Damit aus den 99% Einhundert werden – Bedingungsloses Grundeinkommen

Auch wenn die Krise der Sozialsysteme reflexartig dem demographischen Faktor und den Finanzmärkten angedichtet wird, so ist sie doch auch aus der Veränderung der gesellschaftlichen Ausgangslage und der ihr geschuldeten höheren Flexibilisierung von Lebensläufen und beruflichen Laufbahnen zu verstehen.

Die Generation Praktika, multiple Minijobs, Billiglohnjobs oder befristete Anstellungsverhältnisse verschärfen die Situation für Arbeitnehmer, die bereits unter der erhöhten Bereitschaft leiden, den Arbeitsort als auch das Berufsfeld zu wechseln. Der Fähigkeit beraubt, das eigene Leben und die Karriere nachhaltig zu planen, führt darüber hinaus die plötzliche Arbeitslosigkeit immer öfter in die unmittelbare Hartz IV Abhängigkeit. Die herkömmlichen Erwerbsmodelle versagen strukturell – das bedingungslose Grundeinkommen bietet sich für eine solidarische Marktwirtschaft der Zukunft an, in der Dank zunehmender Technisierung immer häufiger stupide, repetive Arbeiten maschinell ersetzt werden und eine Vollbeschäftigung den freien und selbstbestimmten Arbeitsdefinitionen weicht.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Bereits im 16.Jahrhundert schlug Thomas Morus die Lebenssicherung durch ein Grundeinkommen zur Prävention von Straftaten vor. Montesquieu, der Denker und Erfinder der französischen Gewaltenteilung, forderte den Staat auf, für die grundlegende Sicherung des Bürgers zu sorgen.Thomas Paine argumentierte im 18.Jahrhundert aus dem Gemeinbesitz der Erde heraus eine freie Grundversorgung aller Menschen. Die im 19.Jahrhundert formulierte Sozialdividende, eine Versorgung mittels Grundminimum, leitete später auch jene Einkommensformen ab, die auf Grund von Bedürftigkeit Arbeitslosen- und Sozialhilfe ausbezahlen.

Grundsätzlich versteht sich ein BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) als feste Transferleistung, die jedem Bürger in gleicher Höhe die gesellschaftliche Teilhabe, sowie den Grundbedarf der Existenz – also Wohnung, Nahrung und Kleidung – unabhängig von Wohlstand und Arbeit garantiert, an keine Bedingung knüpft und monatlich vom Staat an den Bürger mit dessen Geburt ausbezahlt wird.

Die Finanzierung eines BGE wird aus einer höheren Besteuerung aller Einkünfte oberhalb eines festzulegenden Grundeinkommens geregelt, weicht jedoch in seinen Parametern und Rahmenbedingungen je nach Modell stark ab. Das von Götz Werner in seiner Publikation „1000 Euro für jeden“ vorgeschlagene Modell besteuert z.B. nur Konsum aber nicht das Einkommen das zusätzlich zum BGE erarbeitet wird.

Subventionen, Sonderzahlungen und steuerlichen Vergünstigungen werden hingegen ersatzlos gestrichen, auch würden die Arbeits- und Sozialämter, die bisher für die Verteilung der komplexen Transferleistungen zuständig waren, ihre grundsätzliche Funktion verlieren.

Das BGE wird und wurde in weltweiten Pilotprojekten mit Erfolg erprobt. Darunter Brasilien, Namibia, Kanada aber auch in kleinen kommunalen Projekten in Deutschland (Mecklenburg-Vorpommern, Kronach)

BGE und Politik

Das Schlagwort BGE hat in der Öffentlichkeit eine fast grenzenlose Beliebigkeit erreicht. Einerseits als Antibiotikum gegen soziale Ungerechtigkeit und andererseits als sozialistisches Schreckgespenst gescholten, haben sich politisch motivierte Versionen des BGE heraus gebildet, die sich immer auf das jeweils proklamierte Menschenbild beziehen. Das Politisieren der Idee BGE wird von den Anhängern kritisch betrachtet, denn politische Sichtweisen ideologisieren und reduzieren die individuelle Befreiung zu Interfraktionellen Meinungsbildern.

Das bürgerlich-konservative Lager führt den sanften Zwang, die Existenznot als Triebfeder der Arbeit an, die durch ein BGE für mindere und unqualifizierte Jobs ihre Macht verlieren würde.
Ein Großteil der Bevölkerung könnte so dem Müßiggang erliegen, anstatt bezahlten Arbeitsverhältnissen nachzugehen.
Wer jedoch Zwang als Motivation von Arbeit anführt, erklärt auch das Prinzip der demokratischen Selbstbestimmung zum schönen Schein und versteckte Sklaverei als eigentlichen Antrieb der Marktwirtschaft. Äusserer Zwang dominiert so den inneren Antrieb und macht darüber hinaus die individuelle Entwicklung von der sozialen Stellung abhängig.

Gerade der Umbruch aus der Industriegesellschaft hinein in die Informationsgesellschaft erfordert ein neues, Vertrauen stiftendes Menschenbild, das gerade in der individuellen Biographie neue, nicht am wirtschaftlichen, statt dessen qualitativen Arbeitsmodellen orientiert. Nicht zuletzt auf Grund der frei verfügbaren Wissensalmende.

BGE Varianten, wie das solidarische Bürgergeld des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Althaus (CDU) fallen bestenfalls in die Rubrik Hartz IV Aufstockung bei gleichzeitiger Streichung des bisherigen Bürokratieaufwands und sind schlichtweg unsozial. Hier werden Menschen erst Recht genötigt, weitere Arbeitsverhältnisse einzugehen um sich über Wasser halten zu können und diese dann entsprechend hoch besteuert. Ohne eine zusätzliche Mindestlohnvereinbarung bestünde die Gefahr einer Zuspitzung der sozialen Trennlinie. Der Staat würde sich trotz Beibehaltung von erheblichen sozialen Differenzen seiner Verpflichtung entledigen, für ein funktionierendes Sozialsystem zu sorgen. Das Bürgergeldmodell der FDP knüpft das Einkommen an eine Verpflichtung zur Arbeit – ein klarer Widerspruch zum Begriff “bedingungslos” und Ausdruck des liberal-misstrauischen Menschenbildes.

Erst ein BGE, das wirklich die Lebenshaltungskosten wie Miete, Kleidung, Nahrung, Verkehr sowie die gesellschaftliche Teilhabe gewährleistet, befreit den Menschen nachhaltig und garantiert die Transformation und solidarische Individualisierung die unsere stockende Gesellschaft dringend benötigt.
Der Denkfehler des alten Systems liegt auch im Belohnungsprinzip von Arbeit, das den Wert von Arbeit nur anhand der Bezahlung misst und eine Gesellschafts schädigende Neidkultur etabliert hat. Das unentgeltliche, persönliche und freimütige Einbringen von Engagement wird einer Gesellschaft durch die rein finanzielle Bewertung aberzogen.

Die Klassifizierung von Berufen anhand der Ertragshöhe geht am Menschen vorbei, der durch seine ihm ureigensten Fähigkeiten unabhängig von der wirtschaftlicher Gewichtung einen qualitativen Beitrag zum gesellschaftlichen Wachstum beitragen kann. Wettbewerb fördert immer den persönlichen Gewinn statt dem Gemeinnutz. Reine Marktwirtschaftlichkeit eröffnet gerade in der modernen Netzgesellschaft unlösbare Problemstellungen für die Partizipation an ihren Immaterialgütern. Das BGE befreit vom Zwang der finanziellen Wertschöpfung und fördert somit die kreative Schöpfung immaterieller Güter zum Allgemeinwohl substantiell.

Wie die meisten Angehörigen höherer Einkommensgruppen lehnen bürgerliche Mandatsträger das BGE ab, da es einer Enteignung der bisherigen parlamentarischen Hoheit über Steuergelder und ihrer Verteilung gleichkommt.
Einigkeit besteht bei der Zukunftsprognose der bisherigen Sozialversicherungssysteme. Die demographischen und finanziellen Faktoren werden das Sozialversicherungs- und Rentensystem und den ihnen zu Grunde liegenden Generationenvertrag langfristig scheitern lassen. Ebenso wenig wird die Arbeitsverfügbarkeit ihrer sozialen Integrationsaufgabe ausreichend gerecht werden können, denn in Anbetracht der voranschreitenden Automatisierung und Rationalisierung ist Arbeit im niedrigen und unqualifizierten Sektor bald Mangelware.

Solidarisches Wachstum statt quantitativer Rentabilität

Die weltweite Finanzkrise, das Zusammenbrechen des Banken- und Finanzsektors verlangen neue Denkmodelle für eine soziale, demokratische und solidarische Gesellschaft der Zukunft. Das künftige Betriebssystem der Gesellschaft muss Solidarität, Miteinander und Beschäftigung gegenüber rein quantitativer Wertschöpfung akzentuieren und nachhaltiges qualitatives Wachstum für die gesamte Gesellschaft erzeugen.

Die Rationalisierung als Prozess ist den technischen Entwicklungen unserer Fortschrittsgesellschaft zu verdanken, der Gewinn der Rationalisierung muss auch solidarisch der Gesellschaft und ihren Menschen zu Gute kommen.

Beruf aus Berufung muss sich über den Arbeitsbegriff des 19. Jahrhunderts erheben und von der reinen Existenzsicherung lösen. Schon heute arbeiten Menschen zu großen Teilen in sozialen Engagements unentgeltlich und der Bedarf steigt. (Freiwilligendienste, Vereine, Selbsthilfe, Museen)

Für höhere Einkommensschichten wird der eigene Wohlstand in Konkurrenz zu einem BGE gesehen, denn bisherige Steuertricks und Abschreibungen maximieren das eigene Einkommen überproportional. Doch gerade aus dem eigenen Sicherheitsgefühl heraus sollte sich der Rückschluss festigen, dass Entfaltung der kreativen Produktivität immer erst in Kombination mit existenzieller Absicherung Wertschöpfung erzeugen kann.
Gesellschaftlich betrachtet gibt es bereits viele bedingungslose Zuwendungen die in besonderem Umfang den oberen Einkommensschichten zu Gute kommen, wie z.B. kulturelle Förderungen für etablierte Hochkultur. Millionenschwere Subventionen für Theater und Opernhäuser werden auf den Ticketpreis umgeschlagen, der jedoch selten untere Einkommensschichten erreicht. In den Genuss dieses elitären Grundeinkommens kommen grösstenteils betuchte Bürger.

Das BGE wird in besonderem Umfang der Förderung von persönlicher Begabung, Neigung und Fähigkeit gerecht, denn Bildung aus Interesse wird für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich. Die Pause für alternative Lebenswege und Neustarts ohne Existenzangst fördert die individuellen Stärken wie z.B. soziale, musische, pädagogische, analytische Intelligenz. Die persönliche Entfaltung ohne verpflichtende Existenzsicherung reduziert Ängste, chronische und psychosomatische Krankheitsbilder der alten Arbeitswelt und aktiviert solidarische und den Gemeinsinn fördernde Projekte die nicht zwangsläufig der Gegenfinanzierung verpflichtet sein müssen. Dies fördert die Diversifizierung des Wachstums, früher aus Schwellengründen unrentabler Berufsfelder, die den Arbeitsmarkt nachhaltig entwickeln können.
Der gesellschaftliche Negativkreislauf einer auf Renditen und Derivaten basierten Marktwirtschaft wird abgefedert. Rein profitorientierte Geschäftsmodelle, die statt nachhaltigem qualitativen Wachstum nur wirtschaftliche Selbstzweck beinhalten, durch das Drücken von Löhnen bei gleichzeitiger steuerlicher Subventionierung für Arbeitsplatzbeschaffungen den Profit steigern, verlieren ihre fragliche Existenz, da Subventionen und Beschäftigte ausbleiben würden.

