Der Traum der digitalen Bohéme – eine Welt der grenzenlosen Kommunikation, des universellen Wissens, der Allgegenwart von Kultur und das Internet als das zentrale Archiv für die folgenden Generationen. Wer sich noch an die erste Webcam erinnern kann, die den Füllstand der Kaffeemaschine am MIT dokumentierte, ist dabei gewesen.
Das Symbol des weltweiten Nerdtums wurde längst auf Ebay versteigert und das Internet von heute hat die meisten kühnen Träume der binären Kinderstube überholt.
Doch in einem Punkt unterschied sich die Frühphase der vorwiegend den Universitäten vorenthaltenen Netzwelt von der modernen Netzrealität. Damals war das Internet frei von Zensur oder Überwachung, denn die Verwerterverbände sogenannter geistiger Güter hatten noch keine digitalen Claims abgesteckt und die staatliche Strafverfolgung beschränkte sich auf Datenbänke für Fingerabdrücke und Phantombilder. Die interdisziplinäre Kombination von Informatik, Netzwelt und Soziologie war schlichtweg noch nicht erfunden, denn die Vernetzung des Bürgers mitsamt all seiner hochgeladenen Interessen und Aktivitäten war noch Zukunftsmusik.
Dass die Schutzbedürftigkeit von Bürgerrechten mit dem technologischen Fortschritt wächst, war damals umstritten, denn die Entwicklung des Netzes war eben Ausdruck der Befreiung und nicht der Zensur. Allenfalls die Fantasyliteratur und das gerade vergangene Orwellsche Jahrzehnt ermahnten zur Vorsicht.
So öffentlich und transparent unsere westlichen Demokratien dank Informationsfreiheit heute auch funktionieren mögen, so verschlossen handeln Konzerne und Oligopole im Schatten ihrer Verbände global bindende Verträge und Abkommen aus. Vereinbarungen, die tiefgreifend in unsere Privatsphäre eindringen, unsere bürgerlichen Rechte verletzen und Freiheit gegenüber Nutzungsrechten geistiger Güter abwerten. Mit staatstragender Arroganz werden demokratisch gewachsene Grundprinzipien den neuen Reglements internationalen Handels unterworfen. Der final erzwungenen Unterschrift durch unsere regierenden Volksvertreter ist ein ungleiches Ringen zwischen den staatlichen Ausschüssen und der mächtigen Lobby der Handelsverbände vorangegangen, das in Zeiten der Rezession und Finanzkrise immer öfter zu Gunsten des ökonomischen Interesses ausgeht.
Ganz zu schweigen, die großen neuen Silicon Valleys, die ihren kometenhaften Erfolg durch die immer ausgefeilterte Kombination von Big Data Sammlungen persönlicher Informationen mit modernsten Algorithmen zu einem konkurrenzlosen Werbekonzept verdichten.
Doch während die Netzcitoyens auf Europas Strassen gegen ACTA demonstrieren, haben die globalen Handelsverbände längst neue Abkommen geschmiedet. Unter dem Deckmäntelchen transpazifischer Befreiung des Handels wurde die TPP (Transpacific Partnership) angeschoben um die Betonierung des veralteten Urheber- und Patentrechts voranzutreiben.
Der Strategiewechsel, ein Abkommen zuerst zwischen Asien und den USA zu ratifizieren offenbart die verschobenen Machtverhältnisse der Weltmächte aber auch die Erfahrungen der Verbände bezüglich der vergangenen Verhandlungen.
Der asiatische Raum steht traditionell der Wirtschaft näher als den Bürgerrechten und soll mehrheitliche Realitäten schaffen, bevor der Westen vor vollendete Tatsachen gestellt werden kann.
Dennoch haben nach Protesten in den USA und in Japan erste Teile des TPP Vertrages den Weg ins Licht der Öffentlichkeit erlangt und lassen einen Blick ins Horrorkabinett der Urheberrechtewahrnehmung von Morgen zu.
Bereits die Bufferung von urheberrechtlich geschützten Werken soll demnach ein zu ahndendes Vergehen darstellen. Darunter fällt dann sogar das zufällige Öffnen von sogenannten Popups im Browserfenster oder das Anhören eines Webradios, welches zufällig unlizensierte Audiostreams beinhaltet. Kein Nutzer dieser Angebote könnte sich vor Verstössen gegen ein so restriktives Abkommen schützen, denn wer kann bereits vor dem Anhören oder Ansehen eines Liveinhaltes über die lizenzrechtliche Relevanz befinden. Aber auch der kleine Grenzverkehr von legal erworbenen DVDs, CDs und Datenträgern könnte schon zu einem Vergehen führen, sollte der Inhalt nur regional lizensiert worden sein. Ebenso sollen angeblich auch Visualisierungen von Trademarks unter TPP kriminalisiert werden. Wer dann als Cosplayer fantastisch verkleidet zwischen Anime Messen in Japan und den USA verkehrt, könnte dann sein blaues Wunder am Zoll erleben, wenn nach einer legalen Lizensierung des Charakters gefragt wird. Die Auswirkungen dieses Visualisierungsverbotes auf Bilder und Inhalte im Netz kann man sich auch ohne rege Fantasie ausmalen, da noch dazu die Aufweichung gültiger Schrankenregelungen vorangetrieben werden soll.
Gerade der Ausblick auf die kommenden Konflikte zwischen einem veralteten und immer restriktiver ausgelegten Urheberrecht einerseits und dem wachsenden Bedürfnis nach freier Entfaltung einer Privatsphäre im Internet schärft die Notwendigkeit, sich gegen jede Form der Zuspitzung geistiger Eigentumsrechte zu stemmen.
Die EU weiten Proteste gegen ACTA stimmen hingegen optimistisch. Sie zeigen das gewachsene gemeinsame Bewusstsein der Bürger Europas, das von der digitalen Boheme zu den Citoyens übergesprungen ist. Diese Courage hätte man sich auch von unserem EU Parlament gewünscht, welches das ACTA Abkommen trotz größter Bedenken bereits unterzeichnet hat.
Der komplette TTP Text der US Handelsdelegation
Aktueller Stand TPP, Bericht der EFF Dez.2012
Sehr guter Blog. Ich habe von TTP bisher noch gar nichts gehört. Ich glaube das der Streit um das freie Internet und die damit verknüpfte Meinungsfreiheit noch ein ganz großer Kampf der jetzigen Generation wird.
Nochmal ganz vielen danke Herr Kramm !
Von TPP hatte ich auch noch nichts gehört !
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Gut zu wissen. Hoffe, dass es noch genauso große Wellen schlagen wird wie #ACTA
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