Kundgebung Brandenburger Tor, Samstag, 7.11
1991 Hoyerswerda, 1992 Rostock-Lichtenhagen, Mölln, 1993 Solingen – das war der Naziterror im frisch wiedervereinten Deutschland. Damals waren die apokalyptischen Kleinbürger der braunen Pest Republikaner und DVU. Sie peitschten die Parolen gegen verzweifelte Flüchtlinge bis zu den rassistischen Terrornächten des wiedervereinten Deutschlands auf. Ich traute meinen Augen kaum, als ich die bürgerlichen Claqueure vor den brennenden Heimen sah. Aber auch damals schon wäre es zu leicht gewesen, die Brandstifter nur im sumpfigen Neonazi-Bodensatz zu suchen.
Denn fruchtbarer Boden braucht Nahrung, den auch damals schon die Biedermänner fütterten, die vordergründig Doppelstaatsbürgerschaft und Asylrecht wegen angeblicher islamischer Zuwanderflut abschaffen wollten.
Die rassistische Anbiederung fand auch in Hessen statt, als Ministerpräsident Roland Koch sich mit einer abgründig offenen Fremdenhasskampagne ins Amt hob. Begriffe wie Asylterror und Islamische Gefahr für das Abendland fanden schon damals sein Lob als demokratisches Engagement. Zu Zeiten des Jugoslawienkrieges waren es im Jahr 92 circa 400.000 Asylanträge, die die rassistische Volksseele kochen ließen; heute sind es mehr als eine Million Menschen auf der Flucht zu uns und die regelmäßig brennenden Flüchtlingsheime haben bereits ihren Nachrichtenwert verloren. Das ist der Winter 2015 in Deutschland.
Dass wir heute so ungeschönt in den Rachen des Neonazikosmos blicken können, liegt vielleicht auch am Internet. Denn die Steigbügelhalter von damals sind heute jene die auf Facebook zu tausenden die Like-Button für lynchmobartige Bürgerwehren und die feigen Brandstifter der Flüchtlingsheime drücken. Dieser Abgrund macht Angst, er hat weder Herz, noch Verstand. Er kennt weder Empathie noch Verantwortungsgefühl. Er frisst scheinbar alles und zermalmt es zu dieser schmutzigen völkischen Masse, die von den rechten Rattenfängern dirigiert wird und wie eine Flut in den entmenschlichten Gassen unserer Republik alles mit sich reißt. Es ist so leicht, Hass zu schüren und so schwer für Mitgefühl zu werben.
Dabei frisst die Revolution des Hasses ihre eigenen Kinder: Die rechten Zauberlehrlinge Professor Lucke oder Hans-Olaf Henkel sind längst von der Unmenschlichkeit, die sie beschworen hatten, überrollt worden. Der braune Tsunami hat jetzt den schmutzigen Schaum nach oben gespült, all die Paulys und Höckes, die mit einem Horizont bis zum eigenen Gartenzaun globale Fluchtbewegungen als Verletzung ihres Grundstückrechtes sehen und schon laut über den Schießbefehl nachdenken.
Scheinbar gibt es keinen Weg, jener dumpfen Volksmasse Einhalt zu gebieten. Dennoch möchte ich versuchen, mit Argumenten jene zu erreichen, die noch nicht verloren sind. Jene, deren Gedanken noch nicht vom braunen Hass zerfressen sind.
Pegidas und Afd: Was meint ihr mit der Islamisierung des Abendlandes? Weil Moscheen gebaut werden? Wir haben überall Kirchen, und die Kirche darf sogar Steuern eintreiben lassen. Trotzdem sind wir kein christlicher Gottesstaat. Jeder ist frei, zu glauben, was er will. Und christliche Glaubenskrieger gab es übrigens genug, die die Bibel global für viele Blutbäder benutzt haben. In den USA schmiedet die neue Generation der Kreationisten ihre eigene Achse des Bösen quer durch die Zivilgesellschaft. Und da hat die westliche Wertegesellschaft Angst vor Moslems?
Die überwältigende Überzahl der Moslems in Europa sind friedliche Mitmenschen, die gerade die Vielfalt und Freiheit Europas schätzen.
Und ihr, die ihr so oft von westlichen Werten sprecht, von Kultur, die ihr vor dem Einfluss der Fremden schützen wollt. Was meint die AfD mit westlicher Kultur eigentlich? Goethe, Kant, Heine, Mahler, Bruckner, Adorno, Heidegger oder meint sie doch eher Facebook, McDonalds und Schlagerparade?
Unser Europa lebt von der Vielfalt. Freiheit gibt es sogar für Gartenzwerge, Bratwurst und Lederhosen in Europa. Für Falafel, Kartoffel und Hummus. Für Schlager, Death Metal und Hiphop neben Volksmusik, Klezmer und Walzertakt. Für das Word Wide Web, unser digitales Füllhorn der Kultur. Ja sogar für Freunde der Verschwörungstheorien wie euch.
Wenn es unteilbare Werte gibt, wofür der Westen wirklich unabdingbar steht, dann ist es Freiheit. Heinrich Heine sagte: “Die Freiheitsliebe ist eine Kerkerblume, und erst im Gefängnis fühlt man den Wert der Freiheit.“ Vielleicht sollten jene, die dort so laut rufen “Dresden zeigt wie es geht” mal über den eigenen DDR-Kerker der Vergangenheit nachdenken.
Und ja AfD, dann eure Mär von der Lügenpresse, dem Unwort des letzten Jahres!
Es gibt keine Region in der Welt mit so einer großen Vielfalt von Presse, Medien und Journalismus wie in Europa. Und natürlich tun sich manche ältere Medien mit der Vielfalt der Meinungen im Netz schwer. Aber dennoch setzen Journalisten in aller Welt sogar ihr Leben aufs Spiel, um uns die Facetten der Realität zu präsentieren, aus denen wir unsere Meinung bilden können.