Enquete, Finanzierung und Pilotprojekt

Die Forderung, eine Enquete Komission zum BGE im Bundestag zu etablieren, wird momentan von Piraten, Grünen und Linken gefordert.

Die Finanzierung eines BGE wurde bereits unter verschiedenen Prämissen von Wirtschaftswissenschaftlern als realisierbar bestätigt. Der Schritt zu einem BGE ist gar nicht so groß, denn bereits heute sind nur 40% der Bevölkerung erwerbstätig, während 60% bereits verschiedene Transfereinkommen erhalten (30% über familiäre Zuwendung, 30% erhalten Renten und Pensionen und 10% Transferleistungen als Beschäftigungslose).

Die dringende politische Aufgabe besteht nun darin, Rahmenbedingungen für ein Pilot- und Forschungsprojekt BGE zu schaffen. Eine repräsentative Auswahl von mindestens eintausend freiwilligen Vertretern aller sozialen Schichten und Bundesländer erhält ein BGE über 1000 Euro für mindestens eine Legislaturperiode. Innerhalb dieses Zeitraumes wird das statistische Sozialprodukt, aber auch die persönliche Wertschöpfung und Entwicklung der Teilnehmer qualitativ ermittelt und begleitet, um eine verbindliche Aussage über die Finanzierbarkeit, aber auch die gesellschaftliche Wirkung eines BGE zu ermitteln.

Die Kosten für ein solches Pilotprojekt sind im Vergleich zu den vielen, oft wirkungslosen staatlichen Subventionen gering. Alternativlos in Anbetracht der verlockenden Möglichkeit, die fragwürdige Gesellschaftsklammer aus Arbeit, Einkommen und sozialem Zwang zu überwinden.

Verweise:
http://www.grundeinkommen-ulm.de/
http://www.freiheitstattvollbeschäftigung.de/
http://www.grundeinkommen.de/
http://www.archiv-grundeinkommen.de/
http://www.solidarisches-buergergeld.de/

Damit aus den 99% Einhundert werden

Im Rückblick ist das vergangene Jahr eine Zeit der schier grenzenlosen Umbrüche. Weltweite Krisenherde und Revolutionen, die umfassende Weltwirtschaftskrise und die Antwort der Menschen darauf, die globale Occupy und Protest Welle sind Zeichen eines nahenden Systemwechsels. Es ist nicht nur das Ende des Wachstums erreicht, sondern auch die blinde Gläubigkeit an den Monetarismus und seine Ikone, das Geld.

Die Weltwirtschaftssysteme wurden mit finanzspekulativer Medikation zu einem kranken Ungetüm aufgebläht. Hilflos den Scharlatanen des Kapitalismus ausgeliefert, vergiften deren profitable Therapiemaßnahmen das soziale Immunsystem durch Angst, Missgunst und Hass. Während die eigene Grundlage vernichtet, Ressourcen verschwendet und die Umwelt zerstört wird, wächst gleichzeitig die Armut und der Hunger, denn der einseitigen egoistischen Bereicherung steht ein bisher unbekannter Drift breiter Bevölkerungsschichten in die Bedürftigkeit trotz Arbeit gegenüber.

Das Raubtier Kapitalismus und seine samtäugige Schwester, die soziale Marktwirtschaft sind im Rausch der monetären Unfehlbarkeit und Selbstüberschätzung am eigenen Zenith gescheitert und lassen eine ausgeblutete und sich mehr und mehr desozialisierende Gesellschaft zurück. Anstatt dem Mensch zu dienen, ist das Geldsystem zu einer Singularität, einem schwarzen Loch der monetären Gravitation angewachsen, das materielle Werte verschlingt, moralische Werte ins Gegenteil verkehrt und Menschen in den Untergang stürzt.

Freiheit, Bildung, Solidarität, Teilhabe, Gesundheitsversorgung, Recht auf Arbeit und Wohnung, Recht auf Meinungsfreiheit und Entfaltung, Recht auf intakte Natur und Umwelt – all diese Werte treten gegenüber dem Finanzdiktat in den Hintergrund und potenzieren im gleichen Zug gebetsmühlenartig die Verpflichtung des Einzelnen, für die Rettung der alten Normen geradezustehen.

An den Rändern der Gesellschaften nagt schon längst der Zweifel am solidarischen Wertesystem und die Angst des sozialen Abstuzes ins Bodenlose. Ängste, die von sozialdarwinistischen Reflexen und rechts-sozialistischen Strömungen angefacht auch schnell in einen Strudel rassistischer und nationalistischer Verblendung führen können. Vorerst wetzen die rechten Volksverhetzer ihre Messer noch im Abseits der untersten Einkommensschichten, bei jenen Verlierern der Globalisierung, die von nationalen Minderwertigkeitskomplexen geplagt, den bildungsfernsten Gesellschaftsschichten angehören. Doch man kann ihren Schleifstein bereits hören, der die Gegensätze, die Vielfalt und Vielstimmigkeit mit gleichgeschalteten Phrasen übertönt und zurechtstutzt um im unmenschlichen nationalen Sozialismus das vermeintliche Heil von Gestern zu suchen.

Dabei wird das eigentliche Problem, die gescheiterte Verantwortung des Marktes für das soziale Wesen und den Humanismus verdrängt: Anstatt dem Mensch zu dienen, ist das Geldsystem in seiner Selbstzentrierung längst gescheitert. Eine Korrektur oder ein Richtungswechsel scheint den wenigsten Verantwortungsträgern in den Sinn zu kommen. Zu sehr hält man an den alten Wertesystemen Protektionismus, Stabilität, Rendite und Vertragspflicht fest. Eine neu gedachte Demokratie zu wagen, eine gerechte und basisorientierte, horizontale und transparente Teilhabe Aller zu ermöglichen, macht den Systemikern der alten Ordnung Angst vor Macht- und Kontrollverlust. Die reflexartige und kategorische Negation verbindet bei diesem Thema oft sogar über die Fraktionsgrenzen hinweg.

Und in der Tat standen die Chancen noch nie so gut wie heute, fundamental geglaubte Gesetzmäßigkeiten zu hinterfragen und zu transformieren. Der Ausstieg aus der Atomkraft, der jahrzehntelang als grüne Utopie und in wertekonservativen Kreisen als Anschlag auf die Energieversorgung, die Marktwirtschaft und die öffentliche Ordnung gedeutet wurde, wird jetzt Meiler um Meiler vollzogen und durch regenerative Energien ersetzt.

Das Internet als geistige Allmende und universeller Kommunikationskanal verbindet Ideen und Menschen über Systemgrenzen hinweg und formt ein virtuelles Abbild der globalen Wirklichkeit. Noch nie konnten Proteste weltweit so synchron etabliert und vermittelt werden. Der arabische Frühling, die Wahlproteste in Russland oder regionale Aufstände in China – je stärker der Einzelne begreift, das er als Teil der 99% eine Stimme hat, umso klarer werden die Konturen des großen Paradigmenwechsel.

Die Proteste 2011 waren erst der Anfang.

Fotonachweis Creative Commons – Occupy by cadillacdeville2000

Immaterialgüter und Partizipation

Digital speicherbare Geistesleistungen und informationelle Schöpfungen dienen bereits heute als immaterielle Almende und weisen einer der Bildung und Teilhabe wechselseitig verpflichteten und verpflichtenden Gesellschaft den Weg in die Zukunft. Einer Gesellschaft, die sich von den althergebrachten Monopolen der Medien und des Konsums befreit und den Weg in eine neue Kultur der Partizipation, Mitgestaltung und Wertschöpfung weist.

Als das wichtigste Antriebs- und Fortschrittsmedium unserer Zeit bezieht das Internet seine Kraft aus einem zwar häufig lizenzrechtlich ungeklärten und hinsichtlich des bisherigen Urheberrechts zweifelhaften Umgang mit Immaterialgütern, hat jedoch innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte weltweit einen unbestreitbar großen Beitrag zur gesellschaftlich-kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Entwicklung beigetragen.(1) In der Menschheitsgeschichte fanden immaterielle Güter, Techniken und Wissen noch nie auf so vielfältige Vermittlungsarten zum Rezipienten, wurden weiterentwickelt und dann zur allgemeinen und offenen Nutzung bereitgestellt.

Darüber hinaus stellt die digitale Vermittlung und Aufbereitung von Daten eine nachhaltige, Umwelt- und Ressourcenschonende Alternative zu herkömmlichen Informationsträgern dar, die auch der höheren Revisionsgeschwindigkeit und häufigeren Aktualisierung von Entwicklungen Rechnung trägt.
Das betrifft insbesondere wissenschaftlich-technische als auch künstlerisch-bildnerische Werke und deren Entstehung aus kommunikativ-transformatorischen Prozessen heraus.

Die Möglichkeiten der vernetzten Welt als Schlüsseltechnologie dieser Wende greifen bemerkenswert tief in das bisherige Urheberrecht und seine verwandten Schutzrechte ein. Seine Neufassung und Anpassung ist eine wichtige Aufgabe für alle gesellschaftlichen verantwortlichen Ebenen um die Rahmenbedingungen für zukünftige Märkte und Geschäftsmodelle auf eine sichere Grundlage zu stellen.

Die Adaption des Urheberrechts an verschiedene Medien und Vertriebswege verlangt eine genaue Unterscheidung der Interessen, insbesondere bezogen auf die Neugewichtung und flexible Verkürzung von Schutzrechten und Fristen, Nutzung- und Auswertungszeiträumen (2). Sie benötigt eine klare Unterscheidung zwischen den Trägermedien der Information und der Ausweitung von bisherigen Schranken aber auch die Ächtung von standardisierten Abmahnungen und stufenweisen Verwarnmodellen.

Im Rahmen einer globalen Wettbewerbsfähigkeit müssen die Verwertungsgesellschaften ihren Mitgliedern gestatten, lizenzfrei einzelne Werke und Werkteile dem Creative Commons (CC) unbeschränkt zuzuführen. Daraus resultiert auch das Recht des Urhebers, seine Werke im Internet auf Portalen zu veröffentlichen, welche Verwertungsgesellschaften bisher durch rechtliche Verfügungen vom Netzzugang ausschliessen oder blockieren.

In besonderem Masse gilt das auch für die jahrelange Blockierung durch zu hohe, am physikalischen Markt orientierte Ansprüche je Titel sowohl für Downloads als auch für das Streaming. Sonderrabatte für Verwerterkonzerne stören nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit innovativer Firmenkonzepte sondern auch die Selbstvermarktung von Urhebern empfindlich. Gerade den Urhebern hilft die Förderung eines qualitativen und kleinteiligen Wachstums analog zum Begriff der ökologischen Ökonomie.

Die Verwertungsgesellschaften müssen sich ebenso von den Stereotypen der Kulturklassifizierung trennen, denn in einer kreativen Netzwelt der transformatorischen Nutzung sind nicht nur die Grenzen, sondern auch die Kulturauffassungen fliessend. (3) Konservative und tendenziöse Bewertungen von kulturellen Leistungen und ihrer künstlerisch-intellektuellen Relevanz der Gegenwart und der Zukunft werden progressiven Werken in den seltesten Fällen gerecht.

