materieller Güter, die bereits an den Begriffen Rivalität und Knappheit scheitert und in der Verhältnismäßigkeit des Abmahnwesens ihre zweifelhafte Durchsetzung gefunden hat.

Bereits in den 1960ern kritisierte der Kulturphilosoph Adorno die kulturindustriellen Auswirkungen der Abkehr von einem liberalen und autonomen Kulturbild. Statt kritischem Impetus bezüglich gesellschaftlicher Veränderungen verknüpfte die Industrie ihre eigenen Wünsche mit der Produktion von Kultur bis zur Ununterscheidbarkeit. Sicher übersah Adorno dabei die kulturelle Sprengkraft meist im Untergrund gewachsener rockmusikalischer Subversion und Rebellion, die aber letztendlich oft mit der grenzenlosen Vermarktung ihre eigentliche Intension verlor.
So fördert die Unterhaltungsindustrie hauptsächlich jene Werke, die dem Bekannten ähnlich genug sind, denn nur so ist eine breite Konsumentenantwort sicher, während die bereits erprobten Muster der Vermarktung ein geringes Risiko für Investitionen darstellen. Diese Wechselwirkung von breitem Konsumenteninteresse und dosierter künstlerischer Innovation ist bezeichnend für die chartorientierte Unterhaltungsindustrie, die jahrzehntelang Produktions- und Vertriebswege kontrollierte und gleichzeitig kreative und gesellschaftsfördernde Innovationen hemmte.

Die technologische Revolution des Netzes in den letzten beiden Jahrzehnten hingegen eröffnete mit immer günstiger verfügbaren Produktionsmitteln wie Kameras, Schnitt- und Musikprogrammen ein breites Feld der wachsenden kreativen Partizipation und Abkehr von passiver Kulturrezeption. Gleichzeitig wuchs jedoch das Konfliktpotential mit dem klassischen Urheberrecht proportional, das bisher nicht von einer bidirektionalen Nutzung und unmittelbaren Interaktion mit urheberrechtlich geschützten Werken ausging, sondern alleine die Rechtsbeziehung zwischen Urheber und Verwerter behandelte.
Doch gerade im Zuge der neuen Nutzungsarten entstehen nicht nur neue Werke und ein Koordinatensystem der Verschränkungen und ihrer Vererbung, sondern ein fließender und kommunikativer Austausch und damit die Voraussetzung für die Evolution kultureller Potentiale. Ein Widerspruch der nur mittels einer grundlegenden Anpassung des restriktiven Urheberrechtes der Vergangenheit aufzulösen ist.

Wer den Begriff der Allmende in der Urheberrechtsdiskussion fallen lässt, macht sich schnell des modernen Marxismus verdächtig, denn der staatenlose Philosoph definierte den Tauschwert von Waren als ein zentrales Paradigma, welches in der digitalen Welt des verlustfreien Kopierens eine besondere Bedeutung erfährt.
Dem gegenüber steht jedoch die Willkür restriktiver Einhegung, denn Eigentumsbegriffe waren immer flexibel und nie so strikt definiert wie heute. Diese ständige, durch neue globale Handelsabkommen flankierte nutzungsrechtliche Verengung betrifft bei weitem nicht nur Immaterialgüterrechte, wie kulturelle und wissenschaftliche Schöpfungen, sondern ist die Spitze des Eisberges der Konflikte um elementare Ressourcen und territoriale Ansprüche. Bereits im Code Napoleon war Privateigentum mit einer gleichzeitigen Verpflichtung der Nutzung verbunden, die heute längst einer Sicherheitsverwahrung gleichkommt und im Falle der unlizensierten Nutzung unweigerlich horrende Abmahnungen und Schadenersatzansprüche nach sich zieht.

Die Folgen dieser Einhegung von Urheber- und Leistungsschutzrechten sowie Patenten lassen sich besonders gut im Telekommunikationsbereich beobachten. Auf einem existenzbedrohenden Niveau kämpfen die Giganten der Branche zum Leidwesen kleiner Anbieter in unverhältnismäßigen, millionenschweren Patentverfahren.