Freie Presse heißt natürlich auch, ihr müsst euch entscheiden, wem ihr zuhören wollt. Das muss man lernen. Medienkompetenz heißt nicht „Das stand so auf Facebook“. Ihr könnt übrigens mit eurem Kauf oder Klick selbst bestimmen, dass die BILD-Zeitung nicht mehr die erfolgreichste Zeitung unseres Landes ist, so sehr steuert ihr selbst die öffentliche Wahrnehmung.
Der Lügenpresse Begriff der AfD ist dabei dem finstersten Zeitalters unseres Landes entliehen. Einer Zeit, als damit eine jüdisch marxistische Weltverschwörung konstruiert wurde. In deren Zuge nicht nur die kulturell und intellektuell prägendsten Kräfte erstickt wurden, sondern eine komplette Bevölkerungsgruppe Europas planmäßig vertrieben, konzentriert und vernichtet wurde: Das Judentum! Die AfD Litanei der Lügenpresse schließt genau dort an. Sie braucht sich nicht zu wundern, wenn man ihr allein deshalb die Nazikarte zuschiebt.
Und AfD, was Euren dämlichen Patriotismus für diese Nation betrifft – habt ihr noch immer nicht kapiert, dass alle Menschen gleich sind und dass die Unterscheidung Abendland und Morgenland genauso politisch motiviert ist, wie die Hegemonien Ostblock und NATO?
Alle Kriege, alles Elend, das gerade in Europa seinen Ursprung fand, bauen auf diese Unterscheidungen und Ausgrenzungen. Ausgrenzung schafft Feindbilder, auf die man die dumpfe Masse hetzen kann, und ihr seid mitten drin.
Findet die Gemeinsamkeiten im Menschsein, im Helfen, nicht in der Herkunft – alle von euch, ich inklusive, kommen irgendwo her und gehen auch irgendwann den Weg alles Weltlichen. Wer einen Glauben hat, kann sich dann sogar noch vor seinem Schöpfer verantworten. Was wir dazwischen tun, sind unsere Taten, für die nur wir verantwortlich sind.
Menschen verlassen ihre Heimat, Familien und Freunde immer nur aus Not. Not, die in den meisten Fällen ihren Ursprung in unserer Welt hat: In Waffenexporten, Rohstoffinteressen und Geopolitik. Der Begriff Wirtschaftsflüchtling ist dabei genauso hässlich, wie Menschen nach ihrer Zweckmäßigkeit einzuordnen, so wie das viele der gierigen Konzerne tun, wenn sie euch vor die Tür setzen.
Solidarisiert euch mit den Ärmsten und zeigt so die wahren Werte, die unsere demokratische Gesellschaft des Miteinanders ausmacht. Statt auf ihnen sadistisch herum zu trampeln, nehmt euch mal der wirklichen Probleme an. Der Schere zwischen reich und arm, die immer größer wird, dem Neoliberalismus, der in Gestalt des Freihandelsabkommens TTIP unsere Demokratie komplett aushöhlt.
Ist es euer Bild von Europa, das Menschen vor den Grenzen ersaufen lässt? Wenn ihr von Abendland sprecht, meint ihr die Sphäre der christlich-jüdisch geprägten Welt. Wie schaut es denn aus mit eurer christlichen Nächstenliebe? Für all die Ersoffenen im Burggraben Europas?
Eure Behauptung, Flüchtlinge würden mehr bekommen als ihr, ist nicht nur gelogen – sie erinnert an ein gierig neidisches Hyänenrudel. Statt gegen die erbarmungslose Ausbeutung von Menschen zu protestieren, neidet ihr noch die Almosen, die Brotkrumen vom Tisch des globalen Kapitalismus. Nichts anderes sind die immer weiter abgebauten Sozialleistungen für Menschen, egal ob mit deutschem, ausländischem oder ohne Pass.
Gemeinsam gegen Hartz IV ins Feld zu ziehen, gegen Sanktionen und gegen die Ausbeutung der meisten Arbeitnehmer wäre mal das Ziel der Stunde. Für ein Bedingungsloses Grundeinkommen und das Recht auf lebenslange Bildung zu kämpfen. Gegen den globalen Klimawandel, der von unseren Industrienationen verursacht wurde und den Ärmsten im Süden das letzte bisschen Chance zum Überleben raubt. Jene, die ihr dann an der Grenze sogar mit Waffengewalt aufhalten wollt.
Ist das Treten nach den Ärmsten, deren Armsein auch von Eurem Wohlstand besiegelt wurde, eine dieser deutschen Alternativen die ihr im Namen führt? Nach oben buckeln, nach unten treten? Erbärmlich, schämt euch, AfD.
Stellt euch mit den Schwächsten auf eine Seite, egal welcher Herkunft sie sind. Zeigt mal wirkliche westliche Werte, die es wert sind, dafür zu stehen. Mitmenschlichkeit, Friedfertigkeit, Solidarität mit den Schwächsten. Und kehrt den GIDAs, der AfD und all den anderen rechten Menschenhassern den Rücken. Kein Fußbreit dem Faschismus.
Für all die anderen guten Willens: Lasst Euch Eure Empathie nicht ersticken. Lasst Euch Eure Mitmenschlichkeit nicht nehmen. Die geistigen Grenzen zwischen den Menschen aller Erdteile haben wir mit dem Internet überwunden, lasst uns jetzt die Mauern unserer realen Welt einreißen: Niemand ist nirgends illegal. Für ein menschliches Europa des Friedens, der Hilfsbereitschaft und der Vielfalt.
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