Chartsysteme dienen ausschliessliche der Konsumentensteuerung und damit der Marktkontrolle und Einflussnahme durch die großen Verwerterkonzerne.
Als kulturpolitisches Instrument einer medienmonopolistischen Vergangenheit widersprechen Charts der kulturellen Diversifizierung und Objektivität. Der Neutralität verpflichtete öffentlich-rechtliche Anstalten müssen die Verbreitung von Charts in ihren Programmen unterbinden.

Die Argumentation, daß die Aneignung digitaler Immaterialgüter keine Entlohnung auf Grund der unendlichen,Verfügbarkeit im Internet benötige geht ebenso in eine falsche Richtung wie die pauschale Gleichstellung von physischen und geistigen Gütern.(4) Gerade eine vernetzte Gesellschaft des Miteinanders muss das soziologische Prinzip der gegenseitigen Beziehung und des Austausches zwischen den Bezugssystemen achten. So wird zwar dem Urheber durch die Aneignung nichts entwendet, der Benutzer erfährt aus dem Download jedoch einen Zugewinn in Form einer kulturell affirmativen Dienstleistung, Unterhaltung oder Wertschöpfung.

Entlohnung schöpferischer Tätigkeit und der Wunsch nach anonymen und kostenlosem Zugriff verlangen im gleichen Zuge einen digitalen Fair Trade der eine umfassende Neugestaltung und Bewertung von Erlösstrukturen und Lizenzzahlungen fordert. Statt einer Stärkung von Eigentumsrechten an Immaterialgütern muß die schöpferische Tätigkeit an und für sich stärker entlohnt werden. Vielfältige Förderkonzepte helfen Künstlern unmittelbar, im Gegensatz zu Regulierungsversuchen. Sowohl eine größere Verfügbarkeit von öffentlichen Auftrittsmöglichkeiten, unterstützter Zugang zu Produktionsmitteln und die Bereitstellung von detailliertem Wissen bzgl. Marketing und Geschäftsmodelle, aber auch die Förderung der Selbstständigkeit und ein unkomplizierter Zugang zur Künstlersozialkasse helfen Schöpfern von geistigen Gütern bei den Kernaufgaben selbstbestimmten Urhebertums.

Das gestiegene Interesse des Benutzers an freier Verfügbarkeit, Creative Commons, Open Source kollidiert mit den Ansprüchen von Verwertern, Verwertungsgesellschaften und Medienkonzernen. Das eingeräumte Nutzungs- und Auswertungsrecht der Verwerter und Verwertungsgesellschaften zeichnen sich häufig durch Langfristigkeit und Exklusivität aus, während Medienkonzerne und Gerätehersteller über kurzfristiges und günstiges Repertoire zur Steigerung der Attraktivität ihrer Angebote verfügen wollen. Die Lösung dieses Interessenkonflikes (5) um Urheberrechte im Internet muss sich in einer klaren Betonung zu Gunsten des Schwächsten – Urheber und Konsument – ausgestalten. Nutzungsrechte müssen gleichzeitig in der Nutzungspflicht zu Gunsten des Urhebers begründet sein.

Ein flexible und anonyme Messung des anteiligen Datenverkehrs bei den ISPs würde bei der Berechnung von punktgenauen Ansprüchen von Urhebern helfen, ist aber datenschutzrechtlich nicht durchführbar. Eine von Volumina und Transferraten abhängige Flatrate, bei den ISPs erhoben, kann mittelfristig Erlöse für Urheber erwirtschaften, die durch eine unabhängige Messung des Datenaufkommens bei den Contentnodes erhoben werden. Durch den qualitativ hochwertigen Vorhalt der Immaterialgüter bei den Contentprovidern verlieren ungesicherte Fileshareplatformen an Relevanz, da der Konsument immer die hochwertigen und von Schadsoftware freien Angebote vorziehen wird.

Das Zusammenwachsen von Medien verlangt ebenso eine Neubewertung der GEZ bzw. allgemeinen Rundfunkgebühren. Im Zuge einer stetigen Zusammenführung von TV, Radio und Internet erfordert der Rundfunkstaatsvertrag eine Erweiterung und Beteiligung für Internetmedien. (6)

Dem häufig von Verbänden beschworenen strukturellen Marktversagen im Internet steht eine horizontale und vertikale Diversifizierung (7) eines expandierenden Longtail-Marktes gegenüber, der sowohl den Urhebern als auch den Nutzern zu Gute kommt. Diesen neuen kleinteiligen Individualmarkt gilt es zu fördern und zwar direkt bei den Urhebern.

So sehr wie Technologien des Internets von Heute vor wenigen Jahren unvorhersehbar waren, so wenig können wir natürlich verbindliche Aussagen über die Technologien der nächsten Jahre treffen. Wir können nur eine sehr vage Beschreibung des Urheberrechts von Morgen abgeben, müssen aber trotzdem flexibel und mittelbar realisierbare Normen für eine Urheberentlohnung festlegen, um Härtefälle, durch Ausnahmen entstehende unrechtmässige Bereicherungen und die langfristig ungeregelte Situation einer Marktverhinderung zu vermeiden.

Aus diesem Grunde müssen im Internet auch Ausnahmefristen für Betaphasen neuer Technologien und Pauschalmodelle eingeführt werden, innerhalb deren Grenzen weitere Schranken des Urheberrechtes gelten. Leistungsschutzrechte sind für das Internet abzulehnen. Die Interpretation von künstlerischen Werken, journalistische Arbeit und dekorative Schöpfungspflege sind Ausdruck einer freien Beteiligungsgesellschaft, aber nicht unmittelbarer Wertschöpfung und müssen unmittelbar dort, wo die Leistung entsteht, vom Produzenten entlohnt werden.

Das Lösen aus internationalen Abkommen, wie der TRIPS Vereinbarung ist Bestandteil einer fundamentalen Urheberrechtsreform. Hierbei gilt es im Besonderen auf die protektionistischen Hintergründe dieses Abkommens hinzuweisen. TRIPS ist Teil einer kolonialistischen Bestandssicherung, verfolgt Lobbyinteressen der Industrienationen und widerspricht sowohl den Grundsätzen einer gerechten und solidarischen globalen Entwicklungsförderung als auch einem modernen Urheberrecht für das Netzeitalter.

(1) Dieser Multiplikator gesellschaftlicher Entwicklung ist gerade hinsichtlich der demokratischen Entwicklungen in der bisher so rückständigen und isolierten arabischen Welt besonders plastisch und nachvollziehbar geworden. Viele politische und soziale Konfliktherde können erst seit Einführung des Internets objektiv bewertet werden.
Aber auch wissenschaftliche Zusammenarbeit, vernetzte Statistikberechnungen wie bei CERN und SETI helfen Probleme aber auch globale Aufgabenstellungen (z.B. Klimamodelle, Umweltverschmutzung) zu meistern. Wikipedia als die Wissensmanufaktur der Gegenwart und Zukunft ist längst ein etabliertes und globales Wissensportal mit hoher Aktualisierungsrate. Social Networks und Micromessaging helfen und informieren kurzfristig bei regionalen Kaastrophen. E-learning, netzbasierte Medizin und interdisziplinäre Projekte stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung.

(2) Ein Theaterstück z.B. benötigt von der Veröffentlichung bis zur Aufführung durchaus längere Schutzfristen im Gegensatz zu einem Popsong, der u.U. innerhalb eines Sommers sein Maxima der Auswertung erreicht hat.
(3) Punk wurde in den 70ern als eine die Zivilisation zersetzende Musikkultur betrachtet. Im Rückblick war Punk hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung eine der wichtigsten musikalischen Epochen der Nachkriegsgesellschaft. Eine Industrial Version von Johann Sebastian Bach Motiven oder ein Mashup aus Klassik und Danceloops verdeutlicht die Problematik.

(4) Auf Grund des fehlenden Knappheitsprinzip mag das einzelne Immaterialgut keine begründete Entlohnung erfahren, dem gegenüber steht jedoch die Knappheit der Ressource Schöpferkraft. Im besonderen Masse jene, die künstlerisch und wissenschaftlich herausragenden gesellschaftlichen Stellenwert tragen. Die Behauptung Kunst, Kultur und Wissenschaft würden auf bereits Geschöpftem aufbauen, zieht weder eine Grenze zwischen Plagiat und Original, sondern ignoriert und verneint den Antrieb gesellschaftlichen Wachstums an sich.
Verdichtung, Umdeutung und Neuschöpfung sind Summe von Eigenleistung und kulturell gewachsener Inspiration, ohne welche die Gesellschaft immer wieder vom intellektuellen Nullpunkt aus beginnen und schöpfen müsste.
Doch gerade eine Gesellschaft,die so stark von einer Vergeistigung ihrer Werte in digitaler Form geprägt ist, muss ihre Urheber, die als Quell zeitlich und inhaltlich begrenzt sind, angemessen entlohnen.

(5) Urheber, Nutzer, Verwerter, Mediengesellschaften haben häufig diametrale Interessen. Auch wenn Verwerter und Mediengesellschaften jeweils Position zugunsten der Urheber darstellen, ist die Motivation oft subjektiver Natur, die erfolgreichen Erlösstrukturen der Vergangenheit auch hier zur Anwendung zu bringen. Dem gegenüber steht das Interesse der Mediengroßkonzerne wie Google, Youtube, Facebook und den ISPs, mit geringst möglichen Lizenzzahlungen ein maximales Angebot von Immaterialgütern anzubieten und zu vermitteln.

(6) Als in den 30ern erst der Rundfunk und dann ein Jahrzehnt später das Fernsehen seinen Siegeszug antrat, veränderte sich die Verlagswelt schlagartig, die bisher nur mit der ausschliesslichen Lizenzvergabe für Notendruck, öffentliche Aufführung und Schallplatten ein Monopol innehielt. Durch die neuen Medien, die plötzlich eine bisher nicht teilhabende Bevölkerungsschicht lizenzfrei mit kulturellen Gütern versorgte, führte man mit Hilfe der begrifflichen Zuspitzung des Marktversagens neue Verwertungsmodelle ein. Die GEZ lieferte den Verlagen und Urhebern die angeblichen Ausfälle in Form von Lizenzzahlungen und Erlösen über Verwertungsgesellschaften wie GEMA, sowie zusätzliche Wertschöpfungen über dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte wie dem Leistungsschutzrecht.
Am Anfang des Netzzeitalters waren Fernsehen und das Internet zwei unterscheidbare Vermittler informationeller Güter. Mittlerweile haben alle Medien eine Vereinheitlichung erfahren die in Zukunft noch weiterschreiten wird. Die freie Wahl des Kanals wird dadurch stärker diversifiziert, fördert unterschiedlichste Interessen. Parallel dazu übernehmen grosse Medienkonzerne wie Google, Youtube und die ISPs die Funktion der TV Stationen. Sie partizipieren durch das unendlich vielseitige und ungeschützte Werkrepertoire.
Ein prozentualer Abschlag der Werbeeinnahmen muss an die Urheber geleistet werden, darf aber nicht in gleicher Höhe wie für physische Veröffentlichungen erfolgen.
Gleichzeitig müssen GEZ Einnahmen anteilig und entsprechend den bei den Contentprovidern gemessenen Downloadvolumina verteilt werden. Die Administration hierfür sollte von den VGs vorgenommen werden, die ein transparenteres Abrechnungsverfahren für ihre Mitglieder bereitstellen müssen. Durch die Zusammenführung von GEZ Gebühren, Google und Youtube Abgaben und der paritätischen Abrechnung entsteht eine gerechte und angemessene Vergütung. Die Kombination mit Leermedienabgabe, Geräteabgabe und Netzerlös kann auch die Mehrgenerationenkopie auf physische Träger obsolet machen.
Je stärker Mediengesellschaften den Verwerter und den Urheber entlohnende Verwertungsstrukturen verdrängen, umso stärker müssen sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden und diese Verluste abfedern.