Es ist unzweifelhaft, dass Schöpfer geistiger Güter nicht nur angemessen honoriert werden müssen, sondern auch eine bessere Absicherung für ihre häufig unwägbaren Lebensumstände benötigen.
Die Einzelverrechnung von Werknutzungen ist bereits in der Vergangenheit als nicht zu handhabendes Verfahren gescheitert, ihre Wirkungslosigkeit ist im Internet offensichtlich. „Trittbrettfahrereffekte” betreffen nicht nur Passanten von Konzerten, unlizensierte Aufführungen, legale Privatkopien und sonstige Schranken des Urheberrechtes, sondern sind Teil der Idee eines freien Netzes der Teilhabe aller. Eine Teilhabe die bei den Segnungen von freiem HTML, Email, Protokollen und Infrastruktur für Individuen und Konzernen bis zur Verfügung von Wissensdatenbanken, Kulturgütern und Ideen reicht.

Pauschalabgaben haben sich in der Vergangenheit bewährt, während moderne Finanzierungsmodelle wie Crowdinvesting, Crowdfunding und Micropayments in den Vereinigten Staaten ihren Siegeszug angetreten sind. Erst ein breiter gesellschaftlicher Diskurs kann die Debatte entzerren und vom Urheberrechts-Alibi zum eigentlichen Thema lenken: Was ist der Gesellschaft Kunst und Kultur wert?

Globale Probleme der Überproduktion, externalisierter Kosten, Umweltschäden und irreparabler sozialer Imbalance haben eine gemeinsame Wurzel und eine ähnliche Ausgangslage. Die Allmende ist kein protoromantischer postkommunistischer Garten Eden. Sie muss als Gegengewicht zur ausnahmslos kapitalistischen Ausrichtung dem allgemeinen Interesse einen wegweisenden Akzent verschaffen. Studien wie “Sharing – Culture and Economy in the Internet Age” von Philip Aigrain errechnen mit Hilfe empirischer Daten und mathematischer Modelle des Filesharings einen moderaten Pauschalbetrag zur Honorierung der Leistung von Urhebern. Bevor jedoch die Diskussion um eine Pauschalabgabe für Filesharing beginnen kann, müssen grundlegende Weichenstellungen erfolgen. Neben der öffentlichen Debatte um Höhe und Funktionsweise kommt gerade der Erhebung und Verteilung von Pauschalen besondere Bedeutung zu. Im Sinne eines grundsätzlichen Datenschutzes verspricht der Vorschlag der Kulturwertmark des Chaos Computer Clubs höhere Praktikabilität gegenüber den bisher favorisierten Flatratemodellen, verlangt vom Nutzer aber auch mehr Medienkompetenz. Allem voran müssen jedoch die Verteilungsschlüssel der bisherigen und zukünftigen Pauschalen einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden. Eine der größten Verwertungsgesellschaften, die GEMA, bedient nur angeschlossene GEMA Mitglieder und weigert sich bis heute, ein gerechtes Verteilungsmodell zu installieren und Werkteile unter der Creative Commons Lizenz zu veröffentlichen. Hierdurch werden jene Urheber in eklatanter Weise benachteiligt, der kleinteilige Werkrepertoires vertreten, jedoch in der Summe den größten Teil des Marktes ausmachen.
Der Diskurs um die freie Weitergabe nichtkommerziellen Ausmaßes, die freie lizenzfreie Vermittlung von Wissen, die Befreiung von Künstlern und verwaisten Werken aus Schutzfristen und anderen Begrenzungen mag Modellcharakter für andere Bereiche der gesellschaftlichen Debatte haben und sie beginnt – wie sollte es anders sein – in der Kunst, der Kultur und bei ihren Protagonisten und beginnt mit einem Eingeständnis: Das Netz macht alle zu Kreativen.