(7) Das vielzitierte Marktversagen bedeutet einen Paradigmenwechsel weg von den 360 Grad Deals der Verwertungsfirmen hin zum Direktmarketing durch den Urheber. Nicht die Kultur stirbt aus, allenfalls die herkömmlichen, rückschrittlich orientierten Kulturinstitutionen und Industrien bleiben auf der Strecke, sofern sie es nicht vermögen, den Wandel in neue Geschäftsmodelle zu integrieren. Der digitale Wandel in eine neue Informationsgesellschaft bedeutet die Transformation der Kulturindustrie (Verleger, Studios, Labels). Die Forderungen der Musikindustrie, Internetinhalte mit Exklusivitätsansprüchen aus Urheber-, Leistungsschutzrecht und Copyright der physikalischen Welt zu belegen, ist zum größten Teil Besitzstandssicherung und wird von einem Großteil der progressiv arbeitenden Künstler und Urheber nicht unterstützt.
Im Internet gilt es mannigfaltigen Vertriebswegen Rechnung zu tragen. Der Einbruch der Tonträgerumsätze wird medienwirksam von der Musikindustrie propagiert, doch kreative Musiker haben schnell neue Wege der Vermarktung entdeckt und die träge agierende Industrie in puncto Zukunftstechnologie längst überholt. Täglich entstehen neue Konzepte der Wertschöpfung, wie z.B. Pledge Music, Sell A Band etc. Viele etablierte und von den Fesseln großer Plattenfirmen befreite Musiker versuchen sich mit den erfolgreichen Konzepten der Web 2.0 Vermarktung. Kleine Einpersonenbetriebe können ihre Produkte gleichwertig gegenüber großen Massenprodukten der Unterhaltungsindustrie positionieren. Der Konsument kann sich frei zwischen einer Skala aus Massengeschmack und Nischenprodukt bedienen. Der „Long Tail“ Markt bekommt eine neue Bedeutung: Die Summe der kleinen, oft in Statistiken und Charts herausgekürzten Produkte macht einen Großteil des Gesamtertrages aus.
Das Internet stellt sich als grundlegend demokratisches Werkzeug zur Verfügung, das zur Massenverbreitung weder große Konzerne noch überproportionale Budgets benötigt.
Die Daseinsberechtigung einer im Massenmarkt des letzten Jahrhunderts legitimierten Musikindustrie wird dabei natürlich grundlegend in Frage gestellt. Die eigentlichen Wertschöpfung bleibt erstmals in der Hand der Urheber, die früher gewohnt hochprozentige Beteiligung der Konzerne und Verlage bleibt aus. Erfolgreiche Beispiele wie Radiohead, U2, Nine Inch Nails, Madonna belegen den Erfolg der Versuchsanordnung im Internet. Das noch so junge Medium experimentiert und bietet eine Interaktion zwischen Musiker, Musikhörer und dem Medium Internet als Kunstplattform an und für sich. Es ist nicht verwunderlich, das gerade die Industrie in Partnerschaft mit der GEMA das Internet als „Dammbrecher des Urheberrechtes“ stigmatisiert. Obwohl auf Leermedien jeder Art Abgaben erhoben werden, verurteilt man in Exempel statuierender Weise Filesharer, die bei illegaler Downloadaktivität ins Netz gehen und die bereits vergüteten Medien mit Inhalten bespielt haben. Je länger Filesharing als krimineller Akt verfolgt wird, umso erfolgreicher werden sich neue, verschlüsselte Verfahren etablieren, die sich dem Zugriff der Onlinefahnder entziehen werden. Das ein Großteil der Urheber an einer freien Verfügbarkeit seiner Werke im Internet interessiert ist, wird von der Industrie zu gerne verschmiegen. Künstlern ist längst der multiplikatorische Werbeaspekt der Downloads klar geworden. Die eigentliche Wertschöpfung geschieht auf den Konzerten, dem Merchandiseverkauf und Auftritten im Rahmen großer Medienevents. Der Konsument ist trotz des Internetzeitalters ein Jäger und Sammler. Kulturgut wird in der heimischen Bibliothek als Ausdruck der eigenen Biographie nach wie vor gesammelt. Die Werke, die gefallen, werden meistens auch gekauft um das haptische Bedürfnis zu erfüllen, während die weniger interessanten Downloads auch wieder im digitalen Mülleimer landen. Das „Vorhören“ aus dem Plattenladen von Gestern geschieht heute im privaten Raum am PC. Die Weitergabe von Freund zu Freund in digitaler Weise als Tonträger oder File löste das analoge Tape ab. Wenn auch in größerem Umfang, so hat der normale Konsument sogar ein geringeres Pensum Zeit als noch im letzten Jahrhundert, um sich mit Musik eingehend zu beschäftigen, denn die Anzahl der unterhaltungstechnischen Medien hat sich mehr als verdoppelt: Internet, SMS, Videogames, Videofilme, Kabelfernsehen, Social Media etc. haben sich in den Wettbewerb der Freizeitaktivitäten eingereiht und die Zeit für den ausschliesslichen Musikkonsum radikal verkürzt. Der volkswirtschaftliche Schaden der den Filesharern von Musik gerne vorgeworfen wird, liegt jedoch an der Diversifizierung der gesamten Freizeitaktivitäten, die dennoch keinen größeren Raum im gesellschaftlichen Leben einnehmen.
Kurz: Mehr Aktivitäten innerhalb der gleichen Zeit bedeutet geringeren Umsatz für die einzelne Aktivität, zu der auch Musik zählt. Sicher gibt es auch den „Fileshare Messie“, der sämtliche verfügbaren Musikbibliotheken, die illegal im Netz angeboten werden auf seine Festplatte rafft. Da er diese jedoch im seltensten Falle nutzt, macht er sich auch nicht der Unterschlagung von Nutzungsrechten strafbar. Es ist auch zu beachten, das der Konsument nicht mehr Zeit als zuvor zur Verfügung hat, um Inhalte jedweder Art zu konsumieren. Die Diversifizierung im Internet findet horizontal, als auch vertikal statt. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten sowie eine Vielzahl von gleichwertig präsentierten Produkten zwischen Massenmarkt und Nischenprodukt. Konzerne können entgegen alter Gepflogenheiten den neuen Markt nicht mehr steuern. Die Produktionsmittel liegen mittlerweile in der Hand eines Massenmarktes, der sich der neuen günstigen Vertriebswege bedient und die Marketingtools der Social Medias nutzt. Spitzenprodukt und Nischenprodukt rücken näher zusammen, der größere Teiler der sinkenden Erlöse verlangt eine Neubewertung der Urheberabgabe, denn der Unterschied zwischen Konsument und Kulturschaffenden im neuen Demokratieraum Internet ist fliessend.


Fotonachweis: C-C http://www.planetofsuccess.com/blog/

Kulturbremse GEMA

GEMA vs. Downloads und Streaming

Die wegweisende Erfindung des deutschen Fraunhofer Institut, Audiodaten nicht nur zu komprimieren, sondern mit Hilfe einer Vereinfachung des Spektrums zu reduzieren und kleinzurechnen, wurde bereits in den frühen 80ern erdacht. Der Begriff und die Dateiendung MP3 wurde darauf Mitte der 90er geprägt und hat die Medienwelt bis heute nachhaltig verändert.

Seit ein paar Tagen feiert sich die GEMA wieder als der Retter des Onlinemarktes. Der Sprachgebrauch lautet: Bitkom und GEMA haben sich nach jahrelangen und zähen Verhandlungen endlich auf einen Tarif geeinigt. Es ist natürlich im Sinne einer Verwertungsgesellschaft wie der GEMA einen maximalen Tarif zu vereinbaren, doch stellt sich gleichzeitig die Frage, ob die jahrelange Behinderung eines ganzen Geschäftsmodells nicht einen viel größeren Schaden der Urheber und des Wirtschaftsstandortes Deutschland bedeutet hat.

Das Beharren der GEMA, einen Tarif an die preislich soviel höheren physischen Tonträger zu binden, hat nicht nur die Nutzer nachhaltig verunsichert, sondern einen ganzen Markt verhindert. Ein Markt der Mangels Existenz durch illegale Downloadmarktplätze ersetzt wurde und deren Nutzer mit astronomischen und rechtlich mehr als fragwürdigen Massenabmahnkosten belegt werden. Grundsätzlich hat sich dadurch nicht nur die Einstellung der Nutzer verändert, denn eine Generation junger Downloader hat sich an das unkomplizierte Filesharen gewöhnt. Ebenso die Haltung der Medienkonzerne, die aus Mangel an qualitativen Normen die modernen Portale entwickelten und dabei die Wahrnehmung und Nutzung von Medien revolutioniert haben. Deren Geschäftsmodelle jedoch niemals die von der GEMA gewünschten Tarife je Klick erziehlen könnten und trotzdem einen unschätzbaren Wert der kulturellen Vielfalt sowie der Selbstvermarktung unbekannter Künstler geschaffen haben.

Das der jetzt vereinbarte Tarif für Song Downloads, zwischen 6 und 9 Cents inklusive Verbandsrabatten und Albenrabatten in seiner Höhe knapp unter Intunes rangiert, liegt an der Verhandlungslage. Immerhin hatte die Bitcom vor ein paar Jahren um Schlichtung bei dem für das Urheberwahrnehmungsgesetz zuständige Patentamt gebeten.
Das diese Beträge aber noch immer nicht die mittlerweile manifestierte Marktsituation darstellen und nach wie vor keine Lösung für Streamingdienste, Pauschalmodelle wie Flatrates und Cloudangebote darstellen, zeigt wie sehr die GEMA dem digitalen Wandel noch Heute hinterherläuft und neue Geschäftsmodelle sowie eine gerechte Beteiligung des Urhebers behindert.

Gerade bei den Streamingdiensten versucht die GEMA den Kauf und das Anhören eines Songs gleichzusetzen, obwohl das Anhören eines Songs wie z.B. im Fernsehen oder Radio über eine viel geringere, am Umsatz orientierte Abgabe beim Sender und nicht beim Hörer und Nutzer veranschlagt wird.

Künstliche Wettbewerbsbarrieren, die von einer marktbeherrschenden Institution wie der GEMA installiert werden, kommen nicht nur einem Missbrauch ihrer aus dem Gesetz legitimierten Stellung gleich, sondern müssen als Verletzung von Freiheitsrechten begriffen werden.

Kein Wunder: Wer sich als Verband für die Interessen des einzelnen Urhebers darstellt, aber die Abrechnungschlüssel noch immer im kleinen erlauchten Kreis von Vorstand und Aufsichtsrat statt per Mitgliederentscheid beschliesst, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Ruf nach einer grundsätzlichen Reform der GEMA immer lauter wird. So ist und bleibt die GEMA die kulturelle Bremse aus dem letzten Jahrhundert.

PS: Gleichzeitig lädt der Bundesverband der Musikindustrie in der parlamentarischen Gesellschaft Berlin zum Lobbyabend ein. Satt und bräsig fabuliert Dieter Gorny über den Niedergang der Kreativbranche und Kauder träumt von Warnmodellen für Downloader. Man lobt Koreas Antipirateriepolitik. Und die GEMA reibt sich die Hände.

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Informationsfreiheit: Transparente Behörden für transparente Bürger

Zur beinahe alltäglichen Normalität ist die wachsende Verfügbarkeit von Informationen und Transparenz geworden. Tiefe Einschnitte in den persönlichen Datenschutz und die Privatsphäre werden von staatlicher Seite mit mehr Sicherheit und der Prävention von Terrorismus gerechtfertigt, Grenzen ausgedehnt und das Recht auf den Schutz der persönlichen Intimsphäre ausgehöhlt. Wir haben uns daran gewöhnt, daß Finanzämter und Zollbehörden Facebookprofile und Internetseiten gezielt durchsuchen, um Schwarzarbeit oder nicht angemeldete Einkünfte anzuzeigen. Es verwundert kaum, wenn bei Ankunft an Flughäfen gar nicht mehr nach dem Zweck der Reise gefragt wird, da er bereits bekannt ist.
Was die Persönlichkeit hergibt ist präsent und entsprechend detailliert ist der über das Netz ergänzend recherchierte Lebenslauf bei einem Bewerbungsgespräch.

Bewegungsprotokolle, Vorratsdatenspeicherungen und die Errungenschaften von kombinierter Statistik und Datenverarbeitung machen ein lückenloses Profil des täglichen Lebens möglich und führen uns die Grenzen der digitalen Gesellschaft und im Besonderen den dringenden Schutz des Individuums vor der restlos gläsernen Existenz vor Augen. Doch wenn es um die Überwachung des Staates durch die Bürger und deren globale Informationsfreiheit geht, ist der digitale und informationelle Schlagbaum in einigen Bundesländern nur in ein Richtung durchlässig.
Ein besonders jähes Ende findet dabei Transparenz an den Pforten der bayerischen Behörden und Verwaltungen auf kommunaler Ebene wie auf Landesebene.

Das Informationsfreiheitsgesetz, welches in Skandinavien bereits seit einigen Jahrhunderten und in 80 anderen Staaten innerhalb der letzten Jahrzehnte als fest verankertes Bürgerrecht für eine höhere Transparenz staatlicher Prozesse, bessere Kontrolle bei Vergabe von Aufträgen und gegen Politikverdrossenheit die Demokratie stärkt ist zwar seit 2006 auf Bundesebene und jetzt Schritt um Schritt in den meisten deutschen Bundesländern eingeführt, läuft jedoch schwerer an, als erwartet.
Zwar existiert mit http://www.fragdenstaat.de ein Internetseite, auf welcher der Bürger unmittelbar seine Fragen an Bundesbehörden richten kann, im kommunalen Bereich und auf Landesebene werden vielerorts Anfragen nicht beantwortet oder abgelehnt. Im internationalen Ranking liegt Deutschland und Österreich auf den hinteren Plätzen, sogar weit hinter Serbien, Slowenien und Indien.

In Deutschland blockiert – wie wäre es anders zu erwarten – vor Allem die auf Feudalismus, Mauschelei und Vetternwirtschaft gebaute bayerische Staatsregierung die längst überfällige Demokratiereform mit standhaft verlogenen Argumenten. Innenminister Herrmann, ein großer Freund der Vorratsdatenspeicherung bemüht den Datenschutz, den möglichen Missbrauch vertraulicher Daten durch Kriminelle und überbordende Bürokratie für Bayern, verschweigt dabei, das Datenschutz und Missbrauch im Informationsfreiheitsgesetz durch formelle Bestimmungen und ein umfassendes Regelwerk ausgeschlossen sind.
Die liberalen, ehemals so freiheitlichen FDP Mandatsträger in der bayerischen Staatsregierung betreiben lieber öffentliche Nabelschau der eigenen Personalprobleme anstatt dem Bürger den freien Zugang zu eröffnen, machen sich so zu Erfüllungsgehilfen der CSU, denn sämtliche andere Fraktionen wünschen dringend die Einführung eines umfassenden Informationsfreiheitsgesetz. Hinter dem CSU Wiederstand steckt die durchdringende Angst vor Enthüllung und Offenlegung jahrzehntelanger Selbstherrlichkeit, die der kriminelle Bayernregent Franz Josef Strauß der ihm folgenden Generation vererbt hat. Mit dem der CSU eigenen traditionellen Selbstverständnis zwischen A wie Amtsmissbrauch und Z wie Zensur wird dem feudalen Filz bis zum bitteren Ende gefrönt, auch wenn Seehofer und Konsorten schon jetzt ein strengerer oppositioneller Wind um die Ohren pfeift.

In der Bundesrepublik hat in erster Linie der öffentliche Druck von Initiativen dazu geführt, das Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein,Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz die Informationsfreiheit eingeführt haben.

Doch in allen Bundesländern müssen Informationen der öffentlichen Behörden dem Souverän, dem Wähler und somit der Allgemeinheit gehören. Die Teilhabe und das Kontrollrecht über diese ist untrennbarer Bestandteil demokratischer Rechte. Die Verwendung von Geldern die der Staat im Auftrag der Bürger vergibt und verwaltet muß endlich in seiner Summe als auch in aufgeschlüsselter Form nachvollziehbar werden, im überregionalen als auch im kommunalen Bereich. Aber auch die Presse benötigt für die objektive Erfüllung ihrer Aufgaben einen freien Zugang zu den Quellen anstatt hoheitlich gedeuteter behördlicher Pressemeldungen. Ebenfalls für die Entwicklung und Ansiedelung neuer Wirtschaftszweige ist ein ungehinderter Zugang zu den zahlreichen Informationen der Behörden dringend erforderlich.

Die Netzgesellschaft hat unsere tägliche Praxis im Umgang mit Informationen geschult und eine beispiellose Revolution von unmittelbarer Teilhabe und Transparenz angeschoben. Transparenz und Teilhabe die auch in allen Bundesländern gleichmässig möglich sein muss, sowohl in der Kommune als auch im Landtag. Eine Volksabstimmung kann hier Klarheit schaffen. Die Bürger haben es verdient.
Bruno Kramm

Enjoy The Silence


Weit nach Mitternacht verstauen wir zahlreichen Bühnenteile, diverse tontechnische Gerätschaften und unsere Instrumente im Laderaum des Tourvans.
Als wir zur nächsten Etappe unserer kleinen Hispanien Tournee aufbrechen, hat sich das ferne Echo des schrillen Konzertes bereits unwideruflich in meine akustische Erinnerung gebrannt.
Nach einigem Hin- und Herwälzen, habe ich eine bequeme Position gefunden und falle innerhalb weniger Sekunden in einen tiefen Schlaf. Das leichte Hintergrundsummen in meinen Ohren wird nur unzureichend vom Motor übertönt, erschreckt mich aber angesichts des schlechten und übersteuerten Monitormixes des heutigen Abends kaum und gehört zur Normalität des Musikeralltags, denn „wo gehobelt wird, fallen Späne“. Die fatalistische Haltung eines Bekannten geht sogar noch weiter: Wenn Montags der pfeifende Nachgesang der Sirenen ausbleibt, war es ein schlechtes Diskowochenende. Der Tinnitus als Qualitätskriterium. In einer formlosen Traumsequenz verworrener Gedanken fahre ich erschrocken hoch. Es ist still geworden und diese Stille schmerzt, schreit mich förmlich an, saugt die Gedankenfetzen gleich einem Vakuum in schwindelerregendem Tempo von meiner gedanklichen Bühne. Erschrocken reiße ich die Augen auf und sehe das atemberaubende, nie zuvor so deutlich und scharf gezeichnete Panorama der Milchstrasse über mir, das in majestätischer Stille die Welt in Stille taucht. Hier, Irgendwo im Nirgendwo der spanischen Steppe nimmt mich die stumme, Milliarden Jahre alte Illumination auf die gleiche Art und Weise gefangen, wie den das Geräusch fürchtenden Menschen der grauen Vorzeit. Nein, angesichts dieser Pracht können wir kein bedeutungsloser Sternenstaub, eine auf mathematische Mutationen und selektive Evolution reduzierte Spezies sein. Unsere Kraft zu Staunen ist so mächtig wie der Wille dieses Universum zu begreifen. Was wäre diese Schönheit ohne Gegenwart eines der ästhetischen Bewunderung fähigen Betrachters ? Die Stille schmerzt in meinem Kopf, denn die kaum wahrnehmbaren Geräusche des Windes und das leise Klappern der Türe der kleinen Tankstelle, an der unser Fahrer angehalten hat, sind die einzigen Zeugen der akustischen Untermalung dieses atemberaubenden Schauspiels.
Ich gedenke eines historisch nicht verbrieften Dialoges zwischen Pythagoras und Aristoteles. Pythagoras, auf der Suche nach dem universellen Klang der Planeten und Gestirne, vermutete eine unglaubliche Geräuschkulisse, die durch die Bewegung der großen Massen hervorgerufen werden müsste, während Aristoteles zu bedenken gab, das wir durch die immerwährende Konstanz der Geräuschkulisse seit unserer Geburt nicht fähig wären, diese Klänge wahrzunehmen.
Unabhängig von dem naiv wirkenden Ausschluss des Vakuums, gibt mir diese Passage zu denken.
Stille ist heute ein kostbares Gut. Am Anfang war der Ton, dann der Klang, dann der Laut,
dann das Wort und seine sinnstiftende Syntax ganzer Sätze, die den Menschen in verbaler Macht befähigte, große Zusammenhänge logisch zu differenzieren oder gar zu phantasieren.
Die neu geschöpfte Vermittlungsfähigkeit ist vielleicht der Faktor, der uns zum Diktator der Schöpfung gemacht hat. Die einst zu überwindende Stille des Universum wich schnell dem gesellschaftsstiftenden Credo: „Wo man singt da lass Dich nieder…“
Doch heute ertrinken wir in dieser Kulisse aus nicht vernehmbaren Einzelstimmen bar der anschwellenden und ohrenbetäubenden Kakophonie. Im Wettstreit um die Wahrnehmung steigt die individuelle Lautstärke zum hysterischen Wahn und findet ihren Höhepunkt im überkomprimierten Dauermaximum von MTV, Viva und Onyx. Neben der unersättlichen Bilderflut fällt die dummdreist werbende Komponente des einlullenden Dauerklangs kaum auf. Rastlos und unsicher jeder Grundlage zum Innehalten beraubt, gebären wir in der selbstverschuldeten auralen Kloake ein psychosomatisches Leiden nach dem anderen. Ich blicke nach oben und merke: Stille ist ein labendes Gut und nur allzu teuer erkauft. Wer sich ausklinkt, wird übergangen, denn – so scheinen wir uns gegenseitig zu suggerieren – wir müssen immer informiert, aktualisiert und online sein.
Die Qualität des Signals scheint inhaltlich wie klanglich sekundär, denn dem Gehöhr und Gemüt ist eine Hornhaut gewachsen. Im alltäglichen Sperrfeuer der Klangkanonen nivelliert das Empfinden zur erschreckender Nieveaulosigkeit.
Ein Realaudiostream aus quäkenden Multimediaboxen wird als ästhetisches Hochgenuss empfunden und einzig die Lautstärke einer Aufnahme scheint ein Qualitätskriterium zu sein. Dynamik wird mit Lautheit gleichgesetzt.. Selbst häufig mit dem Mastering, dem Feinschliff vor der Produktion diverser CDs beauftragt, wundere ich mich schon gar nicht mehr über den Standardzusatz: Vor allem lauter als alles andere soll es sein. Der Pegel soll am Aussteuerungslimit „kleben“, die Höhen und Bässe klirren und niemals eines der sechzehn Bits verschenkt werden. Vergleichsweise wirklichkeitstreue Abbildungen musikalischer Kreativität der 80er scheinen gegen dieses Frequenzmassaker substanzlos leise und dumpf. Meine Standardfrage „Blutet es aus den Ohren ?“ wird mit einer glücklichen Geste bedankt, denn eine taube Gesellschaft dreht einfach lauter.
Aber auch inhaltlich reduziert sich Vieles auf die Bandbreite unserer Handys. Nicht umsonst warten die meisten Melodien der Charts, mit hektischen Piepstönen angereichert auf ihren Download als Handyklingelton. Polyphon ist das neue Modewort und demnächst auch mit Subwoofer in der Hosentasche. Wir betäuben uns, nehmen uns die Kraft zu differenzieren. Der probate Steuerknüppel einer Gesellschaft aus Laborratten im Selbstversuch ist längst außer Kontrolle geraten. Die Bilderflut nimmt jede Fähigkeit zu abstrahieren und wir stürzen uns panisch und süchtig in den Rausch der Dauerberieselung, kreieren so unseren Teil zur klanglichen Umweltverschmutzung.
Der Himmel thront über mir und eine Sternschnuppe am Firmament scheint meine Bedenken lautlos zu unterstreichen während der Wind das unergründlich leise Lied der Ewigkeit singt.
Neueste kosmologische Erkenntnisse sprechen von der Harmonik des Urknalls, die wie ein ewiges Echo unser Universum in Schwingung versetzen und vermittelnder Teil der Schöpfung zu sein scheinen. Jäh zerreißt der anspringende Motor die Idylle und die aufschlagende Bustüre ruft zum geräuschvollen Abmarsch in die Zivilisation.
Als wir am nächsten Veranstaltungsort angekommen sind, geht der Aufbau schnell von der Hand. Der provisorische Soundcheck beraubt uns mit einem ohrenbetäubenden, durch Mark und Bein fahrenden Feedback der Fähigkeit, die Unzulänglichkeiten der Monitoranlage zu erhören.
Am Abend während des Konzert dresche ich in die Tasten und schreie mir die Seele aus dem Leib. In Hintergedanken das Zitat aus einer anderen Welt. Eine Biographie des berühmten Konzertpianisten und Kunstliedbegleiters Moore, titelte in den 70ern: “Bin ich zu laut ?” – Ach könnte ich nur die Sterne hören….

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Götterdämmerung von Bayreuth

Wer mit dem digitalen Fernrohr nach Bayreuth blickt, wird kaum an der überlebensgroßen Persönlichkeit vorbeikommen: Richard Wagner.
Für die Einen gilt er als ein zwischen Romantik und Moderne wandelnder Klangmagier und Komponist, der die Leitmotive seiner Protagonisten überirdisch und zeitlos mit der Ewigkeit zu verweben fähig war. Seine eigene Tonsprache als Anfang und Ende der Wortsprache deklarierend, wähnte sich der Egozentriker bereits zu Lebzeiten als Evangelist der Tonkunst. Die Wagnerianer Nietzsche bis König Ludwig dankten ihm es auf ihre Weise.
Für die Anderen ist Wagner für immer und ewig der ideologisch umstrittenste deutsche Komponist und einer der kulturellen Wegbereiter der germanischen Selbstüberhöhung, die mit dem frühen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm um dann im grauenvollen Holocaust des dritten Reiches ihr schreckliches Ende fand.
Bis dahin pilgerten die braunen Spitzenfunktionäre und Verbrecher jeden Sommer in Eitracht zur germanischen Gralsburg auf dem grünen Hügel, um sich an den Klanggewittern Wagners spirituell aufzuladen.
Nicht umsonst dauerte die Entnazifizierung der Kulturstadt Bayreuth nach dem Ende der Diktatur mehr als ein halbes Jahrhundert. Zu sehr waren Würdenträger der Stadt, das „Hoftheater Hitlers“ (Thomas Mann) und politische Elite des Nazideutschlands miteinander verbunden. Zu sehr schmerzte das Band zwischen verklärter Hochkultur und totbringender Ideologie.
Und auch heute ist das Thema Neonazismus in Deutschland längst nicht abgeschlossen – Zu jung sind die Ereignisse rund um die ostdeutsche Naziterrorzelle. Auch wenn sich Vertreter dieses menschenverachtenden Weltbildes heute nur noch in den allerwenigsten Fällen auf Wagner beziehen, so berauschte sich die deutsch nationale Bewegung am gleichen Quell des Antisemitismus und der Nazispiritualität, dem auch Wagner anhing: Die angebliche Sonderstellung und die höhere Berufung des Deutschen.
Für die meisten Bayreuther ist Wagner jedoch ein wenig ideologisiertes, dafür hoch subventioniertes Kulturspektakel, auf das man allenfalls am Rande des grünen Hügels per Opernglas einen flüchtigen Blick werfen kann.
Das gesellschaftliche Stelldichein auf dessen Höhepunkt sich der OB – selbst übrigens kein profunder Wagnerkenner – im Sonnenlicht des “Who is Who” aus Politik und Prominenz ablichten lässt, ist für den normal Sterblichen und seinen Geldbeutel kaum erreichbar.
Skandalös ist jedoch die Kartenvergabepraxis: Es landen nur 40 Prozent der Tickets im normalen Handel. Bei Premieren sind es sogar nur 16 Prozent. Viele Bayreuther Wagnerianer bestellen die Karten deshalb auch bereits zur Geburt ihres Kindes, um dann rechtzeitig zum Schulabschluss mit einem besonderen Geschenk aufwarten zu können. Dieses Spektakel für Eliten hat hingegen einen hohen Preis für den Steuerzahler. Jeweils 2,3 Mio. Euro aus Bund, Land und Fördervereinen werden als Subventionen ans hohe Haus geleistet, das per Satzung und Hausrecht über das Repertoires wacht und keine Werke anderer klassischer Komponisten neben Wagner oder gar Pop-Events im Festspielhaus zulässt. Solche Ideen gelten als Affront für die musikalischen Sonderstellung Wagners. Seit Jahrzehnten von einem durch Premierentickets verwöhnten Stadtrat, Land- und Bundestag gestützt, wurde diese Sonderstellung selten bis nie angezweifelt. Fragt man den Großteil der Bayreuther zu Wagners künstlerischer Relevanz, dem was er heute zu sagen hat und seinem kulturellen Stellenwert in der Mitte der Gesellschaft, so sieht die Bilanz abgesehen von der kurzen Begeisterung für ein privatwirtschaftlich finanziertes “Public Viewing” bescheiden aus – der größte Teil der Bevölkerung interessiert sich nicht für Wagner. Wenn Klassik, dann lieber oft ideologisch Unbesetztes, zumindest jedoch die Vielfalt und Vielstimmigkeit unserer modernen Welt zu der neben Oper, Operette, Klassik auch das Musical und die Rock- und Popkultur gehört.
Wir fordern für die jungen und kulturhungrigen Bayreuther im Wagnerjahr 2013 einen kleinen zweckgebundenen Wegezoll von gerade mal 1 Prozent der millionenschweren Subventionen um ein rauschendes alternatives “Rock den Ring” Festival auszurichten, das parallel zu den Festspielen im Bayreuther Fußballstadion oder einer ähnlichen Freifläche veranstaltet werden könnte. Neben einem per Internetwahl bestimmten Festivallineup werden wir mit Hilfe der überregionalen Musik- und Jugendmedien einen Wettbewerb ins Leben rufen, der Newcomerbands wie etablierte Bands aufruft, ihre Interpretationen von Wagnerthemen einzureichen und sie im Rahmen des “Rock den Ring” Festivals aufzuführen.
Wir wollen, dass Bayreuth den altkonservativen Ruf in der Welt gegen ein modernes, kreatives und vorwärts gewandtes Antlitz eintauscht. Wir wollen Vielfalt statt Wagnersoli.

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Machet Euch der Erde Untertan (2004)

Mein Biologielehrer war ein wütender Mann, der mit seinem Schicksal an einer höheren, fast reinen Knabenschule haderte. Der Unterricht vor einer Klasse gelangweilter Pennäler, deren einzige Aufmerksamkeit der bald anstehenden Sexualkunde gelten sollte, brachte den Mann zur Weißglut. Der „Doktor“, so nannte man ihn ehrfurchtsvoll, war für seine unkontrollierten Wutausbrüche gefürchtet und bekannt: So mancher Schüler war unter seinen verbalen Prügelattacken bereits heulend zusammengebrochen.
Des Doktors Hassgefühle galten besonders jenen Dingen, die nicht in sein machiavellisches Weltbild der Hierarchien passten, denn die Darwinistischen Prinzipien auf die zunehmend freizügigere Welt übertragen, schienen ihm als soziale Meßlatte und Kompass zu gereichen. Seinen größten Misskredit und Tadel lösten einmal die Aktionen der wenigen Mädchen unserer Klasse aus, welche die kahlen und schmucklosen Wände des Klassenzimmers mit allerlei niedlichen Tierpostern zu verschönen versuchten. Polternd und aggressiv bläute uns der zornesgerötete Doktor seine Logik der inhumanen Fauna des „Fressens und Gefressen Werdens“ ein, um danach jeden Widerspruch zu ertränken, indem er das weibliche Kindchenschema aufs Äußerste verhöhnte.
Der von ihm daraus abgeleitete unmittelbare Kinderwunsch der Mädchen und der Verweis auf die weibliche Schulalternative des Hauswirtschaftsunterrichts bildeten den Abschluss seines Monologs um dann die Reduktion des Tieres zur primitiven Instinktmaschine mit Hilfe des pawlowschen Hundeexperiments zu untermauern. Auch wenn ich damals den tief verwurzelten Sexismus und Speziesismus als solches in seinen Äußerungen kaum verstand, so löste er jedoch ein tiefes Unwohlsein aus, das bis heute meine Abneigung gegen diesen überheblichen Regentschaftsbeweis der Menschheit begründet. Die inhumane, ergo „bösartige“ Tierwelt im Gegensatz zum humanistischen Weltbild meines Lehrers erzeugte in mir jenen Widerwillen, denn das autoritär aggressive Auftreten des „Doktors“ schien die Positionen meines Weltbildes zu polarisieren. Ein stillschweigend vorausgesetztes aber unbewiesenes, alle Bereiche des menschlichen Daseins durchdringendes Prinzip hat seit Jahrhunderten sogar in der Ethik überlebt: Die Bevorzugung einzelner Gruppen, seien sie politischer, sozialer oder eben einer nichtmenschlichen Spezies definieren immer den Fixpunkt der Wertigkeiten. Dieses ganz und gar „menschliche“ Verhalten erscheint meist umso feindseliger, je näher die Diskriminierung von Geschlechtern, Rassen und Tiergattungen der eigenen ist. Die Waagschalen der „universellen“ Gerechtigkeit geraten fast immer ins Ungleichgewicht sobald es sich um die Grenzbereiche der menschlichen Vorbehalte handelt, denn wer entscheidet ob das Leben eines nicht minder leidensfähigen Zuchtschweins mehr Wert hat als der edle Spross einer Hundezucht mit Stammbaum und Adelstitel. Innerhalb der eigenen Spezies wird dieser Vergleich gänzlich unappetitlich, denn wer möchte heute noch für die beschämende und zutiefst diabolische Rechtfertigung der Sklaverei, der Ausrottung der Indianer oder des Holocaust geradestehen? Jedoch genau hier lässt sich die Wurzel des Speziesismus greifen. Gilt es nicht, diese Wertigkeiten durch eine „universelle“ Formel der „leidensfähigen Kreatur“ hinwegzuwischen um jeden zukünftigen, als Wertekanon getarnten Diskriminierungsversuch von vornherein zu entlarven? Angesichts der globalen Wirtschaftsprobleme und den daraus resultierenden Krisen- und Kriegsherden, die dank der Massenmedien unseren täglichen Trott erschrecken, erscheinen die Gräuelbilder der Tierschützer sekundär und kleinlich, bestenfalls als notwendiges Übel, das spätestens vor dem nächsten Fastfood-Restaurantbesuch vergessen wird oder mit dem Argument “Menschen essen schon seit Jahrtausenden Fleisch und es ist wichtig für unsere Ernährung“ beschwichtigt. Aber der Homo erectus war in seiner kurzen Entwicklungsgeschichte immer anpassungsfähig und die Annehmlichkeiten der modernen Welt werden auch nicht gegen den Luxus der Höhlenmenschen oder Kannibalen eingetauscht, nur weil es natürlicher wäre.
Natürlich wäre zumindest die Abkehr von der Massentierhaltung, welche die Rohsubstanz für den täglichen Happen aus der geheimgehaltenen Anonymität der Fleischfabriken liefert und mit verniedlichenden Produkten wie Fleischwürsten mit stilisierten Grinsegesichtern aus Gelbwurst oder glücklich feixenden Schweinchen auf Metzgereitafeln schon bei der jüngsten Kundschaft vom millionenfachen Leiden ablenkt und sämtliche Vorbehalte gegen den blutigen Ekel im Ansatz verklärt.
Die Verdrängung der Vorbehalte hat Tradition seit den frühchristlichen Zeiten, denn zu gerne wird auf die Ursprünglichkeit des Fleischkonsums verwiesen oder jene Bibelstellen zitiert:„Macht Euch die Erde Untertan“ und „Furcht und Schrecken vor Euch sei über alle Tiere auf Erden„.
Dass die vorchristlichen Pythagoräer und Essener strikt vegetarisch und in Geschwisterlichkeit mit der Gotteskreatur Tier gelebt hatten, wird zu gerne aberkannt oder verschwiegen.
So huldigt die gläubige Christenschar bis heute jenem nicht umsonst Gefallenem, den fleischlich-blutigen Genüssen zugewandtem Fürsten des Irdischen und nicht dem urchristlichen und tierliebenden Herren in der Höhe. Warum sollte der barmherzige Christengott gerade mit jener seiner Schöpfungen mehr Mitleid haben, welche den größeren Rest seiner großartigen Kreation demütigt, grausam quält und gierig meuchelt, ja sogar menschliche Vorherrschaft über all die Unterlegenen befehlen? Ein solcher Gott hätte gar masochistische Züge, denn welcher Künstler würde sein eigenes Werk so behandeln. Umso plausibler erscheint da der früh ausgehandelte irdische Kirchenkompromiss mit der verrohten Gegenwart der Menschheit. Vielleicht auch, weil dieser konstitutionelle Glauben kaum so schnell seinen Siegeszug hätte antreten können, wenn man nicht den derben Gelüsten Tribut gezollt hätte. Und so wurde das Tier auch mit christlicher Segnung zur Sache.
Aber wie stünde es um diese, sich so nächstenliebend gerierende Religion ohne das biblische Motto der Unterwerfung der Welt? Sicher, in einer grauen Vorzeit ungezähmter Natur ist eine Trutzburg gegen die böse und wilde Umwelt der einzige Weg des Überlebens. Jedes noch so kleine Stück, der Natur abgerungene Zivilisation galt es zu verteidigen, jedes erbeutete Stück Fleisch rettete vor dem Hungertod, ganz im Sinne von: „Es oder Ich“. Aber im Zuge des immerwährenden Fortschrittes der menschlichen Technisierung, der Urbanisierung der letzten wilden Flecke unseres Lebensraumes und scheinbar grenzenlosen Ausbeutung einer schwindenden Welt hat sogar der erzkonservative Gierschlund begriffen: Der technische Fortschritt ohne Weiterentwicklung von Moral und Ethik ist schon seit Oppenheimers Dilemma um die Hiroshimabombe in einer selbstzerstörerischen Sackgasse und fordert den Paradigmenwechsel, den Scheideweg der postmodernen Gesellschaft.
Ökologie und Naturschutz, einst das Steckenpferd einer Generation friedensbewegter Utopisten in Ökolatschen hat sich längst als einträgliches Wirtschaftsmodell etabliert. Könnte sich in diesem Zuge nicht auch eine neue Definition der „Mitkreatürlichkeit“ entwickeln, hin zum Verständnis, dass das lebende und leidensfähige Wesen, das gleiche Lebensrecht besitzt wie unsereins? Ist gerade nicht erst unsere viel zitierte Vernunft dazu auserkoren sinnstiftendes Heil über all jene zu bringen, die da leiden? Genau diese Worte zieren jede Sonntagsandacht, jedoch der Braten wird längst verdaut, und jener Appell wird, wenn überhaupt nur für die Vertreter des eigenen Stammes umgesetzt. Und wenn schon hier nicht, warum dann innerhalb der eigenen Gemeinde, gar der eigenen Gesellschaft, noch unwahrscheinlicher für andere Rassen und ganz sicher nicht für andere Spezies. Ist es nicht Zeit das Opferlamm, einst Stellvertreter Jesu, neu zu begreifen und an unseren Tisch zu bitten, anstelle es zu verspeisen?
Selbst wenn empfindungsfähigen Tieren die „menschliche“ Intelligenz fehlen würde, den Tod zu begreifen, so haben jene Wesen, die über ein noch so einfaches Bewusstsein verfügen, sich also erinnern oder wieder erkennen können ein elementares Interesse am Leben zu bleiben, ebenso wie der, vielleicht nicht begriffene Wunsch, sich zu entfalten und Dinge zu erleben.
Jedoch gerade in den letzten fünfzig Jahren hat die Verhaltensforschung mit Tieren phantastische Entdeckungen gemacht und die Descartesschen Vorurteile der Instinktmaschine Tier eingehend widerlegt. Bisher war unsere Verständigung mit den Tieren zu sehr in menschlichen Kommunikationsmustern begriffen, jedoch scheint die Barriere bei immer weiteren Spezies zu bröckeln. Die Lobby der Fleischindustrie wiegelt mit Gegenstudien ab und unser uns selbst erhöhender Starsinn will nicht von seiner Einzigartigkeit ablassen.
Die Empfindlichkeiten zwischen Tierrechtsbewegung und der großen Mehrheit fördert immer wieder Erstaunliches zutage. Als die Tierschutzorganisation PETA einen bildhaften Vergleich von industrieller Hühnerhaltung und den Konzentrationslagern der Nazizeit plakatierte, musste man nicht lange auf die Proteste einer breiten Front aus Politik, Wirtschaft und Religion warten. Hasserfüllt und polemisch wurde der vermeintlich unmoralische und herabsetzende Vergleich gegeißelt, auch dann noch als sich eine große Schar jüdischer Überlebender des Holocausts für die gelungene Parallele aussprach und eine Ausstellungsserie zu diesem Thema unterstützte, denn aus ihrer Sicht heraus gibt es kein passenderes Gleichnis für den Holocaust als die Massentierhaltung und die industrielle Tötung .
Rassismus, Sexismus und Speziesismus sind die Trinität der Unterdrückung und können nur gemeinsam abgelehnt zu einer allgemeinen Barmherzigkeit und ethischen Weiterentwicklung des jetzt noch so barbarischen Technokraten „Mensch“ leiten. Frieden gedeiht nicht im Widerhall eines Schlundes voller Opfer von Gewalt und Mord. Ich glaube dass die generelle Ächtung der Gewalt gegen leidensfähige Kreaturen einen umso größeren Schub gegen die weltweite Gewaltspirale, Unmenschlichkeit und Ausbeutung auslösen würde. So naiv und weltverbesserlich diese Forderung auf den ersten Blick auch wirken mag, so tiefgreifend könnte dieser Paradigmenwechsel unsere im Strudel der egoistischen Konflikte zu ertrinken drohende Welt verändern. Veganismus als Schlüssel einer neuen Achtung vor jeder leidensfähigen Kreatur egal welcher Spezies, Geschlecht und Rasse wäre vielleicht der Eintritt in die nächste Ebene des ganzheitlichen Menschwerdens, ganz nach Albert Einstein: “Unsere Aufgabe ist es, uns selbst zu befreien, indem wir die Sphäre des Mitleids auf alle Lebewesen ausdehnen“.
Fantasie eines idealistischen Spinners würde mein Biolehrer sagen und sich wieder dem Studium der Anatomie zuwenden. So bekam es bestimmt oft auch Leonardo Da Vinci, der große Anatom, Physiker und Philosoph zu hören als er über eine Flugmaschine philosophierte. Aber der große Visionär sollte Recht behalten. Hoffentlich auch sein umso größeres Zitat:“ Der Tag wird kommen, wo das Töten eines Tieres genauso als Verbrechen betrachtet werden wird wie das Töten eines Menschen“

Fotonachweis: Gunnar Richter Namenlos.net

GEMA – Zweiklassengesellschaft der Urheber


Die GEMA bezieht ihre Legitimation aus dem Urheberrecht und dem Urheberwahrnehmungsgesetz. Das Urheberrecht ist im Grundgesetz festgeschrieben, das UhWahrnGes. ist seit 1965 in Kraft und regelt die Funktionsweise und den rechtlichen Verkehr der Verwertungsgesellschaften.
Die GEMA vertritt als wirtschaftlicher Verein die Rechte von in Deutschland eingetragenen ungefähr. 60 Tsd. Musikern und Textdichtern sowie angeschlossener Urheber über intern. Verwertungsgesellschaften (BIEM/SACEM/ASCAP/TEOSTO u.v.a.). Sie sammelt per Inkasso Beträge für die Bereiche öffentliches Aufführungsrecht (Konzerte, Gastronomie, öffentlich. Beschallung, Radio, Fernsehen, Internet), mechanische Vervielfältigung (Tonträger), Geräteabgabe (Datenträger, PCs, Drucker) sowie moderne Musikdaten übertragende Vertriebswege. Sie verteilt diese nach einem komplizierten Schlüssel und der Spartenunterscheidungen E, U (Ernste Musik und Unterhaltung) sowie weiteren spezifischen Sparten (R = Radio, FS = Fernseh, usw). Mit Hilfe eines Punktesystems für mechanische Rechte (Herstellung von Tonträgern) und nach dem in den späten 90er Jahren eingeführten PRO System für den Bereich öffentliche Aufführungen (Konzerte, Diskotheken, usw.) werden sämtliche Werke eingestuft.
Die Abrechnung ist intransparent und inhärent in Funktionalität und Ausschüttungsmodus. Sie versucht durch statistische Taschenspielertricks eine Seriosität zu erzeugen, die aber nach einer stichpunktartigen Prüfung in sich zusammenfällt und ein erzkonservatives Kulturverständnis mit mafiöser Sebstbedienungsmentalität offenbart. Bereits die begriffliche Unterscheidung von E und U widerspricht einer modernen Kulturauffassung zu tiefst. Frühe Kammermusik oder z.B. Wiener Klassik diente zu ihrer Zeit hauptsächlich der Unterhaltung, wie z.B. die unzähligen Werke des großen Franz Joseph Haydn, die bei Hofe zur nachmittäglichen Muse uraufgeführt wurden. Musikalische Konzepte des Industrial erfüllen in ihrer kakophonischen Stimmführung in vielen Fällen die Regeln des Zwölftonsatzes. Vertonungen großer deutscher Lyriker gehen in reduzierter Technoinstrumentierung eine kunstvolle, kontrastreiche und durchaus ernsthafte Synergie ein und werden dennoch als Unterhaltungsmusik abgewertet und in das für Nischenmusik so verzerrend ungerechte PRO Verfahren gezwungen. Wer hätte in den 70er Jahren Punkrock als nachhaltige Musikrichtung mit politischer Wirkung bis Heute verstanden oder in den 80er Jahren die im Kreise wilder Drogenexzesse zelebrierten Acidraves als zukünftigen Mainstream moderner und progessiver Elektrostile vorhersehen können. Die Nachhaltigkeit von Musikströmungen und Jugendkultur kann oft erst Jahrzehnte später in ihrer gesamten Tragweite erfasst werden und ist in ihrem Tabubruch Ausdruck der Überwindung althergebrachten Kulturverständnisses. Eine Gesellschaft fließender Übergänge des Intellekts, der Kunst und der Klassen kann ihre Musik nicht in ein duales System einteilen. Die Reglements der GEMA Klassifizierung werden durch Gremien ordentlicher Mitglieder bestimmt, die größtenteils mit älteren und arrivierten Vertretern der Unterhaltungsbranche besetzt sind. Als ordentliche Mitglieder können sich Komponisten und Textdichter bezeichnen, die ein gewisses Jahreseinkommen an GEMA Tantiemen überschreiten, also dem saturierten Mainstream der Kulturindustrie angehören oder angehörten.
Das PRO Verfahren wurde Anfang der 90er Jahre durch den Juristen und CSU Abgeordneten Reinhold Kreile etabliert. Der heutige Ehrenpräsident der GEMA war auch einer der engsten Wirtschaftsberater des hoch umstrittenen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Das PRO Verfahren wurde in einer Nacht und Nebelaktion von der in Sachen Musikverwertung wenig geschulten aber verantwortlichen Patentamtsbehörde abgesegnet und durch die in der Stimmenzahl und Gewichtung immer dominierenden ordentlichen Mitglieder bestätigt. Zwar haben die angeschlossenen Mitglieder auch eine Stimme, doch wird dieses Stimmrecht durch eine verschleiernde Informationspolitik und das gemeinhin als komplex anzusehende Regelwerk des PRO Verfahrens gemindert. Abstimmungen bezüglich des PRO Verfahrens behandeln meistens relativ unerhebliche Randbereiche, die dann mit dem entsprechenden „Juristen-Deutsch“ getarnt, eine demokratische Vereinspraxis zum Ausdruck bringen sollen. Im Kern ändert sich nichts an der grundlegend ungerechten Mechanik des PRO Verfahrens. Die Verfechter des GEMA PRO Verfahrens argumentieren, das sogenannte Standardwerke (Gassenhauer, Schlager etc.) proportional weniger in den Programmfolgen (Ein Meldebogen über die aufgeführten Werke, den die GEMA von Veranstaltern und Aufführenden erhält) eingetragen werden, als das Repertoire von Selbstaufführern (Künstlern mit eigenem, nicht als Standardwerk eingestuften Repertoire). Dieser Logik verpflichtet, wird jenes Multiplikationssystem angewendet, das zusätzliche Wertigkeit durch die zeitliche und örtliche Häufigkeit in den Programmfolgen der Bezirksdirektionen erwirkt. Prinzipiellen Nachteil erfahren dadurch alternative Veranstaltungen, wie z.B. Festivals, kleine selbst organisierte Events und Diskoveranstaltungen. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, das auf einem Rock-, Jazz-, Hiphop-, Alternative- oder Folkfestival klassische Schlagerstandardwerke zur Aufführung kommen. Trotzdem geht der größte Teil der GEMA Gebühren durch das Verrechnungsmodell an die etablierten Urheber von Standardwerken. Die GEMA argumentiert übrigens zu Gunsten ihres Verteilungsschlüssels, das unbekanntere Urheber „fleißiger“ ihre GEMA Bögen ausfüllen würden und daher im alten Verrechnungssystem (vor den 90ern) proportional immer zu viel ausgeschüttet bekommen hätten. Der junge Nachwuchsmusiker mit einem kulturell spannenden und selbst komponierten Programm wird mit dem PRO Verfahren für seine treue und formal vollständige Arbeitsweise bestraft.(s.Beschluss Landgericht Berlin vom 24.2.2000 Gnr. 16.O.668/99) In allen anderen Bereichen des Rechtsverkehrs erfährt nur derjenige Zuwendung, der seinen Anspruch beweist. Das Argument, Tanzkapellen, Coverbands und Alleinunterhalter, die sich hauptsächlich aus dem Repertoire der Standardwerke bedienen, würden ihre Programmfolgen/Musikfolgen nicht vollständig ausfüllen, da sie als ausführende Interpreten nicht an den Tantiemen verdienen würden, ist eine Schutzbehauptung. Aus dem Unrechtsbewusstsein einiger Interpreten darf nicht das Unrecht vielen schöpferischen Musikern gegenüber gerechtfertigt werden. Besonders nicht durch eine, dem Urheber und seiner Kreativität verpflichteten Instanz wie die GEMA. Der etablierte Schlagerkünstler hingegen erhält seine Ausschüttungen aus dem PRO Verfahren ohne Abschläge und ohne den Bedarf einer umfangreichen Meldung der Einzelaufführungen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Minderheitskultur wird nach unten gedrückt, Massenkultur bezuschusst und aufgewertet. Ein wirtschaftliches Kalkül, das im kulturpolitischen Maßstab seine doppelte Rechtfertigung aus konservativer CSU/CDU Sicht erfährt. Das PRO Verfahren grenzt lokale Subkultur, GEMA freie Komponisten, schnellebige Kulturevents und alternative Kultur im Allgemeinen aus. Das PRO Verfahren vernachlässigt die stilistische Auffächerung der letzten Jahrzehnte. Popmusik im Internetzeitalter ist eine Vielzahl von stilistisch unterschiedlichsten Stimmen und Stilen, die jede für sich eine große lokale, überregionale, zeitlich begrenzte Anhängerschaft findet, jedoch einem permanenten starken Wandel unterworfen ist. Als abbildende Gegenwartskunst, lebt moderne Popularmusik von ihrer hohen Fluktuation und das besonders im Internet Zeitalter. Die Diversifizierung des Kulturguts Musik hat seit Anfang der 90er Jahre rapide zugelegt. Massenkulturgut verliert stetig an Gewicht gegenüber der Vielzahl von Subströmungen, die gerade durch das Internet das größt mögliche Informationsfenster zum Konsumenten gefunden haben. Der junge Konsument von heute sieht das Angebot von Massen- bis Nischenprodukt als gleichwertiges Kontinuum, aus dem er nach aktueller Gemütslage auswählen kann. Entsprechend ist der Massenmarkt in Mikromärkte zerfallen, den großen Plattenfirmen Multis stehen in Augenhöhe kleine Produktionsfirmen und Künstler AGs gegenüber, die mit dem Internet ein Medien gefunden haben, das ihren schmaleren Werbebudgets entspricht aber auch in Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit den alten und trägen Marketingtools (Anzeigen-, Fernseh- und Radiokampagnen, Plakatierungen,
etc.) der großen Konzerne überlegen ist. Die „Long Tail“ Theorie, Bestandteil der Analyse großer Internetverkaufshäuser wie Amazon und Ebay besagt, das gerade die marginalen, oft durch Rundungen gar nicht wahrgenommenen Produkte den quantitativen Großteil der Verkäufe ausmachen. Doch durch das träge PRO Verfahren kaum abgebildet, fallen die zu Unrecht geringfügig Beteiligten durch das Sieb. Pikanterweise stammt ein detailliertes Gutachten zur unausgewogenen Vergütung des PRO Verfahrens von dem jetzigen GEMA Vorstandsmitglied Jörg Evers, der seinerzeit als sehr GEMA kritischer Autor für die Abschaffung des PRO Verfahrens plädierte. Mittlerweile im Vorstand und mit sämtlichen Insignien der GEMA Macht ausgestattet, nimmt er Abstand vom eigenen Gutachten, das im besonderen Maße die verzerrte Verteilung zu Gunsten der Standardwerke in den Blickpunk rückte. Auf die besondere Brisanz durch ständig wachsende Divergenz der Stile ging der Autor jedoch noch gar nicht ein.
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FDP – Ein Abgesang

Als Zauberlehrling der Wirtschaft haben die Liberalen die Enthemmung der Märkte jahrzehntelang vorangetrieben, Lobbyismus zum politischen Stil erkoren und die Gesetzgebung an Regulierungsmaßnahmen der Marktwirtschaft gehindert. Je nach Gemütslage als Zünglein an der Waage oder als Fähnlein im Wind wurde der Großindustrie der Rücken frei gehalten, um das letzte überlebte Wertesystem, den Kapitalismus zu höchsten Renditen zu treiben.
Die globalen Probleme dieses noch so jungen Jahrhunderts, Klimawandel, Raubbau an den Ressourcen, Wohlstandsschere,Armut, Finanz-, Börsen-, Banken- und Eurokrise haben ihren Ursprung in der radikalen Unterwerfung der Welt unter den Raubtierkapitalismus, der auf politischer Ebene in Deutschland immer von der FDP vorangetrieben wurde. Die frühe Systemkritik an der Marktwirtschaft, die allen Menschen und nicht nur dem 1% Börsianern dienen sollte, wurde kategorisch abgelehnt. Börsen-, Banken- und Konzerninteressen haben die Spekulation zum Meister über reale Werte wie Arbeit, materielle Güter und den Menschen an und für sich gestellt.
Der Begriff eines nachhaltigen und qualitativen Wachstums wurde kategorisch abgelehnt wie die längst überfällige Finanztransaktionssteuer. Kriminelle Spekulationsinstrumente wie z.B. ungedeckte Leerverkäufe wurden erst auf europäischen Druck widerwillig in der Koalition beschlossen. Der große Paradigmenwechsel, der Aufstand der Massen gegen die Banken und die Willkür der Märkte ist ein Hoffnungsschimmer für die kommenden Generationen, die in den Abgrund blicken und begriffen haben, das die FDP diesen Raubbau gefördert hat.
Die FDP als politischer Arm der Ausbeutung des letzten Jahrhunderts folgt ihrem ehemaligen Vizekanzler Möllemann im freien Fall ins selbstgeschaufelte Grab. Keiner wird ihr eine Träne nachweinen.